Am 10. Juni 1963 begründete US Präsident Kennedy vor der American University die Wende der US-Außenpolitik von der Konfrontation mit Atomwaffen zur zur „Strategie des Friedens“ durch Entspannung und Rüstungskontrolle. Das war seine Konsequenz für die Außenpolitik aus der Erfahrung, dass es ihm am 28. Oktober 1982 gelang, in letzter Minute die Eskalation der Kuba-Krise zum Atomkrieg durch direkte Vereinbarung mit dem KPdSU-Generalsekretär Nikita Chruschtschow zu beenden. Rund einen Monat später, am 15. Juli 1963, begründete Egon Bahr, damals Pressesprecher des Berliner Regierenden Bürgermeisters Willy Brandts, vor der evangelischen Akademie in Tutzing den „Wandel durch Annäherung“ die deutsche Version der „amerikanischen Strategie des Friedens“....
Die Ostpolitik lebt doch! – ein Kommentar von Adelheid Bahr, Matthias Platzeck und Martin Hoffmann
Angesichts des auffälligen Vergessens der Erfolge der Entspannungspolitik, die WANDEL DURCH ANNÄHERUNG und Frieden für ganz Europa brachte -- haben Adelheid Bahr, Matthias Platzeck und Martin Hoffmann einen Kommentar geschrieben. Was der Westen oft falsch einschätzt: Russland ist in Bewegung! Wer genauer hinsah, dem war schon länger klar, dass beim großen europäischen Nachbarn nicht für Zeit und Ewigkeit alles beim Alten bleiben würde. Die Ursache dafür brachte unlängst der Direktor des Moskauer Carnegie-Zentrums Dmitrij Trenin auf den Punkt: Es ist das wachsende bürgerliche Bewusstsein im Land, das auf die Dauer zu einem ernsthaften Problem für ein politisches Regime wird, das vor allem die Interessen einer recht überschaubaren Elite bedient.
Egon Bahr über 50 Jahre “Wandel durch Annäherung”
Für seine Strategie des „Wandels durch Annäherung“ wurde Egon Bahr von der Evangelischen Akademie Tutzing im Jahre 2012 mit dem "Trutziger Löwen" ausgezeichnet. Aus diesem Anlass hielt er einen kurzen Vortrag mit Schlussfolgerungen für "heute", noch vor der Ukraine-Krise. Sein Schlusssatz ist heute angesichts der an den Kalten Krieg erinnernden Konfrontation für die Erhaltung des Friedens dringender denn je: "Eine friedliche Welt verlangt Regeln für alle Staaten. Dazu gehört dann unausweichlich und unentbehrlich die Zusammenarbeit mit Nicht-Demokraten. Die Modernisierung des Wandels durch Annäherung heißt heute: Globalisierung durch Annäherung." Hier der Originaltext von Egon Bahrs "Rück-Sicht vor der Evangelischen Akademie Tutzing":
Antje Vollmer im Januar 2014: Alternative zum neuen Kalten Krieg ist neue Entspannungspolitik!
Am 23. Januar 2014, also noch vor der militärischen Eskalation des Ukraine-Konfliktes im Februar/März 2014, schrieb Antje Vollmer, ehemalige Vizepräsidentin des Bundestages und Abgeordnete der Grünen, eine kritische Bilanz der Politik des Westens seit dem Fall der Mauer. In ihrem Text macht sie klar, dass es zum seit langem schwelenden neuen Kalten Krieg (Wendepunkt Irak-Krieg) nur eine klare Alternative gibt: eine neue Entspannungspolitik, d.h. eine "Politik des Dialogs ohne Vorbedingungen, die auf Entspannung, Wandel durch Annäherung, Offenheit für innere Reformen, Versöhnungsbereitschaft", mit der Egon Bahr, Willy Brandt und andere dazu beitrugen, innerhalb von 20 Jahren die Mauern in Europa zum Einsturz zu bringen:
Wolfgang Biermann: “Wandel durch Annäherung” – Lehren für heute
"Lessons Learned 1963 – 2018 – Was können wir heute aus Willy Brandts politischem Wirken lernen?"...
Mit seiner Erfahrung, dass die Eskalation der Kuba-Krise zur „Vernichtung beider Länder binnen 24 Stunden hätte führen können“, begründete Kennedy vor der American University am 10. Juni 1963 seinen Beschluss, für die USA eine „Strategy of Peace“ einzuleiten anstelle der „der Pax Americana, die der Welt durch amerikanische Kriegswaffen aufgezwungen wird“....
Einen Monat später Am 15. Juli 1963 erläuterte Egon Bahr Willy Brandts Überlegungen für eine „neue Ostpolitik“ als die „deutsche Version“ der Strategy for Peace. Bahr brachte sie mit der Formel „Wandel durch Annäherung“ auf den Punkt.
Rolf Mützenich: Pragmatismus in der Russlandpolitik erfordert Initiativen
Ort und Zeitpunkt des Trump-Putin-Treffens am 16.07.2018 in Helsinki waren von hoher symbolischer Bedeutung: Sie trafen sich einen Tag nach dem 55. Jahrestag von Willy Brandts Strategie des "Wandels durch Annäherung", die Egon Bahr am 15.07. 1963 in Tutzing verkündete. Und sie trafen sich an dem Ort, an dem 1975 US-Präsident Gerald Ford und Leonid Breschnew, der Generalsekretär der KPdSU, gemeinsam mit 35 Staats- und Regierungschefs die KSZE-Schlussakte von Helsinki unterzeichneten, um den Ost-West-Konflikt zu entschärfen.
Wir danken Rolf Mützenich, dass er unserer Initiative für eine "neue Entspannungspolitik JETZT" seine Überlegungen zur Verfügung gestellt hat, wie Deutschland -- nach dem Gipfeltreffen zwischen Trump und Putin in Helsinki und im Geiste der von Willy Brandt und Egon Bahr entwickelten Ost- und Entspannungspolitik -- eigene Beiträge zum Abbau der seit Jahren eskalierenden neuen Ost-West-Konfrontation beitragen könnte:
"Wir brauchen eine Politik, die mit neuen Initiativen und Formaten dazu beiträgt, Blockaden aufzubrechen und aus Sackgassen rauszukommen. Die gegenseitigen Beschuldigungen von „Kalten Kriegern“ und „Russlandnostalgikern“ helfen nicht weiter. ...Warum nimmt man Moskau nicht beim Wort und bietet ihm neue Beziehungen und Kontakte zu den von ihm dominierten Institutionen wie der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU) und der Organisation für den Vertrag über kollektive Sicherheit (OVKS) an? ....Warum initiiert man nicht unter dem Dach der OSZE gemeinsame Arbeitsfelder von NATO und OVKS zu vertrauensbildenden Maßnahmen und Rüstungskontrolle? ... Die militärischen Risiken müssen reduziert werden, zum Beispiel durch Beschränkungen bei Manövern, Truppenstationierungen in den gefährdeten Zonen, funktionsfähige Kommunikationskanäle und effektive Inspektionen sowie durch eine Stärkung des Wiener Dokuments zu Vertrauens- und Sicherheitsbildenden Maßnahmen. Es gilt zudem, die stockende oder abgebrochene Rüstungskontrolle wieder aufzunehmen und auf unbemannte Flugkörper, die Raketenabwehr, zielgenaue Präzisionswaffen und Cyberfähigkeiten auszudehnen. Der INF-Vertrag muss erhalten werden, auch wenn dies eine Neubewertung der Raketenabwehrprogramme der NATO in Europa erfordert.
Die deutsche Diplomatie muss jede Chance auf eine Verständigung und Kooperation mit Russland sorgfältig ausloten."
55 Jahre Strategie des Friedens — Rede Präsident John F. Kennedys vor der American University am 10.Juni 1963
Am 10. Juni 1963 hielt Präsident John F. Kennedy vor der American University in Washington eine Grundsatzrede über seine Entscheidung, dass die USA gegenüber der Sowjetunion eine “Strategy of Peace” entwickeln sollten anstelle der bis dahin verfolgten Strategie, mithilfe der militärischen Überlegenheit eine “Pax Americana” durchzusetzen.
Auslöser der Rede war John F. Kennedys Erfahrung, dass er im Herbst 1962 die vorbereitete militärische Eskalation der Kuba-Krise bis hin zum Einsatz von Atomwaffen gegen die UdSSR dadurch stoppte, dass er in direkten Verhandlungen mit Nikita Chruschtschow am 28. Oktober 1962 den Abzug der gegeneinander gerichteten Mittelstreckenraketen vereinbarte: Rüstungskontrolle zur Verhinderung des Atomkriegs!
Für diese erste Rüstungskontrollvereinbarung zwischen Washington und Moskau entschied sich John F. Kennedy – entgegen dem Rat der meisten Berater des Präsidenten und des Pentagon, mit Ausnahme des Verteidigungsministers McNamara. Danach wurden die sowjetischen Atomraketen aus Kuba sowie die amerikanischen Atomraketen aus der Türkei und Italien abgezogen.
Sein Motiv für diese einsame Entscheidung für „Rüstungskontrolle“ statt „Atomwaffeneinsatz“ erläuterte Kennedy in seiner Rede vor der American University am 10. Juni 1963. Geleitet habe ihn die Erkenntnis, dass „alles, was wir aufgebaut haben, … in den ersten 24 Stunden zerstört würde“.
Kennedys “Strategy of Peace” war das Vorbild für die Entwicklung der deutschen Entspannungspolitik Willy Brandts, die Egon Bahr rund einen Monat später, am 15. Juli 1963, in der Evangelischen Akademie Tutzing auf die Formel brachte:
Egon Bahrs Wandel durch Annäherung 1963: Vorbild für Ukraine-Konflikt?
Wenn Gegner sich nicht anerkennen und unvereinbare Rechtspositionen haben, aber sich über menschliche Erleichterungen einigen müssen, gibt es nur eine Lösung: „we agree to disagree“ als Basis für praktische Vereinbarungen – "Technische Übereinkunft 'ungeachtet verschiedener Auffassungen und Standpunkte'" (Egon Bahrs Unterhändler Horst Korber über das Passierscheinabkommen von 1963). Wäre dies nicht ein Vorbild für erste Vereinbarungen über menschliche Erleichterungen zwischen Krim und Ukraine?