Auf dem Internet-Workshop “Wie weiter mit dem Atomwaffenverbotsvertrag?” vom 09. Juni 2022, der von der FES auch als YouTube Video ins Netz gestellt wurde, gab Dr. Thomas Hajnoczi – Botschafter i.R. und ehem. Leiter der Delegation Österreichs bei den Verhandlungen zum Atomwaffenverbotsvertrag (AVV) — eines der drei Einführungsstatements. Er stellte uns freundlicherweise seine Vortragsnotizen zum Nachlesen zur Verfügung:
Wie kam es zum Atomwaffenverbotsvertrag?
– Es gab drei internationale Konferenzen über die humanitären Auswirkungen von Atomwaffen, 2013/2014 nahm auch Deutschland teil). Ergebnisse u.a.:
nuklearer Winter, Durchschnittstemperatur sinkt um 7 Grad, Missernten, stark erhöhte Lebensmittelpreise, die sozial Schwachen und die ärmsten Länder können sich nicht mehr das Überlebensnotwendige leisten, viele verhungern – bei 100 Atomwaffendetonationen in einer Auseinandersetzung zwischen Indien und Pakistan würden ca. 2 Mrd. Menschen weltweit sterben.– Open-ended Working Group on Nuclear Disarmament:
Angesichts der jahrzehntelangen Nichterfüllung der im Nichtweiterverbreitungsvertrag (NVV) festgelegten Abrüstungsverpflichtung der Nuklearwaffenstaaten und des Ausbleibens von multilteralen Abrüstungsverhandlungen wurde dieses Diskussionsforum durch die UN-GV geschaffen. DE nahm an der Diskussion teil. Im Schlussbericht war als einer der Aktionspunkte die Ausarbeitung des Atomwaffenverbotsvertrags (AVV) enthalten, das war zuviel für DE.
Österreich brachte in der UN-GV im Herbst 2016 eine Resolution ein, die von der UN-GV am 24. Dezember 2016 mit klarer Mehrheit beschlossen wurde und zur Einberufung einer Verhandlungskonferenz unter der Ägide der VN-GV im Jahr 2017 führte.
2017 fanden die Verhandlungen in New York bei den VN statt, an denen leider DE – im Gegensatz zu seinem sonstigen Engagement für den effektive Multilateralismus – nicht teilnahm. Am 7.7.2017 wurde der erarbeitete Abkommensentwurf von 122 Staaten angenommen, nur die Niederlande, die an den Verhandlungen im Gegensatz zu DE teilgenommen hatten, stimmten dagegen. Völkerrechtliches Inkrafttreten 6 Monate nach Vorliegen der 50. Ratifikation im Jänner 2021.
Bis zum AVV waren die Nuklearwaffen die einzige Klasse von Massenvernichtungswaffen, die nicht verboten waren. Wie sich schon bei der Chemiewaffenkonvention gezeigt hat, kommt es erst zur Eliminierung, wenn eine Verbotsnorm geschaffen wurde. Diese ist selbst noch nach Erreichung einer nuklearwaffenfreien Welt notwendig, denn das Wissen und die Fähigkeit zum Bau von Atomwaffen bleibt.
COVID-bedingt Abhaltung des Ersten Vertragsstaatentreffen erst vom 21.-23.6.2022 in Wien.
DE nimmt als Beobachter teil. Es wird eine Politische Deklaration und ein Aktionsplan verabschiedet werden. Unter den konkreten Beschlüssen wird es zur Errichtung eines wissenschaftlichen Beraterausschusses kommen. Dies ist deshalb beachtlich, weil seltsamerweise bisher keine derartige wissenschaftliche Beratung im Bereich der nuklearen Abrüstung existiert hat.
Der Grund dafür ist das Streben der Nuklearwaffenstaaten, die nukleare Abrüstungsdiskussion möglichst im geschlossenen Kreis von Diplomaten und Militärs zu halten. Anders als beim älteren NVV, der im AVV ausdrücklich als Grundpfeiler des AVV und der gesamten nuklearen Abrüstung gewürdigt wird, wird die Zivilgesellschaft und Akademia beim 1. Vertragsstaatentreffen aktiv mitwirken können. Der AVV ist einer jener Verträge, der zur Umsetzung der Verpflichtungen zur nuklearen Abrüstung im NVV nötig sind, und der NVV ist natürlich vollkommen kompatibel mit dem NVV.
Beim 1. Vertragsstaatentreffen wird ein Beschluss zu Opferhilfe- und Umweltsanierung getroffen werden. Der AVV ist der erste nukleare Abrüstungsvertrag, der dieses zentrale Thema behandelt. Zu weiteren wichtigen Fragen der Vertragsumsetzung wird ebenfalls diskutiert und etwas beschlossen werden.Am 20. Juni wird in Wien die Konferenz über die humanitären Auswirkungen von Atomwaffen stattfinden. Vom 21.-23. Juni dann das 1. Vertragsstaatentreffen. Das Interesse ist riesig, es haben sich an die 1200 Teilnehmer registriert, was die Organisatoren vor Probleme stellt. Folgende Beobachter aus NATO-Staaten haben sich bisher formell angemeldet: BE, DE, NL, NO; Von außerhalb AUS sowie zahlreiche Entwicklungsländer.
Quelle: Manuskript von Dr. Thomas Hajnoczi, Botschafter i.R. und ehem. Leiter der Delegation Österreichs bei den Verhandlungen zum Atomwaffenverbotsvertrag (AVV).
Weitere Beiträge von Thomas Hajnoczi zum AVV: