Michail Gorbatschow fordert in einem in einem Interview mit der japanischen Zeitung Asahi Shimbun am 17. Dezember 2019 die USA und Russland auf, endlich wieder die Zusammenarbeit zur Verringerung der Atomkriegsgefahr aufzunehmen. Angesichts des drohenden Zusammenbruchs der Rüstungskontrolle sei das „Wichtigste, dafür zu sorgen, dass die Welt nicht nicht wieder in Wettrüsten, Konfrontation und Feindseligkeit abrutscht. “ Im Interview beschreibt er außerdem, dass der Tschernobyl-Unfall entscheidenden Einfluss auf sein sicherheitspolitisches Denken und seinen Einsatz für vollständige Abschaffung aller Nuklearwaffen hatte.
IPPNW: Keine Stationierung von Kurz- und Mittelstreckenraketen in Europa
05.05.2019 Die ärztliche Friedensorganisation IPPNW hat die Bundesregierung auf ihrer Mitgliederversammlung am Wochenende in Stuttgart aufgefordert, die Stationierung von Kurz- und Mittelstreckenraketen in Deutschland nach dem Aussetzen des INF-Vertrages dauerhaft auszuschließen.
Ist Russland allein für Verletzung des INF-Vetrages verantwortlich?
“Ist allein Russland für die INF-Vertragsverletzungen verantwortlich?”
Wir veröffentlichen im folgenden einige Ergebnisse seiner Untersuchungen in deutscher Übersetzung:
Ein kürzlich in der New York Times erschienenes Editorial bedauerte die Entscheidung der Trump-Administration, den historisch wegweisenden Vertrag über die Abrüstung und Verschrottung aller atomaren Mittelstreckenraketen (INF) zu kündigen, den der sowjetische Generalsekretär Michail Gorbatschow und Präsident Ronald Reagan vor 31 Jahren unterzeichnet hatten. Wie die New York Times zu Recht feststellt, “beseitigte der Vertrag eine ganze Klasse von Waffen, etwa 2.692 Bodenraketen, die im Bereich von etwa 300 bis 3.000 Meilen und fliegen können sowie ihre Abschussgeräte.“
Aber obwohl der Herausgeberkreis der Times zurecht das offenbar mangelnde Interesse der Trump-Administration an einer dauerhaften diplomatischen Anstrengung zur Rettung des Vertrages kritisiert, hat er nicht überzeugend erläutert, worum es im Kern des Streits zwischen Russland und den Vereinigten Staaten über die Frage der Einhaltung der Vertragsbestimmungen eigentlich geht.
Laut Times besteht der Kern des Streits darin, dass Russland russische SSC-8-Marschflugkörper entwickelt hat, die nach Angaben der US-amerikanischen Behörden in der Lage seien, sowohl nukleare als auch konventionelle Sprengköpfe zu transportieren und „mit einer Reichweite zwischen 300 und 3.000 Meilen getestet worden seien, also mit einer durch den [INF]-Vertrag verbotenen Reichweite.”
Russland beklagt seinerseits auf die amerikanische Sationierung von Aegis-Raketenabwehranlagen in Osteuropa als potentielle Vertragsverletzungen. Die Times erwähnt hin, dass Moskau befürchte, die Aegis-Systeme könnten “zum Abfeuern von offensiven Mittelstreckenraketen” eingesetzt werden und damit den INF-Vertrag verletzen, meint aber, das werde von “den meisten unabhängigen Experten” bestritten.
Man kann sicher unterschiedlicher Meinung sein über das Verhalten beider Seiten in Bezug auf die Einhaltung der INF-Regeln, aber es ist nicht überzeugend, wenn die Times ungenannte “Experten” als Beweis dafür anführt, dass allein das Verhalten der Russland in dieser Sache falsch sei.
Hier einige Fakten, die die New York Times nicht mit ihren Lesern teilen wollte:
Das ballistische Raketenabwehrsystem Aegis der US-Marine besteht aus einem leistungsstarken elektronisch scannenden Radar und einer Anordnung von etwa 64 Raketen enthaltenden Kanistern. Wenn sie in ihrer sogenannten “Aegis Afloat”-Konfiguration an Bord eines Schiffes installiert werden, sitzen diese 64 Raketenträgerkanister vertikal im Rumpf einer einzigen großen Baugruppe aus acht vorgefertigten standardisierten Modulen, die jeweils acht Kanister enthalten. Diese standardisierten vertikalen Kanister und Kanistermodule sind von vornherein so konfiguriert, dass sie sowohl Flugabwehr- und Raketenabwehrraketen als auch Marschflugkörper abfeuern.
Die Vereinigten Staaten haben ein landgestütztes Raketenabwehrsystem „Aegis Ashore“ in Rumänien stationiert und sind gerade dabei, ein anderes in Polen zu stationieren. Die Erstinstallation in Rumänien umfasst 24 Raketenträgerkanister in drei vorgefertigten Acht-Kanister-Modulen, die aber sehr schnell auf weit über hundert oder möglicherweise sogar Hunderte von Raketenwerfern erweitert werden, indem man einfach vorgefertigten Acht-Kanister-Module hinzufügt.
Bei diesen Installationen werden einfach alle standardisierten Komponenten, die normalerweise zu einem mit Aegis bewaffneten Schiff gehören würden, auf den Bodenstützpukten installiert. Die US-Militärs behaupten, das Aegis-System verstoße nicht gegen den INF-Vertrag, da dem System “Software, Feuerleithardware, Hilfsausrüstung und andere Infrastruktur” fehlten, die zum Starten von offensiven Marschflugkörpern erforderlich wären – aber die Modifizierungen, um die Bodenstützpunkte als Abschusseinrichtungen „Cruise-Missile-fähig“ zu machen, sind ziemlich simpel könnten leicht vorgenommen werden. Solche Marschflugkörper hätten Eigenschaften, die denen der russischen SSC-8 ziemlich nahe kommen.
Die Russen haben zu Recht die Frage aufgeworfen, ob das Aegis-Ashore-System eine Vorbereitung für die Verletzung des INF-Vertrags darstellen könnte. Die Besorgnis Russlands wird außerdem durch die Tatsache gestützt, dass das Aegis-Radar nicht in der Lage ist, angreifende ballistische Langstreckenraketen aus ausreichender Entfernung zu identifizieren, um den Raketenabwehrraketen genügend Zeit zu geben, die abzufangende Rakete an den Abfangpunkten zu treffen.
Aus rein technischer Sicht scheint es daher so zu sein, dass das Aegis-Landsystem wenig oder gar keine wirklichen Raketenabwehrfähigkeiten gegen Langstreckenraketen besitzt.
Tatsächlich hat das US-Verteidigungsministerium nicht klassifizierte Studien (unclassified studies) veröffentlicht, die wegen des äußerst unzureichenden Radars Zweifel an der Fähigkeit des Aegi-Systems, Langstreckenraketen abzufangen, wecken. Das (landgestützte) Aegis Ashore-System enthält alle unveränderten Komponenten des (seegestützten) Aegis-Systems, die ebenso für die Raketenabwehr konfiguriert sind wie auch mit einfachen Modifikationen landgestützte Cruise-Missiles abfeuern könnte.
Wenn Russland solche Systeme an seinen Grenzen zu Europa stationieren würde, würden die Vereinigten Staaten zu solchen Aktionen zweifelsohne Fragen aufwerfen.
Die politische Situation in Russland ist bedrohlicher als je zuvor, und es gibt durchaus Gründe sich Sorgen über das russische Verhalten zu machen. Es wäre daher gut, wenn die “unabhängigen Experten”, auf die sich die New York Times beruft, und wenn die Times selbst die Frage stellen würden, ob die amerikanische Seite etwas unternommen hat, das die Russen provoziert. Dies ist keine überflüssige Frage zu einer Zeit, in der die Gefahr eines Unfalls, der zu einem Atomkrieg führen kann, von Tag zu Tag zunimmt, während beide Seiten weiterhin übereinander statt miteinander reden.
Der Beitrag erschien am 17.01.2019 in “The Nation” unter dem Titel:
Darmstädter Signal: Rettet den INF-Vertrag!
Bereits im September 1983 wandten sich Zeit- und Berufssoldaten der Bundeswehr in Darmstadt an die Öffentlichkeit, um ihr NEIN gegen die Stationierung neuer Atomraketen in Ost und West zum Ausdruck zu bringen. 1987 vereinbarten die Präsidenten Gorbatschow und Reagan nit dem INF-Vertrag das vollständige Verbot von Mittelstreckenraketen. Nun wollen Trump und Putin bis August 2019 den Vertrag beenden. Der „Arbeitskreis Darmstädter Signal – Kritische Soldaten“ fordert von der Bundesregierung, alles zur Rettung des INF-Vertrages zu tun und formulierte in einer Presseerklärung als Anlass der Abrüstungskonferenz fünf "Erwartungen an die Bundesregierung"...
Stimmen aus den USA für Entspannungspolitik
Die USA und Russland sind auf dem Weg in die Atomkatastrophe. Eine Erneuerung der Politik der Zusammenarbeit gegenüber Russland duldet kein Abwarten. — Es ist Zeit, dass Senatoren und Kongressabgeordnete die Initiative ergreifen.
Andreas Zumach: Forderungen zur Rettung des INF-Vertrages
Anfang der 80er Jahre demonstrierten in der bis dato größten Friedensbewegung seit dem 2. Weltkrieg Millionen von Menschen gegen „Geist, Logik und Politik der atomaren Aufrüstung und Abschreckung“ und blockierten Stationierungsorte für atomare Raketen. Diese Friedensbewegung trug wesentlich dazu bei, dass Ronald Reagan und Michail Gorbatschow am 7. Dezember 1987 das Abkommen über das Verbot atomarer Kurz- und Mittelstreckenraketen und Marschflugkörper unterzeichneten. ... Nach den Austrittserklärungen der USA und Russlands bleiben noch die Monate bis zum 02.08.2019, um diesen hochgefährlichen Rückschritt in eine Zukunft mit erhöhter Atomkriegsgefahr zu stoppen. Das kann nur gelingen, wenn die Friedensbewegung auf beide Seiten politischen Druck macht ...
Heribert Prantl (SZ): Politiker wie Brandt und Bahr fehlen auf der Münchener “Unsicherheitskonferenz”
In seiner "politischen Wochenvorschau" schreibt Heribert Prantl, Mitglied der Chefredaktion der SZ, die Münchener Sicherheitskonferenz müsste "in diesem Jahr eigentlich 'Unsicherheitskonferenz' heißen". Der gerade gekündigte INF-Vetrag sei "einer der wichtigsten Verträge der neueren Geschichte" - nun stehe die Welt jedoch "vor einem neuen nuklearen Wettrüsten" und "vor einem globalen Handelskrieg". Die Genfer Konventionen erodieren; das humanitäre Völkerrecht leidet qualvoll und stumm...In dieser Situation wünsche man sich "auf der Unsicherheitskonferenz in München [...] diesmal ganz viele Staatsfrauen und Staatsmänner vom Typus eines Willy Brandt und eines Egon Bahr...
Alexej Arbatov: Gefahren durch Ende des INF-Vertrags
lexej Arbatov von der russischen Akademie der Wissenschaften ist ein erfahrener russischer Rüstungskontrollexperte. Er leitet unter anderem das Programm für Nichtverbreitung von Atomwaffen im Moskauer Zentrum der Carnegie-Stiftung; 1993–2003 war er Abgeordneter der Staatsduma und nahm 1990 an START-1-Verhandlungen teil. Arbatov veröffentlichte im Dezember 2018 beim Moskauer Carnegie-Zentrum eine Einschätzung der Auseinandersetzung um den INF-Vertrag, beschreibt Details über beiderseitige Vorwürfe und macht Lösungsvorschläge. Aus russischer Sicht beschreibt er die wahrscheinlich dramatischen Folgen des Endes des INF-Vertrages: nicht nur das Ende des gesamten Rüstungskontrollsystems, sondern auch das wahrscheinliche Zerbrechen des Atomwaffensperrvertrages bei der NPT-Überprüfungskonferenz im Jahre 2020. Denn wenn die Kernvoraussetzung des NPT -- die vertragliche Verpflichtung der Atomwaffenstaaten zur nuklearen Abrüstung -- erneut und massiv verletzt wird, ist das Risiko des Ausstiegs von atomwaffenfreien Staaten aus dem NPT sehr hoch -- "insbesondere nachdem die UN-Generalversammlung im Juli 2017 den Vertrag über das Atomwaffenverbot mit großer Mehrheit angenommen hatte". Im folgenden dokumentieren wir Auszüge aus seinem Artikel, die wir ins Deutsche übersetzt haben:
Putin auf Jahrespressekonferenz: Atomkriegsgefahr wird unterschätzt
Der russische Präsident Wladimir Putin warnte, die Gefahren eines Atomkrieg zu unterschätzen, und kritisierte die Ankündigung der USA, sich vom INF-Vertrag zurückziehen...
."Die Frage klingt so, als wäre es unwahrscheinlich und unmöglich, aber gleichzeitig kann es geschehen und zum Zusammenbruch der gesamten Zivilisation und vielleicht unseres Planeten führen. Dies ist also eine sehr wichtige Frage", sagte er.
Widerstand im US-Kongress gegen Kündigung des INF-Abkommens
Führenden Demokraten sind besorgt über Präsident Trumps Auftrag an die US-Administration, neue Nuklearsysteme zu entwickeln, die durch den INF-Vertrag verboten sind....
Die US-Senatoren Feinstein, Gillibrand, Markey, Merkley, Sanders, Warren und Wyden haben im Senat ein „Gesetz zur Verhinderung des Wettüstens“ (Resolution S.3667) eingebracht.
Die Senatsresolution fordert die US-Regierung auf, im INF-Vertrag zu bleiben und stattdessen die im INF-Vertrag vorgesehene Sonderprüfungskommission zu nutzen, um Vorwürfe über angebliche Vertragsverletzungen auszuräumen. Darüber hinaus fordert die Resolution S.3667 die Beibehaltung des Verbots für die USA, bodengestützte ballistische Raketen- oder Marschflugkörper kürzerer oder mittlerer Reichweite zu entwickeln entwickeln - auch für den Fall, dass der INF-Vertrag beendet würde.