Die Ende 1969 unter Bundeskanzler Willy Brandt begonnene Politik der Entspannung und Ostverträge erforderte als erstes eine Verständigung mit Moskau über Wege zur Überwindung unvereinbarer Rechtspositionen, die die Normalisierung der Beziehungen Deutschlands zu seinen östlichen Nachbarn seit Jahrzehnten blockierten:
Seit ihrer Gründung vertrat die Bundesrepublik die Rechtsposition, dass völkerrechtlich „Deutschland in den Grenzen von 1937“ bestehe und „erst nach einem Friedensvertrag mit einer gesamtdeutschen Regierung die deutsche Ostgrenze endgültig geregelt“ werden könnte. Obwohl westliche Verbündete seit Ende der 50er Jahre die Bundesregierung zur Aufgabe dieser Haltung drängten, u.a. weil die Nichtanerkennung der Grenzen insbes. Polen an die “Sicherheitsgarantie” der UdSSR binde, bekräftigte die Bundesrepublik diese Position regelmässig. Aus Sicht Moskaus, Warschaus und Ost-Berlins war die Rechtsposition, Deutschland existiere in den Grenzen von 1939, eine potentielle Bedrohung und völlig unvereinbar mit ihrer Forderung nach völkerrechtlicher Anerkennung der DDR und der Unveränderbarkeit der bestehenden Staatsgrenzen in Europa.
Erst nach intensiven Gesprächen Egon Bahrs mit der sowjetischen Führung Anfang 1970 gelang es, völkerrechtlich verbindliche Formulierungen für den Moskauer Vertrag (und die anderen Ostverträge) auszuhandeln: Einerseits vereinbarten sie den Verzicht auf Androhung oder Anwendung von Gewalt, die Anerkennung der Unverletzlichkeit der bestehenden Grenzen und die „Respektierung“ der DDR als gleichberechtigter souveräner Staat – andererseits formulierten sie die Möglichkeit der friedlichen Veränderungen im Konsens aller Beteiligten. Damit eröffneten und ermutigten die Ostverträge, die KSZE-Schlussakte den Weg zum friedlichen Wandel: durch Annäherung zwischen West und Ost, über blockübergreifende Verständigung über Problemlösungen in Brandt-Kommission, Palme-Kommission, Vereinbarungen über Rüstungskontrolle und „Nulllösungen“, Abbau von Feindbildern und Austausch zwischen den Menschen bis hin zum Fall der Mauer und Ende des Kalten Krieges.
In gewisser Analogie sind heute — seit der Eskalation des Ukraine-Konflikts und der russischen Intervention und Übernahme der Krim — die Beziehungen zu Moskau durch unvereinbare Rechtspositionen blockiert: Einerseits die Verletzung des Völkerrechts durch die Annexion der Krim durch Russland, andererseits die russische Darstellung der „Wiedervereinigung“ nach Wahrnehmung des „Selbstbestimmungsrechts“ der überwiegend russischen Bevölkerung der Krim durch eine „Volksabstimmung“. Weit verbreitet ist auf russischer Seite die Auffassung, der ehemalige (ukrainische) Generalsekretär der KPdSU, Nikita Chruschtschow — hätte rechtswidrig, ja ohne Zustimmung des Obersten Sowjet — 1954 die Krim an die Ukraine „verschenkt“, die zuvor 170 Jahre zu Russland gehört habe.
Vor diesem Hintergrund unvereinbarer Rechtspositionen empfahl Egon Bahr wiederholt, die Annexion der Krim nicht anzuerkennen, aber zu “respektieren”, um dadurch Wege zum Dialog und zu praktischen Vereinbarungen über grenzüberschreitende Erleichterungen im Interesse der Menschen zu öffnen — Lehre aus dem Wandel durch Annäherung….