Im Dossier der ZEIT vom 14. Februar 2018 veröffentlichten die drei aussenpolitischen Redakteure der ZEIT, Jochen Bittner, Matthias Naß und Gero von Randow, einen ausführlichen Bericht über die Gefahren des neue angelaufenen nuklearen Wettrüstens. Ihre Analyse erinnert an die schlimmsten Zeiten des Kalten Krieges.
Wolfgang Ischinger, der Leiter der Münchener Sicherheitskonferenz, warnte einige Tage später ebenso, die Kriegsgefahr sei lange nicht so hoch gewesen: “Das Misstrauen beispielsweise zwischen der Militärführung in Washington und in Moskau ist abgrundtief! Es könnte gar nicht schlimmer sein. Die Kontakte, die es früher zuhauf gab, sind im Wesentlichen eingefroren….” Die Analyse aus der ZEIT beschreibt die internationale Lage nicht weniger dramatisch. Hier einige Auszüge:
Atomwaffen sind eine verdrängte Wirklichkeit. Und alles Verdrängte kommt irgendwann wieder. Mit dem Ende des Kalten Krieges schwand auch die Angst vor einem Atomkrieg. Doch jetzt ist die Angst zurückgekehrt. Das Schlimme ist: Sie ist berechtigt….
Mitte Januar 2018 hielt die amerikanische Seuchenschutzbehörde einen Workshop für Ärzte und Regierungsangestellte ab, die lernen sollten, was sie bei einer nuklearen Detonation tun können.
Ein paar Tage zuvor war in Hawaii Panik ausgebrochen: An einem friedlichen Samstag-morgen, kurz nach acht Uhr, gaben auf den Inseln mitten im Pazifik plötzlich alle Mobiltelefone Signal. Eine “Notfallwarnung” erschien auf den Displays: “Ballistische Raketen im Anflug auf Hawaii. Suchen Sie sofort Schutz. Dies ist keine Übung.” . …
Ein gefährlicher Pfad
Atomare Massenvernichtungswaffen mit einer Stärke wie die jener Bombe, die Hiroshima zerstörte, werden von Experten heute als “kleine Bomben” bezeichnet, denn moderne Sprengköpfe können mehr als hundertmal so stark sein. Ein anderer Begriff für die Waffen der Hiroshima-Größe lautet “taktische Bomben”. Er klingt beruhigend, denn er suggeriert, man könne solche Bomben in einem Konflikt punktuell einsetzen, ohne den großen Vernichtungskrieg heraufzubeschwören.
In einem Moment seltener Offenheit räumte Trumps Verteidigungsminister James Mattis kürzlich ein: “Es gibt keine taktischen Nuklearwaffen. Jede Nuklearwaffe, die eingesetzt wird, ändert die strategische Lage.” In der Tat: Kommt es zu einem Atomschlag, welcher Stärke auch immer, muss mit dem Gegenschlag gerechnet werden. Und schon wenige nukleare Explosionen könnten die ganze Welt im wörtlichen Sinne verfinstern. …
Die zwei atomaren Grossmächte
Moskau und Washington haben sich auf einen gefährlichen Pfad begeben. Sie sind dabei, neue Atomwaffen mit geringerer Sprengkraft zu entwickeln. Das macht die Bomben nicht weniger gefährlich. Im Gegenteil. Damit sinkt die psychologische und politische Schwelle, in einer Krise derartige Waffen auch einzusetzen. Womöglich als Erster. Beide Grossmächte lehnen es ab, verbindlich auf solch einen Erstschlag zu verzichten.
Im Dezember 2013 erklärte Russlands stellvertretender Ministerpräsident Dmitri Rogosin: Sollte sein Land mit konventionellen Waffen angegriffen werden, werde man “in bestimmten Situationen sicherlich auf den Einsatz von Atomwaffen zurückgreifen“. ….
Eskalieren, um zu deeskalieren
Und bis heute fliegen russische Bomber, die Atomwaffen tragen können, demonstrativ die Grenzen zu den Nato-Ländern ab.
Die Nukleardoktrin der anderen Seite, der Amerikaner, lässt sich in einem Dokument namens “Nuclear Posture Review” (NPR) nachlesen, das regelmäßig erneuert wird. In Trumps vor zwei Wochen veröffentlichter aktueller NPR ist ebenfalls von einer nuklearen Antwort auf konventionelle Attacken die Rede.
Das war zwar unter Obama auch schon der Fall, aber die Liste der potenziellen Anlässe für einen Atomangriff ist länger geworden. In der NPR heisst es nun: Russland und andere Mächte seien in der Lage, die Infrastruktur der USA oder ihrer europäischen Verbündeten lahmzulegen, etwa durch eine Cyberattacke. Auch unter solch “extremen Umständen” sei künftig ein Erstschlag denkbar….
Die neue Raketenkrise
Bereits vor sieben Jahren hatten der Obama-Regierung zufolge amerikanische Geheimdienste entdeckt, dass Russland eines der wichtigsten Abrüstungsabkommen verletzt – den Vertrag über Nukleare Mittelstreckenraketen (INF), den Präsident Ronald Reagan und der sowjetische Parteichef Michail Gorbatschow am 8. Dezember 1987 in Washington unterzeichnet hatten. Der INF-Vertrag verbietet Entwicklung, Tests und Produktion landgestützter Raketen mit einer Reichweite zwischen 500 und 5’500 Kilometern. Es war die erfolgreichste Abrüstungsvereinbarung aller Zeiten, sie beendete die Jahre der Angst in Europa. Bis zum Jahr 1991 wurden, wie verabredet, sämtliche 2’700 Raketen dieser Reichweite verschrottet….
Stimmen die Behauptungen der Amerikaner? Es bestehe “kein hundertprozentiger Konsens zwischen den relevanten Diensten“, heißt es hinter verriegelten Türen. Man sei skeptisch, schließlich habe man aus den Fehlern der amerikanischen Geheimdienste vor dem Irakkrieg gelernt. Aber plausibel seien die Vorwürfe durchaus….
Quelle:
Weitere Infos:
DLF, 16.02.2018, Interview mit Wolfgang Ischinger vor Beginn der Münchener Sicherheitskonferenz: “Das Risiko einer militärischen Konfrontation zwischen den Großmächten ist nach Einschätzung von Wolfgang Ischinger so groß wie seit dem Ende der Sowjetunion nicht mehr. Das liege auch daran, dass die USA sich aus ihrer Rolle als eine große Ordnungsmacht zurückgezogen hätten, sagte der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz im Dlf.” (Wolfgang Ischinger im Gespräch mit Christoph Heinemann)