Am 13. Februar verabschiedete die Klausurtagung der SPD-Bundestagsfraktion ihr Positionspapier zur internationalen Politik in der Zeitenwende. Statt über den Inhalt des Strategiepapiers berichteten die meisten Medien nur über die im schwarz-gelb-grünen Chor wiederholte “Leoparden-Frage”, z.B. berichtete die FAZ:
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) will sich bei Waffenlieferungen an die Ukraine nicht unter Zeitdruck setzen lassen. „Wir werden uns nicht treiben lassen von all den Lautrufern“, sagte Scholz am Freitag auf einer Klausurtagung der SPD-Bundestagsfraktion. „Die Bürgerinnen und Bürger wollen kluge und abgewogene Entscheidungen bei einer so wichtigen Frage wie Krieg und Frieden“, äußerte der Kanzler, wie die F.A.Z. aus Teilnehmerkreisen erfuhr.
Nur wenige Medien berichteten das Thema der Klausurtagung, die Beratung über “Sozialdemokratische Internationale Politik in der Zeitenwende”. Die ZEIT berichtete unter der Überschrift SPD für diplomatische Initiative gegenüber Russland:
Die SPD-Fraktion im Bundestag befürwortet diplomatische Initiativen, um einen Frieden zwischen Russland und der Ukraine zu ermöglichen. “Denn wir wissen: Kriege werden in der Regel nicht auf dem Schlachtfeld beendet”, heißt es in einem Entwurf für ein Positionspapier, das auf einer Klausur am Donnerstag beschlossen werden soll. “Auch wenn es aus nachvollziehbaren Gründen keinerlei Vertrauen mehr zur gegenwärtigen russischen Führung gibt, müssen diplomatische Gespräche möglich bleiben.” Deswegen seien auch die Telefonate von Kanzler Olaf Scholz mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin richtig und notwendig.
Wo immer es möglich sei, sollten diplomatische Initiativen ergriffen werden, heißt es in dem Papier in der Fassung von Mittwochabend. “Wir müssen weiterhin jeden Versuch unternehmen, Russland zum Rückzug zu bewegen, und gegenüber Russland eine ehrliche Bereitschaft zu einem gerechten Friedensschluss einfordern.”
Das beschlossene Papier beschreibt Positionen der SPD-Bundestagsfraktion zur “Sozialdemokratischen Internationalen Politik in der Zeitenwende” in acht Kapiteln: I. Putins Angriffskrieg als Zeitenwende / II. Frieden und Sicherheit als Grundpfeiler sozialdemokratischer internationaler Politik / III. Globale Verantwortungspartnerschaften – attraktive Angebote an den Globalen Süden / IV. Souveränes Europa / V. Transatlantische Partnerschaft / VI. Beziehungen zu China und der Indo-Pazifik-Region / VII. Abrüstung und Rüstungskontrolle / VIII. Außenpolitik als gesamtgesellschaftliche Aufgabe /.
Hier Auszüge aus dem ersten Kapitel “Sozialdemokratische Internationale Politik in der Zeitenwende”:
I. Putins Angriffskrieg als Zeitenwende
Mehr als 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und etwas mehr als zwanzig Jahre nach dem Ende der jugoslawischen Nachfolgekriege herrscht wieder ein Krieg in Europa. Der völkerrechtswidrige, brutale und menschenverachtende Überfall Russlands auf die Ukraine hat der nach dem Ende der Blockkonfrontation mühsam aufgebauten internationalen Sicherheitsarchitektur den Boden entzogen. In seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag am 27. Februar 2022 hat Bundeskanzler Olaf Scholz den Krieg deshalb zurecht als eine Zeitenwende bezeichnet.
Wir stehen fest und solidarisch an der Seite der Ukraine. 2022 hat Deutschland die Ukraine bilateral mit über zwölf Milliarden Euro unterstützt. Wir unterstützen finanziell, humanitär, militärisch und diplomatisch, damit die Ukraine ihr Territorium und ihre Souveränität erfolgreich verteidigen kann. Wir tun das gemeinsam mit unseren internationalen Partnern in der EU, der NATO und der G7. Nationale Alleingänge lehnen wir ab. Erstmals in seiner Geschichte hat Deutschland im großen Umfang Ausrüstung und Waffen in ein Kriegsgebiet geliefert, damit sich die Ukraine gegen diesen völkerrechtswidrigen Angriff verteidigen kann.
Viele Ukrainer:innen haben durch den Krieg ihr Zuhause verloren und sind auf der Flucht. Die Bundesregierung hat deshalb erhebliche Mittel zur Linderung akuter Not bereitgestellt, um etwa Wohnunterkünfte für Binnenflüchtlinge zu finanzieren oder notwendige Infrastruktur wie die Strom- und Wasserversorgung sicherzustellen. Überdies hat Deutschland bereits mehr als eine Million Ukrainer:innen aufgenommen und unterstützt auch die Nachbarländer der Ukraine, insbesondere Moldau. Hinzu kommen bilaterale Budgethilfen, um die staatliche Handlungsfähigkeit der Ukraine sicherzustellen sowie Rüstungsgüter im Wert von über zwei Milliarden Euro, die aus Deutschland bereits bereitgestellt wurden. Deutschland ist darüber hinaus größter Einzahler in den Refinanzierungsfonds der Europäischen Friedensfazilität, dessen Gesamthöhe sich auf 5,5 Milliarden Euro beläuft. Mit dem Geld werden die ukrainischen Streitkräfte gezielt gestärkt. Diesem Ziel dient auch die Ausbildung von ukrainischen Soldaten auf dem Territorium der EU-Mitgliedstaaten im Rahmen einer EU-Ausbildungsmission, bei der Deutschland eine koordinierende Rolle einnimmt.
Gemeinsam mit unseren internationalen Partnern haben wir weitreichende Sanktionen sowie ein Öl- und Kohleembargo beschlossen, die Russland politisch wie wirtschaftlich isolieren – und zugleich die Tür für diplomatische Lösungen offengehalten. Denn wir wissen: Kriege werden in der Regel nicht auf dem Schlachtfeld beendet. Bei jeglichen Verhandlungsbemühungen gilt das Prinzip: nicht ohne die Ukraine, nicht über die Ukraine hinweg. Die Grundvoraussetzungen eines Friedensschlusses haben die G7-Staaten in ihrer Erklärung vom 11. Oktober 2022 in Absprache mit der Ukraine dargelegt. Diese sind insbesondere die Achtung des in der Charta der Vereinten Nationen (VN) verankerten Schutzes der territorialen Unversehrtheit und Souveränität der Ukraine, die zukünftige Sicherung der Verteidigungsfähigkeit der Ukraine, die Gewährleistung des Wiederaufbaus der Ukraine, auch unter Prüfung von Möglichkeiten, hierzu Mittel aus Russland einzusetzen, sowie die Rechenschaft für im Krieg begangene russische Verbrechen.
Auch wenn es aus nachvollziehbaren Gründen keinerlei Vertrauen mehr zur gegenwärtigen russischen Führung gibt, müssen diplomatische Gespräche möglich bleiben. Deshalb sind auch die Gespräche, die Bundeskanzler Olaf Scholz in Abstimmung mit der Ukraine und unseren internationalen Partnern regelmäßig mit Wladimir Putin führt, richtig und notwendig. Deshalb brauchen wir auch weiterhin wo immer möglich diplomatische Initiativen – sei es im Rahmen der Vereinten Nationen oder zum Beispiel über den so wichtigen Einsatz der Internationalen Atomenergiebehörde zur Sicherung der ukrainischen Atomkraftwerke. Wir müssen weiterhin jeden Versuch unternehmen, Russland zum Rückzug zu bewegen und gegenüber Russland eine ehrliche Bereitschaft zu einem gerechten Friedensschluss einfordern.
In kleinen Teilbereichen konnten in Gesprächen mit Russland Vereinbarungen erzielt werden, etwa zwischen der Ukraine und Russland zu Fragen des Gefangenenaustausches oder zwischen den Vereinten Nationen, der Türkei, der Ukraine und Russland zur Ausfuhr von ukrainischem Getreide über das Schwarze Meer. Es gilt, auf diesen Ansätzen aufzubauen, etwa im Bereich der Rüstungskontrolle. Bevor aber mit Russland wieder Vertrauen wachsen kann, muss es zu einer fundamentalen Abkehr vom verbrecherischen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und der dahinterstehenden expansionistischen Ideologie kommen. Wenn eine ernsthafte Bereitschaft hierzu erkennbar sein sollte, könnte eine Politik der kleinen Schritte, die in überschaubaren Bereichen Initiativen zur Vertrauensbildung startet und regelmäßig auf ihre Wirksamkeit überprüft wird, ein diplomatischer Ansatz sein…. / ….
II. Frieden und Sicherheit als Grundpfeiler sozialdemokratischer internationaler Politik
Auch in der Zeitenwende bleiben die Werte, die sozialdemokratische Außen-, Sicherheits- und Entwick- lungspolitik leiten, ein starkes Fundament, das die SPD seit mehr als einem Jahrhundert trägt: Frieden, Freiheit, internationale Gerechtigkeit und Solidarität und eine starke Europäische Union sind die Leitlinien unserer Politik. Dazu gehören die universelle Geltung der Menschenrechte, Demokratie und Rechtstaat- lichkeit.
Hier das vollständige Positionspapier als LINK oder als PDF: