Aus Anlass der bevorstehenden Wiener Konferenz der Vertragsstaaten des Atomwaffenverbotsvertrages (AVV) organisierten der Erhard Eppler Kreis, das Fritz-Erler-Forum Baden-Württemberg und die Initiative Neue Entspannungspolitik JETZT” gemeinsam einen Internet-Workshop “Risiko eines Atomwaffeneinsatzes:
Wie weiter mit dem Atomwaffenverbotsvertrag?”. An der Veranstaltung am 09. Juni 2022 nahmen rund 150 Interessenten aus Deutschland und auch aus den USA teil.
Nach dem Grußwort von Katrina vanden Heuvel, Herausgeberin der US-Wochenzeitung “The Nation”, und gefolgt von Dr. Thomas Hajnoczi, Botschafter i.R. / ehem. Leiter der Delegation Österreichs bei den Verhandlungen zum Atomwaffenverbotsvertrag (AVV), hielt Dr. Ralf Stegner, MdB, Obmann der SPD-Fraktion im Bundestagsausschuss für Abrüstung und Rüstungskontrolle, folgenden Einleitungsvortrag:
Aktuelle Entwicklung zum AVV in Anbetracht des Krieges aus deutscher Sicht
– Der russische Angriff auf die Ukraine wirft Frage nach Nutzen und Gefahr der nuklearen Abschreckung auf.
– Status des AVV: der AVV aber bisher nur für die 61 Vertragspartner, die ihn ratifiziert haben, darunter ist keine der Atommächte und ihrer Verbündeten – also auch nicht Deutschland.
– Lösungsansatz wäre: alle Staaten treten dem seit dem 21. Januar 2021 in Kraft getretenen Atomverbotsvertrag (AVV) bei.
Zur Rolle/Bedeutung des AVV:
Der Vertrag soll den Besitz, die Übernahme der Verfügungsgewalt, aber auch Finanzierung, Transport und Herstellung von Atomwaffen für die unterzeichnenden Staaten verbieten.
Perspektive:
Atomwaffen sollen geächtet werden, so wie es mit anderen Waffen in der Vergangenheit bereits gelungen ist: Landminen und Streumunition, Chemie- und Biowaffen.
Der Krieg mitten in Europa, erschütternde russische Kriegsverbrechen an der ukrainischen Zivilbevölkerung und der überwunden geglaubten Imperialismus, der Grenzen verschieben will, haben Olaf Scholz dazu veranlasst, in seiner Regierungserklärung zur Ukraine eine „Zeitenwende“ in der deutschen Sicherheitspolitik und ein umfassendes Ausrüstungsprogramm anzukündigen.
Dies beinhaltet: ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro zur Ausstattung der Bundeswehr. Dies bedeutet nicht Aufrüstung, sondern eine sinnvolle Ausrüstung, Ausgaben müssen einzeln noch abgestimmt werden, Atomwaffen sind nicht Bestandteil dessen.
Hinweis zum Sondervermögen:
Bei der angekündigten Modernisierung der Bundeswehr mit 100 Milliarden Euro handelt es sich um ein Sondervermögen. Das bedeutet, dass die Mehrausgaben für die Bundeswehr nicht aus dem Topf genommen werden, der für geplante Projekte der Koalition vorgesehen ist, z.B. für die Kindergrundsicherung oder die Einführung des neuen Bürgergeldes. Für diese Vorhaben wurden wir als SPD gewählt und an ihrer Realisierung werden wir auch festhalten. Zudem bemühen wir uns um sozialverträgliche Lösungen für die durch Krieg und Sanktionen nun drastisch gestiegenen Energiepreise und eine wirksame Entlastung.
Persönliche Position zur Entwicklung:
Zustimmung zum Sondervermögen, aber: Die „Zeitenwende“ nach dem Angriffskrieg mitten in Europa verlangt keineswegs eine Abkehr von unseren Überzeugungen, eine Militarisierung von Denken und Handeln, von Diplomatie und Rüstungskontrolle, vom Atomausstieg. Am Ende wird eine politische Lösung stehen müssen
Zur Debatte zu Atomwaffen und Atomwaffenverbotsvertrag in Deutschland
Einige Journalisten und Wissenschaftler verlassen ihre professionelle Beobachter-Position und werden Kombattanten in Social-Media Blasen. Egal was man von den verschiedenen offenen Briefen von Intellektuellen halten mag, Jürgen Habermas hat völlig Recht: Schwarz-weiß ist keine gute Basis um in unserer Gesellschaft eine neue sicherheitspolitische Grundsatzdebatte zu führen, die auch Zweifel miteinbeziehen muss.
Verpflichtung der SPD, in der neuen Regierung die Abrüstung voranzubringen
Position einzelner Länder: Denn Atomwaffen sind eine ständige Bedrohung für uns alle. Darum ist es folgerichtig, dass zahlreiche Städte, aber auch die Landesparlamente von Berlin, Bremen, Rheinland-Pfalz und Hamburg die Unterzeichnung des Verbotsvertrags fordern.
Position der Bevölkerung: Die Bevölkerung steht hinter dem Verbot. Die Unterstützung für den Atomwaffenverbotsvertrag in den Bevölkerungen weltweit lässt unterdessen nicht nach. In Spanien, Italien, Island, Finnland, Norwegen, Schweden, den Niederlanden, Dänemark, Belgien und Deutschland sind deutliche Mehrheiten für einen Beitritt zum AVV. In Deutschland wollen laut dem Meinungsinstitut Kantar vier von fünf Menschen den Beitritt. 82 Prozent befürworten zudem einen Abzug der US-Atombomben aus Deutschland.
Als Beispiel für Positionen aus der Friedensbewegung empfiehlt sich der Blick auf die Veröffentlichung „Was der Atomwaffenverbotsvertrag in seinem ersten Jahr bewirkt hat“, die von „ohne-rüstung-leben“ im Januar 2022 herausgegeben wurde.
Auswirkungen der Entwicklungen um das Iran-Abkommen für den AVV
Die Nichteinhaltung des Iran-Abkommens und auch die derzeitigen Verhandlungen lassen wenig Hoffnung auf ein globales Abrüsten und bestätigen eher den Trend weltweiter Aufrüstung.
Deutschlands Rolle zwischen EU/NATO und Vereinten Nationen – Bedeutung von Nato Beitritt Finnland Schweden
Deutschland hat eine Rolle als Brücke zwischen Bündnispflicht und Beitrag zur Abrüstung bzw. Verbot nuklearer Waffen
Erwartungen an die Vertragsstaatenkonferenz – Beobachterrolle
Gegen den Zeitgeist: Aktive Friedenspolitik jetzt erst recht // Militärische Logik – > Friedenslogik Für Diplomatie alles unternehmen
Ziele Deutschland im Hinblick auf AVV sollten sein:
Die Unterzeichnung. Jeder Einsatz von Atomwaffen hätte auch heute katastrophale Folgen für die Gesundheit heutiger und künftiger Generationen. Die Beispiele von Hiroshima und Nagasaki mahnen. Daraus folgt eine notwendige Konsequenz: Diese Waffen müssen vollständig beseitigt werden.
Deutschland beteiligt sich aktiv an der von Schweden ins Leben gerufenen Stockholm- Initiative, die das Ziel verfolgt, den Stillstand der nuklearen Abrüstung zu überwinden. Deutschland setzt sich ein für die Offenlegung und Reduzierung der weltweiten Nuklearbestände. Deutschland mahnt zu recht immer wieder friedliche, multilaterale Lösungen für die Konflikte dieser Welt an. Konsequent wäre es daher, ein Enddatum für die nukleare Teilhabe zu benennen und den Atomwaffenverbotsvertrag zu unterzeichnen.
Zur Argumentation zur Bundesregierung:
Die Befürchtungen sind rechtlich lange widerlegt. Beide Verträge (NVV und AVV) stehen zueinander nicht in Konkurrenz, sondern ergänzen sich. Die wahre Motivation ist eine andere. In der NATO gibt es große Vorbehalte gegenüber dem Verbotsvertrag. Und damit verbunden bei Teilen der deutschen Politik die Befürchtung, den NATO-Partnern und allen voran den USA mit einer Unterzeichnung in den Rücken zu fallen.
Unser Verhalten gegenüber den USA:
Gerade wir Deutschen müssen dankbar sein für die Verantwortung, die Amerika bei der Befreiung von der Nazi-Diktatur und beim Aufbau und Schutz unseres Landes übernommen hat. Trotzdem halte ich ein strategisches Konzept, das auf wechselseitiger atomarer Bedrohung basiert, für grundfalsch.
Zur Vereinbarkeit des AVV mit der NATO-Mitgliedschaft:
Ein Beitritt zum AVV s würde nicht das Ende der NATO-Mitgliedschaft bedeuten. Nur fünf von 30 NATO-Staaten beteiligen sich an der nuklearen Teilhabe. Eine NATO-Mitgliedschaft außerhalb der nuklearen Teilhabe ist nicht zweitklassig, wie die Beispiele von Kanada, Spanien oder auch Dänemark unterstreichen. Im Übrigen hat der Deutsche Bundestag bereits 2010 mit der breiten Mehrheit der Stimmen von SPD, FDP, Grünen und Union beschlossen, dass die Bundesregierung sich bei der Ausarbeitung eines neuen strategischen NATO-Konzepts mit Nachdruck für den Abzug der US-Atomwaffen in Deutschland einsetzen soll. Die Position zur Frage AVV erläuterte ich ausführlich ich auch in meiner Rede „Für eine Welt ohne Atomwaffen“ vor dem Landtag Schleswig-Holsteins am 25. Januar 2021, als der AVV völkerrechtlich in Kraft trat.
Zur Wiener Staatenkonferenz (21.-23. Juni 2022):
Auf der Staatenkonferenz geht es um konkrete Details zur Ausgestaltung des UN-Verbotsvertrags, der Atomwaffen ächtet und alle Vertragsstaaten zur vollständigen nuklearen Abrüstung verpflichtet.
Ziel und Anliegen der Konferenz:
Die Staatenkonferenz bietet ein Forum, das Verhalten Russlands zu verurteilen und relevante Normen zu stärken, um das Risiko einer nuklearen Eskalation künftig zu verhindern.
Deutschland Rolle als Beobachter
Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag zugesagt, die Staatenkonferenz als Beobachterin konstruktiv zu begleiten. Auch Norwegen, Schweden, Finnland und die Schweiz haben angekündigt, beobachtend teilzunehmen.
Zur Konferenz für Parlamentarier*innen (ICAN/ Österreichisches Parlament)
Ziel: soll Parlamentarier*innen aus verschiedenen Ländern die Möglichkeit geben, sich auszutauschen und gemeinsam auf die anschließende Staatenkonferenz vorzubereiten.
Das Treffen kann auch ein Startpunkt für eine längerfristige und internationale Kooperation zwischen Abgeordneten sein.