Zwischen US-Demokraten und Zivilgesellschaft der USA beginnt zur Zeit erneut die Debatte über die grundlegende Korrektur der US-Nuklearpolitik. Die Juni/Juli-Ausgabe 2019 des unter »progressiven« Demokraten oft gelesene Monatsmagazin »The Progressive« setzte einen Auftakt zur Debatte über eine Wende der Atomwaffenpolitik der USA mit dem Aufruf von Ira Helfand: "Ban the Bomb Before our Luck Runs Out!", den wir - mit Dank an Herausgeber und Autoren - mit dem Titel »Verbietet die Bombe – bevor es zu spät ist« in deutscher Sprache veröffentlichen.
ICAN-Fotoaktion gegen neues Wettrüsten am 1. August 2019
Der INF-Vertrag zum Verbot von Mittelstreckensystemen war seit 1988 ein Meilenstein der Abrüstung zwischen Russland und den USA. Nach gegenseitigen Vorwürfen zu Vertragsverletzungen hat US-Präsident Trump am im Oktober 2018 angekündigt aus dem Vertrag auszusteigen. Der Vertrag endet dementsprechend fristgerecht am 2. August 2019.
Mit der Fotoaktion am 1. August 2019 vor der US-Botschaft am Pariser Platz in Berlin verdeutlichen die Friedensorganisationen ICAN Deutschland, IPPNW und DGF-VK: Statt abzurüsten, befinden sich die USA und Russland in einem neuen Wettrüsten. Wir sagen Nein zu diesem nuklearen Armdrücken! Wir fordern: Keine neuen Mittelstreckenraketen in Europa. Notwendig ist ein neuer Abrüstungsvertrag für Atomwaffen und die Unterzeichnung des UN-Atomwaffenverbotsvertrags durch alle Staaten!
ICAN über 2 Jahre UN-Atomwaffenverbotsvertrag
ICAN berichtet aus Anlass des 2. Jahrestags des Abschlusses der Verhandlungen der UNO über den Text des Atomwaffenverbots in einem Rundbrief über die Ergebnisse der Arbeit gegen Atomwaffen:
Berlin für Atomwaffenverbot
Die Abrüstungsorganisationen ICAN und IPPNW begrüßen den Beschluss des Berliner Abgeordnetenhaus zum Atomwaffenverbot vom 09. Mai 2019. Das Parlament hat den Berliner Senat aufgefordert, sich auf Bundesebene für eine deutsche Unterzeichnung und Ratifizierung des UN-Vertrages über das Verbot von Atomwaffen einzusetzen sowie den ICAN-Städteappell zu unterzeichnen.
Harald Kujat: Politische Strategie zum “Erhalt des INF-Vertrags”
In einem Beitrag für das deutsch-russische Forum formuliert Harald Kujat, General a.D., 2002 bis 2005 Vorsitzender des NATO-Militärausschusses, "Elemente einer politischen Strategie", mit denen die deutsche Politik "auf pragmatische und konstruktive Weise" mit Russland den Ausgleich im "Sinne gemeinsamer Sicherheit für ganz Europa" suchen sollte:
IPPNW: Keine Stationierung von Kurz- und Mittelstreckenraketen in Europa
05.05.2019 Die ärztliche Friedensorganisation IPPNW hat die Bundesregierung auf ihrer Mitgliederversammlung am Wochenende in Stuttgart aufgefordert, die Stationierung von Kurz- und Mittelstreckenraketen in Deutschland nach dem Aussetzen des INF-Vertrages dauerhaft auszuschließen.
Jimmy Carter fordert „Politik der Kleinen Schritte“ gegenüber Nordkorea
Der ehemalige Präsident Jimmy Carter fordert in einem Interview für die Frühjahrstagung des geschäftsführenden Vorstands der Nuclear Threat Initiative (NTI) eine „Schritt-für-Schritt-Strategie“ gegenüber Nordkorea, der über Aufhebung der Sanktionen bis zu einem Friedensvertrag und zum Verbot von Atomwaffen in dem Land bei einer Nicht-Angriffs-Garantie der Vereinigten Staaten führen könnte.
Washington Post: Ohne INF-Vertrag neue Raketenmächte in Europa!
In der bisherigen Debatte über die Folgen eines endgültigen Ausstiegs von USA und Russland aus dem INF-Vertrag stand meistens die Sorge im Mittelpunkt, dass damit das Tor für ein hemmungsloses atomares Wettrüsten zwischen USA und Russland mit nuklearen Mittelstreckenraketen geöffnet würde Aber dabei wurde offenbar vergessen, dass auch weitere 11 Nachfolgestaaten der Sowjetunion von den Fesseln des INF-Vertrages „befreit“ würden – und dass der INF-Vertrag auch landgestützte konventionelle Mittelstreckenraketen verbietet.
1. Juni 2019: Aktionstag gegen Atomwaffen – INF-Vertrag retten, Atomwaffen abrüsten
Vor Ablauf der "Austrittsfrist" des INF-Vertrages am 01. August 2019 - wird es am 1. Juni 2019 einen bundesweiten Aktionstag gegen ein neues atomares Wettrüsten und für eine atomwaffenfreie Welt geben. Nach formeller Auflösung des INF-Vertrages wären alle rechtlichen Hindernisse für neue Mittelstreckenraketen in Europa beseitigt. Deshalb ist eine drängende Forderung an die USA und Russland: "Der INF-Vertrag einschließlich der gegenseitigen Überprüfungs- und Überwachungsmaßnahmen muss erhalten bleiben." Vor allem vor den Botschaften und Landesvertretungen der USA und Russlands sollen Proteste stattfinden. In Berlin, Hamburg, Düsseldorf, Bonn, Frankfurt und München laufen bereits die Planungen....
Ist Russland allein für Verletzung des INF-Vetrages verantwortlich?
“Ist allein Russland für die INF-Vertragsverletzungen verantwortlich?”
Wir veröffentlichen im folgenden einige Ergebnisse seiner Untersuchungen in deutscher Übersetzung:
Ein kürzlich in der New York Times erschienenes Editorial bedauerte die Entscheidung der Trump-Administration, den historisch wegweisenden Vertrag über die Abrüstung und Verschrottung aller atomaren Mittelstreckenraketen (INF) zu kündigen, den der sowjetische Generalsekretär Michail Gorbatschow und Präsident Ronald Reagan vor 31 Jahren unterzeichnet hatten. Wie die New York Times zu Recht feststellt, “beseitigte der Vertrag eine ganze Klasse von Waffen, etwa 2.692 Bodenraketen, die im Bereich von etwa 300 bis 3.000 Meilen und fliegen können sowie ihre Abschussgeräte.“
Aber obwohl der Herausgeberkreis der Times zurecht das offenbar mangelnde Interesse der Trump-Administration an einer dauerhaften diplomatischen Anstrengung zur Rettung des Vertrages kritisiert, hat er nicht überzeugend erläutert, worum es im Kern des Streits zwischen Russland und den Vereinigten Staaten über die Frage der Einhaltung der Vertragsbestimmungen eigentlich geht.
Laut Times besteht der Kern des Streits darin, dass Russland russische SSC-8-Marschflugkörper entwickelt hat, die nach Angaben der US-amerikanischen Behörden in der Lage seien, sowohl nukleare als auch konventionelle Sprengköpfe zu transportieren und „mit einer Reichweite zwischen 300 und 3.000 Meilen getestet worden seien, also mit einer durch den [INF]-Vertrag verbotenen Reichweite.”
Russland beklagt seinerseits auf die amerikanische Sationierung von Aegis-Raketenabwehranlagen in Osteuropa als potentielle Vertragsverletzungen. Die Times erwähnt hin, dass Moskau befürchte, die Aegis-Systeme könnten “zum Abfeuern von offensiven Mittelstreckenraketen” eingesetzt werden und damit den INF-Vertrag verletzen, meint aber, das werde von “den meisten unabhängigen Experten” bestritten.
Man kann sicher unterschiedlicher Meinung sein über das Verhalten beider Seiten in Bezug auf die Einhaltung der INF-Regeln, aber es ist nicht überzeugend, wenn die Times ungenannte “Experten” als Beweis dafür anführt, dass allein das Verhalten der Russland in dieser Sache falsch sei.
Hier einige Fakten, die die New York Times nicht mit ihren Lesern teilen wollte:
Das ballistische Raketenabwehrsystem Aegis der US-Marine besteht aus einem leistungsstarken elektronisch scannenden Radar und einer Anordnung von etwa 64 Raketen enthaltenden Kanistern. Wenn sie in ihrer sogenannten “Aegis Afloat”-Konfiguration an Bord eines Schiffes installiert werden, sitzen diese 64 Raketenträgerkanister vertikal im Rumpf einer einzigen großen Baugruppe aus acht vorgefertigten standardisierten Modulen, die jeweils acht Kanister enthalten. Diese standardisierten vertikalen Kanister und Kanistermodule sind von vornherein so konfiguriert, dass sie sowohl Flugabwehr- und Raketenabwehrraketen als auch Marschflugkörper abfeuern.
Die Vereinigten Staaten haben ein landgestütztes Raketenabwehrsystem „Aegis Ashore“ in Rumänien stationiert und sind gerade dabei, ein anderes in Polen zu stationieren. Die Erstinstallation in Rumänien umfasst 24 Raketenträgerkanister in drei vorgefertigten Acht-Kanister-Modulen, die aber sehr schnell auf weit über hundert oder möglicherweise sogar Hunderte von Raketenwerfern erweitert werden, indem man einfach vorgefertigten Acht-Kanister-Module hinzufügt.
Bei diesen Installationen werden einfach alle standardisierten Komponenten, die normalerweise zu einem mit Aegis bewaffneten Schiff gehören würden, auf den Bodenstützpukten installiert. Die US-Militärs behaupten, das Aegis-System verstoße nicht gegen den INF-Vertrag, da dem System “Software, Feuerleithardware, Hilfsausrüstung und andere Infrastruktur” fehlten, die zum Starten von offensiven Marschflugkörpern erforderlich wären – aber die Modifizierungen, um die Bodenstützpunkte als Abschusseinrichtungen „Cruise-Missile-fähig“ zu machen, sind ziemlich simpel könnten leicht vorgenommen werden. Solche Marschflugkörper hätten Eigenschaften, die denen der russischen SSC-8 ziemlich nahe kommen.
Die Russen haben zu Recht die Frage aufgeworfen, ob das Aegis-Ashore-System eine Vorbereitung für die Verletzung des INF-Vertrags darstellen könnte. Die Besorgnis Russlands wird außerdem durch die Tatsache gestützt, dass das Aegis-Radar nicht in der Lage ist, angreifende ballistische Langstreckenraketen aus ausreichender Entfernung zu identifizieren, um den Raketenabwehrraketen genügend Zeit zu geben, die abzufangende Rakete an den Abfangpunkten zu treffen.
Aus rein technischer Sicht scheint es daher so zu sein, dass das Aegis-Landsystem wenig oder gar keine wirklichen Raketenabwehrfähigkeiten gegen Langstreckenraketen besitzt.
Tatsächlich hat das US-Verteidigungsministerium nicht klassifizierte Studien (unclassified studies) veröffentlicht, die wegen des äußerst unzureichenden Radars Zweifel an der Fähigkeit des Aegi-Systems, Langstreckenraketen abzufangen, wecken. Das (landgestützte) Aegis Ashore-System enthält alle unveränderten Komponenten des (seegestützten) Aegis-Systems, die ebenso für die Raketenabwehr konfiguriert sind wie auch mit einfachen Modifikationen landgestützte Cruise-Missiles abfeuern könnte.
Wenn Russland solche Systeme an seinen Grenzen zu Europa stationieren würde, würden die Vereinigten Staaten zu solchen Aktionen zweifelsohne Fragen aufwerfen.
Die politische Situation in Russland ist bedrohlicher als je zuvor, und es gibt durchaus Gründe sich Sorgen über das russische Verhalten zu machen. Es wäre daher gut, wenn die “unabhängigen Experten”, auf die sich die New York Times beruft, und wenn die Times selbst die Frage stellen würden, ob die amerikanische Seite etwas unternommen hat, das die Russen provoziert. Dies ist keine überflüssige Frage zu einer Zeit, in der die Gefahr eines Unfalls, der zu einem Atomkrieg führen kann, von Tag zu Tag zunimmt, während beide Seiten weiterhin übereinander statt miteinander reden.
Der Beitrag erschien am 17.01.2019 in “The Nation” unter dem Titel:
- « Vorherige Seite
- 1
- …
- 7
- 8
- 9
- 10
- 11
- …
- 15
- Nächste Seite »