Am 27. Juni 2018 veröffentlichte Stephen F. Cohen im The Nation Magazin seine Vor-Betrachtungen zu dem für Mitte Juli 2018 geplanten Trump-Putin-Gipfel in Helsinki – und zur Vorgeschichte ähnlicher Gipfeltreffen in der Vergangenheit.Die Überschrift:
“In der 75-jährigen Geschichte von amerikanisch-russischen Treffen hatte kein amerikanischer Präsident so viel Widerstand und so wenig Unterstützung im eigenen Land gehabt wie Präsident Trump.”
Hier der Wortlaut des Artikels von Stephen F. Cohen in deutscher Übersetzung der Redaktion:
Vor dem Trump-Putin-Treffen im Juli hat es Dutzende solcher US-sowjetisch/russischer Gipfeltreffen gegeben, das erste war das zwischen FDR (Franklin D Roosevelt) und Stalin 1943. Damals trafen sich Verbündete, Winston Churchill eingeschlossen.
Nach dem Krieg waren alle anderen Treffen der beiden Gespräche zwischen Rivalen, den Führern der “Supermächte” des Kalten Krieges, oder auch nach dem Kalten Krieg. Jeder amerikanische Präsident nahm an mindestens einem Gipfeltreffen mit seinem sowjetischen oder russischen Amtskollegen, einschließlich Eisenhower mit Chruschtschow, Reagan und George H.W. Bush mit Gorbatschow und Clinton mit Jelzin.
“Gipfeltreffen” unterscheiden sich mit ihren langen Tagesordnungen sowie den politischen und medialen Ritualen von ”gelegentlichen” Treffen am Rande von anderen Ereignissen. Gipfeltreffen und haben meist mehrere Ziele:
- – die Festigung der gegenseitigen ”Sicherheitspartnerschaft” zwischen den beiden Führungen,
- – Verbesserung der Beziehungen durch das was als ”Entspannung” bekannt wurde;
- – Verbesserung der persönlichen politischen Stellung jeweils zu Hause und in der Welt;
- – Versendung eine Botschaft an ihre jeweiligen Eliten und Bürokratien, dass sie die Entspannungspolitik nicht behindern oder gar sabotieren dürfen.
Die Tagesordnungspunkte der Gipfel haben sich im Laufe der Jahrzehnte verändert, einige waren durch laufende regionale oder andere Themen geprägt.
Aber in einem Punkt waren sie sich— von Eisenhower und Chruschtschow in den 1950ern bis hin zu Obama und dem Präsident Medwedew im Jahr 2009 — stets einig: Kontrolle und Abbau der akuten Gefahren durch das nukleare Wettrüsten der beiden Supermächte. …
Mehrere Gipfel erzielten letztendlich historische Errungenschaften:
Der “Geist von Camp David” des Eisenhower-Chruschtschow-Treffens in den 1950er Jahren verringerte die Gefahren aus der beiderseitigen Sprachlosigkeit des Kalten Krieg, die bis zu Stalins Tod 1953 vorherrschte. Und Camp David eröffnete neue Möglichkeiten für “friedliche Koexistenz”.
Nixon und Breschnew begründeten die moderne Tradition der Entspannung in den 1970er Jahren und gaben den Gipfeltreffen eine größeren Rolle in diesem Prozess.
Reagan, Bush und Gorbatschow verkündeten nach mehreren Gipfeltreffen das Ende des Kalten Krieges.
Andere Gipfel hatten durchaus fragwürdige Folgen:
Das hoch gepriesenen Clinton-Jelzin-Treffen hatte eher die Rolle einer Dekoration hatte für Clintons “der-Sieger-bestimmt-alles”-Ansatz gegenüber dem geschwächten postsowjetischen Russland.
Der “Reset”-Gipfel Obamas mit Medwedew war vom Weißen Haus eher schlecht als recht konzipiert und durchgeführt.
Putin hatte während seiner 18 Jahre als russischer Präsident zwei Gipfeltreffen mit amerikanischen Präsidenten, aber beide sind größtenteils vergessen oder schlecht in Erinnerung: das Treffen mit Clinton in Moskau im Jahr 2000 und das mit George W. Bush in Washington und zuletzt auf dessen Texas Ranch 2001.
Clinton und Bush sprachen zu Anfang positiv über Putin, aber natürlich heute nicht mehr.
Beim Gipfel mit Putin am 16. Juli wird Trump das erste Mal mit ihm zusammen sitzen, auch wenn die beiden vor einem Jahr beim G-20-Treffen in Deutschland ein längeres „setzen-Sie-sich-Gespräch“ hatten.
Ein Trump-Putin-Gipfel wird in vielerlei Hinsicht seinen zahlreichen Vorgängern ähneln, aber auch in zweierlei Hinsicht einzigartig sein:
Selten, wenn überhaupt jemals vorher, waren die amerikanisch-russischen Beziehungen so gefährlich herunter gekommen. Und niemals zuvor war ein amerikanischer Präsident mit so viel verleumderischer Opposition und mit so wenig politischer Unterstützung von zu Hause zu einem sowjetischen oder ”postsowjetischen” Gipfel gegangen. Das ist für einen Oberbefehlshaber eigentlich eine unmögliche Situation.
Es gab in den letzten 75 Jahren kein Beispiel für Gipfeltreffen solcher Art: mit zwei Jahren Russiagate-Vorwürfen, wonach Trump eine “Putin-Marionette”, ein “Quisling” oder ein sonst “landesverräterischer” Präsident sei.
Wie bereits in einem früheren Kommentar angedeutet: Alle Trump-Putin-Vereinbarungen, die die amerikanische und internationale Sicherheit stärken, hätten bei früheren US-Präsidenten zu Hause grossen Applaus bekommen. Aber diesmal werden solche Vereinbarungen von den meisten Vertretern des parteiübergreifenden politischen Medien-Establishments bestenfalls als “eine große Illusion” angeprangert. Im schlimmsten Fall werden sie als verräterische Handlung des “nützlichen Idioten” gewertet, der Putin für seine Missetaten „lobt“, “Putin freie Hand” gibt und “unsere engsten Verbündeten in Europa“ verärgert. ..
Unter anderen Umständen würden wir vernünftigerweise erwarten, dass ein Trump-Putin-Gipfel zur Verringerung und Bewältigung der Gefahren beiträgt, Gefahren durch
- neue Atomwaffen,
- die alarmierende Nähe der US- und russischen Streitkräfte und ihrer Stellvertreter in Syrien,
- die Bürger- und Stellvertreterkriege in Syrien,
- den Ukraine-Konflikt,
- die Militärübungen in der Nähe von Russlands Grenzen sowie
- den fast vollständigen Abbruch der Diplomatie zwischen Moskau und Washington durch große Ausweisungen von Diplomaten auf beiden Seiten.
In der Vergangenheit haben Gipfeltreffen solche Krisen oft verringert, aber die sich immer weiter abzeichnende Russiagate-Krise macht das “Führungstreffen an der Spitze” auch in dieser Hinsicht beispiellos.
Noch ist Putin selbst immun. Abgesehen von mangelnden Fakten oder mangelnder Logik für den Vorwurf, er habe während der Präsidentschaftswahl 2016 die “amerikanische Demokratie angegriffen”, würde ein gescheitertes oder diskreditiertes Gipfeltreffen Putins seine Position im eigenen Land weiter schwächen. Hardliner in Russlands militärischem (und intellektuellem) Establishment glauben weiterhin, dass Putin seine frühen “Illusionen” über Verhandlungen mit einem immer tückischen Washington nie richtig losgeworden ist, und dass der von Russland geplagte Trump nicht in der Lage sein würde, die auf dem Gipfel eingegangenen Verpflichtungen zu erfüllen.
Inzwischen wird Putins immer noch sehr hohe Popularität zu Hause durch eine längst fällige Entscheidung ausgehöhlt, das Rentenalter für russische Bürger schrittweise zu erhöhen – von 55 für Frauen und 60 für Männer, ein seit vielen Jahrzehnten als notwendig angesehener Plan.Aber so vernünftig und notwendig diese Entscheidung auch sein mag, Proteste sind bereits im Gange und breiten sich aus.
Angesichts der beispiellosen Gefahren durch die schlechten amerikanisch-russischen Beziehungen ist ein Trump-Putin-Gipfel trotz alledem unerlässlich.
Dieser Artikel war erstmals publiziert von The Nation und wurde übersetzt (wb) sowie auf unserer Homepage veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Autoren.
Quelle: Stephen F. Cohen: Who’s Afraid of a Trump-Putin Summit? in: The Nation, 27.07.2018
Stephen F. Cohen, emeritierter Professor für russische Studien und Politik an der New York University und Princeton; seit fünf Jahren diskutiert er mit John Batchelor wöchentlich eine Diskussion über den “neuen amerikanisch-russischen Kalten Krieg”. (Sie können frühere Berichte bei TheNation.com nachlesen)