OSZE organisiert Dialog zwischen Regierung und Opposition
Die Information über diese wahrhaftig entspannungspolitische Initiative der OSZE fanden wir nicht in deutschen Medien, sondern in einer Pressemitteilung des Internationalen Sekretariats der Parlamentarischen Versammlung der OSZE (OSZE-PV) über den Besuch von Sviatlana Tsikhanouskaya und ihres Beraters, Franak Viacorka in deren Büro in Kopenhagen am 22.10.2020. Es handelt sich dabei um ein Follow-up des Dialogs zwischen Opposition und offiziellen Vertretern von Belarus, den das Sekretariat der Parlamentarischen Versammlung der OSZE (OSZE-PV) in Kopenhagen am 23. September 2020 organisiert hatte.
Da die Info über diesen von der OSZE-PV organisierten inner-belarussischen Dialog weder von deutschen Medien noch Parteien öffentlich aufgegriffen oder unterstützt wurde, veröffentlichen wir hier (von uns ins Deutsche übertragene) Auszüge aus der OSZE-Presseinformation und einen LINK zum Video mit der vollständigen Diskussion. Wir hoffen, dass mit dieser Info mehr über die Nutzung von Möglichkeiten zur Förderung von Dialog und Verständigung nachgedacht wird, um „Entspannungspolitik von unten“ zu unterstützen, nicht nur in Belarus, sondern auch in und mit Russland.
Presseinformation über die vom OSZE-PV-Büro in Kopenhagen organisierte Diskussion zwischen Andrei Savinykh, Leiter der OSZE-PV-Delegation von Belarus und Sviatlana Tsikhanouskaya, der im Exil lebenden Oppositionsführerin von Belarus sowie OSZE-PV-Mitgliedern:
KOPENHAGEN, 23. September 2020 – Der Präsident der Parlamentarischen Versammlung der OSZE, George Tsereteli (Georgien), und ihr Generalsekretär, Roberto Montella (Italien), eröffneten heute ein Web-Meeting mit dem belarussischen Delegationsleiter Andrei Savinykh, der Präsidentschaftskandidatin der belarussischen Opposition, Sviatlana Tsikhanouskaya, und Mitgliedern des OSZE-PV-Büros, um zum Aufbau eines Dialogs im gemeinsamen Interesse aller Seiten beizutragen. Nach wochenlanger Polarisierung in Belarus, die von Straßenprotesten, Gewalt und Massenverhaftungen geprägt war, ist es dringend notwendig, gemeinsame Grundlagen zu finden, die das Land voranbringen, betonten die beiden führenden Vertreter der OSZE-Parlamentarierversammlung.
(Anmerkung: An der Diskussion, die in Übereinstimmung aller Teilnehmenden als Video veröffentlicht wurde, beteiligten sich neben den OSZE-Organisatoren Roberto Montella und George Tsereteli bzw. den Vertretern der Opposition Sviatlana Tsikhanouskaya und dem belorussischen Delegationsleiter Andrei Savinykh auch Pia Kauma (Finland), Richard Hudson (USA), Kari Henriksen (Norwegen), Doris Barnett (Deutschland, MdB/SPD), Azay Guliyev (Azerbaijan), Peter Lord Bowness (UK), Margareta Cederfelt (Schweden) und Ditmir Bushati (Albanien)).
In ihrem Eröffnungsstatement sagte Sviatlana Tsikhanouskaya, die jüngsten Ereignisse in Belarus hätten alles bisher Erlebte übertroffen. Die Wahlen am 9. August seien sowohl am Wahltag als auch zuvor durch Unregelmäßigkeiten sowie Ausschluss von Kandidaten beeinträchtigt worden. Nachfolgende Demonstrationen seien auf staatliche Repression getroffen, betonte sie, was die Entschlossenheit des belarussischen Volkes für einen demokratischen Wandel verstärkt hätte.
Ihrer Meinung nach habe Alexander Lukaschenko die Unterstützung der belarussischen Gesellschaft verloren, deshalb hätte sie am 14. August einen Koordinierungsrat einberufen, um den Regierungswechsel zu erleichtern. Das Land befinde sich in einer schweren politischen Krise, die einzig über eine Neuwahl gelöst werden könnte. Die OSZE habe eine Rolle bei der Erleichterung von Dialog und Durchführung fairer Wahlen, sagte sie und drückte ihre Unterstützung für den Schritt von 17 OSZE-Teilnehmerstaaten aus, am 17. September den Moskauer Mechanismus einzuberufen, um mutmaßliche Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen. “Wir haben das Recht auf freie und faire Wahlen und wir werden das erreichen. Wir sind fest in unserer Entschlossenheit das durchsetzen,” sagte Tsikhanouskaya.
Andrei Savinykh bestritt die Behauptung, die Wahlen im August seien rechtswidrig gewesen, und betonte die Wählerbefragung nach den Wahlen, die eine breite Unterstützung für den Amtsinhaber gezeigt hätten. Er betonte, dass Versuche, die Macht mit verfassungswidrigen Mitteln zu übernehmen, gesetzlich verboten und strafbar seien.
Andrei Savinykh betonte, dass Belarus einige Verfassungsänderungen bis 2022 plane, um das politische System zu liberalisieren, die Macht vom Präsidentenamt auf das Parlament zu übertragen und ein ausgewogeneres Verhältnis zwischen den drei Gewalten zu erreichen sowie die Rolle politischer Parteien zu stärken. Es sei auch notwendig, das Gesetz über Großkundgebungen zu modernisieren, zumal bisher Demonstrationen von den lokalen Behörden größtenteils nicht genehmigt werden. “Wir können alle diese Änderungen nur durch einen friedlichen, normalen Dialog zwischen den Akteuren in Belarus umsetzen – Akteuren, die daran interessiert sind, im Interesse des ganzen Landes Ergebnisse zu erzielen”, sagte er.
In der Diskussion ergriffen zehn Mitglieder des Präsidiums der Parlamentarischen Versammlung der OSZE (OSZE-PV) das Wort u.a. zur Notwendigkeit eines Dialogs ohne Vorbedingungen. Keine Seite sollte Gesprächspartner ausschließen und beide Seiten sollten sich bemühen, einen kreativen Mechanismus für Diskussionen zu finden. Sie betonten die Unterstützung der Zivilgesellschaft und die konstruktive Rolle der OSZE. Alle OSZE-Länder hätten sich zur Achtung der Menschenrechte verpflichtet. Die Mitglieder des OSZE-Präsidiums stellten fest, dass Berichte über Misshandlungen in belarussischen Gefängnissen beunruhigend sind.
OSZE-PV-Präsident Tsereteli betonte, die Behörden von Belarus müssten einen konstruktiveren Weg finden. Es sei auf beiden Seiten ein Engagement bei der Suche nach Gemeinsamkeiten erforderlich, und die OSZE-PA sei gut geeignet, diesen Prozess zu fördern und zu unterstützen.
Savinykh meinte, es gebe Probleme in Bezug auf die Aussicht auf direkten Dialog mit dem Koordinierungsrat, da er außerhalb der Rechtsstruktur des belarussischen politischen Systems liege. Er betonte aber, dass die Regierung bestrebt sei, im Interesse der belarussischen Gesellschaft zu handeln. Savinykh betonte, dass die Menschenrechte eine grundlegende Verpflichtung seien, und dass es in Belarus Bedarf für die Entwicklung der Menschenrechtsstandards gebe. Für ihre Weiterentwicklung bedürfe es formeller Rechtsverfahren, und er benannte in diesem Zusammenhang Pläne zur Reform der Verfassung und zur Änderung des Wahlgesetzes.
Tsikhanouskaya betonte, dass es für die vielen Oppositionsführer im Gefängnis eine Amnestie geben müsse, damit ein ernsthafter Dialog stattfinden könne.
Mitglieder des PV-Büros der OSZE sagten zu, Anstrengungen zu unternehmen, um die Diskussionen zwischen den Behörden und der Opposition fortzusetzen, selbst wenn sie nicht über offizielle Kanäle erfolgten. Der informelle Dialog müsse ohne Vorbedingungen in kleinen Schritten geführt werden, um die notwendigen Vertrauensbildung zu entwickeln.
Quellen:
Þ 2020-10-22. – (OSZE-PV) – Generalsekretär der OSZE-PV, Montella, trifft sich in Kopenhagen mit der belarussischen Oppositionsführerin Tsikhanouskaya
2020-09-23. – (OSZE-PV) – Das Büro der Parlamentarischen Versammlung der OSZE organisiert Diskussion zwischen dem belarussischen OSZE-PV-Delegationsleiter und der im Exil lebenden Oppositionsführerin sowie fordert Fortsetzung des Dialogs
Weitere Infos:
- 2020-11-05. — (ODHIR / OSZE-Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte) — Bericht des OSZE-Berichterstatters … über mutmaßliche Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen vom 9. August 2020 in Belarus
- OSZE / ODIHR Website über die „Human dimension mechanisms“
- Pressemitteilungen des Sekretariats der OSZE-PV in Kopenhagen
- 2020-10-16. – (OSZE-PV) – führende Vertreter der Parlamentarierversammlung der OSZE fordern am Vorabend des 30-jährigen Jubiläums der Pariser Charta die Stärkung der politischen Verantwortung für die Wiederbelebung des Vertrauens und der Zusammenarbeit
- 1990-11-21. — (OSZE) – CHARTA VON PARIS FÜR EIN NEUES EUROPA (Wortlaut)