Vor 10 Jahren, am 26.03.2010, beschloss der Bundestag “Deutschland muss deutliche Zeichen für eine Welt frei von Atomwaffen setzen“und forderte, dass die letzten US-Atomwaffen auf deutschem Boden verschwinden sollen. Das Archiv des Bundestages erläuterte das Dokument folgendermaßen:
Das Ziel einer atomwaffenfreien Welt eint alle Fraktionen des Deutschen Bundestages. Das wurde während der Abrüstungsdebatte am Freitag, 26. März 2010, deutlich. Es sei ein gutes Zeichen, dass sich die übergroße Mehrheit im Hause mit Union, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen auf einen gemeinsamen Antrag (17/1159) einigen konnte, der unter anderem den Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland fordere, hieß es... Außenminister Dr. Guido Westerwelle (FDP) sagte, “Wir stehen am Beginn eines Jahrzehnts, in dem sich noch entscheiden wird, ob es ein Jahrzehnt der Aufrüstung oder der Abrüstung werden wird.“
Quelle: Dokumentationsdienst des Deutschen Bundestages (www.bundestag.de): “Vereint gegen Atomwaffen”
“Heute sind sie immer noch da – und werden sogar modernisiert”. schrieb die Deutsche Welle am 10. Jahrestag des Bundestagsbeschlusses und veröffentlichte eine “DW Exklusiv”-Recherche, im folgenden einige ihrer Ergebnisse:
Während des Kalten Krieges hatten die USA Westeuropa großflächig mit Atomwaffen bestückt, um die Sowjetunion von einem Angriff abzuhalten. Viele dieser Waffen zog die US-Regierung nach 1991 ab, beließ aber ein Kontingent von heute geschätzt 150 Atombomben in Europa. Die sind auf mehrere Länder verteilt: Italien, die Türkei, Belgien, die Niederlande und Deutschland….
Von deutschen Piloten zum Ziel geflogen
Büchel ist nicht ohne Grund als Standort ausgewählt worden: Hier ist das “Taktische Luftwaffengeschwader 33” der Bundeswehr stationiert. Käme es zu einem Angriff mit Atomwaffen, würden Piloten der Luftwaffe die Atombomben mit deutschen Tornado-Kampflugzeugen ans Ziel fliegen und abwerfen.
“Nukleare Teilhabe” heißt dieses Modell, durch das der Nicht-Atomwaffenstaat Deutschland an den Atombomben der USA partizipieren kann. Die Aufgaben sind dabei klar verteilt: Die Codes zum Scharfmachen der Atombomben kennen nur US-Militärs, ihr Abwurf aber wäre die Aufgabe deutscher Soldaten.
n den Händen der NATO liegt die strategische Planung für den nuklearen Schutzschirm über Westeuropa. Genauer gesagt in der Nuklearen Planungsgruppe. … In diesem Gremium der NATO mitreden zu dürfen, sei für Deutschland äußert wichtig, betonen Mitglieder der Bundesregierung immer wieder.
Auch Atomwaffen-Experte Hans Kristensen, einer der besten Kenner der Materie weltweit, hat dieses Argument von Vertretern des deutschen Verteidigungsministeriums gehört. “Sie glauben, das gebe ihnen die Möglichkeit, das Denken der USA über den Einsatz von Atomwaffen zu beeinflussen“, sagt Hans Kristensen, Direktor des Nuclear Information Projects bei der Federation of American Scientists in Washington. “Soweit ich das beurteilen kann, ist das eine völlige Fantasie.” …Er habe noch von keinem Vertreter der US-Armee oder des Pentagons gehört, der “spezielle deutsche Ansichten über den Einsatz von Atomwaffen berücksichtigt” habe, betont Kristensen im Gespräch mit der Deutschen Welle.
Politiker der Regierungsparteien in Berlin widersprechen: “In dem Moment, in dem wir uns zurückziehen, wird uns keiner mehr fragen, wie die Nuklearstrategie der NATO weiterentwickelt werden soll“, sagt etwa Verteidigungspolitiker Fritz Felgentreu, der für die Sozialdemokraten im Bundestag sitzt….
Vor zehn Jahren, am 26. März 2010, hatte der Bundestag die Bundesregierung mit großer Mehrheit aufgefordert, sich “mit Nachdruck für den Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland einzusetzen”. Doch keine der drei Bundesregierungen, die seither unter der Führung von Kanzlerin Angela Merkel amtierten, hat diesen Schritt gewagt. Seit Russland 2014 die ukrainische Halbinsel Krim völkerrechtswidrig annektiert und nuklearfähige Mittelstreckenraketen im Westen Russlands stationiert hat, scheint ein Abzug der Bomben unwahrscheinlicher denn je.
Teures Modernisierungsprogramm
Zehn Jahre nach dem Bundestagsbeschluss steht die Modernisierung der US-Atombomben vom Typ B61-3 und B61-4 an, die gut 30 Jahre alt sind. Sie sollen durch die brandneue B61-12 ersetzt werden, die lenkbar ist und Ziele dadurch viel genauer treffen kann. Nach Ansicht von Atomwaffen-Experte Kristensen ist das “ein bedeutender militärischer Vorteil“.
Geschätzte zehn Milliarden Dollar geben die USA für das gesamte Modernisierungsprogramm aus. “Es gibt Berechnungen, nach denen es billiger wäre, die Bombe aus massivem Gold zu bauen“, betont Kristensen.
Kritiker befürchten nun, dass mit den neuen, präziser einsetzbaren Bomben die Gefahr eines Nuklearangriffs steigen könnte. … Auch Rüstungsexperte Tobias Lindner von den Grünen hält das “Überschreiten einer nuklearen Schwelle” mit der neuen Generation von Atomwaffen für eher denkbar.
Wann die neuen Atombomben im kleinen deutschen Ort Büchel ankommen, steht noch nicht fest – Experten rechnen damit frühestens ab dem Jahr 2022. …
Quelle: 26.10.2020 — (Deutsche Welle, DW Exklusiv) — USA modernisieren Atombomben in Deutschland