“Die Kräfte des vorletzten Jahrhunderts sind wieder im Spiel. Aber ihre Einsätze sind viel höher.“
Mit diesen Worten kommentierte James Stavridis, ehemaliger Admiral der U.S. Navy und NATO-Kommandeur, in einem Beitrag für “Bloomberg.com” Pläne zur “Verkleinerung” der Atomwaffen. Er vergleicht die heutige Situation mit der, die zum 1. Weltkrieg geführt hatte. Wir übersetzen einige Absätze:
“In seinem brillianten Buch über die Ursachen des Ersten Weltkriegs, “Die Schlafwandler: Wie Europa 1914 in den ersten Weltkrieg zog”, sagt Christopher Clark: “Die Protagonisten waren Schlafwandler, wachsam, aber blind, besessen von Träumen, blind für die Realität des Horrors, den sie in die Welt bringen wollten.”
Als die prestigeträchtige Münchner Sicherheitskonferenz am Präsidenten-Wochenende zu Ende ging, hatten viele langjährige Beobachter das Gefühl, dass wir wieder in eine Konflikt schlafwandeln, den niemand will oder braucht – diesmal aber mit Atomwaffen. Die Korridore dieser Konferenz waren wie immer überfüllt und ähnelten einer Tanzfläche von politischen Aufsteigern. …
Am schlimmsten sind die immer mehr verbreiteten Rufe, unsere Ansichten über Atomwaffen zu “normalisieren”. Russland spielt weiterhin die nukleare Karte, und Wladimir Putin verpasst selten eine Gelegenheit, den Westen daran zu erinnern, dass ihm Zehntausende von Atomwaffen zur Verfügung stehen. Die russische Doktrin betont zunehmend den Einsatz sogenannter “low-yield” Waffen – Sprengköpfe, die auf weniger Zerstörungskraft als die Bomben auf Hiroshima und Nagasaki “heruntergeschaltet” werden können – als Ausgleich für die unterlegenen und schlecht trainierten konventionellen Streitkräfte Russlands. Umgekehrt modernisieren die USA ihr Nukleararsenal und reden über den Einsatz seegestützter Cruise Missiles, bei denen der Angegriffene nicht unterscheiden kann, ob auf ihn konventionelle oder taktische Atomwaffen gerichtet sind. Das ist ein destabilisierender Fehler.
Angesichts der neuen Nationalen Sicherheitsstrategie, der Nationalen Verteidigungsstrategie, der Nuclear Posture Review – angesichts eines Verteidigungsbudgets von 700 Milliarden Dollar und der vorgeschlagenen Kürzung von Diplomatie, Entwicklung und Entwicklungshilfe um jeweils 30% – muss jeder Beobachter den Eindruck bekommen, dass wir uns auf einen Krieg zwischen des Großmächten vorbereiten.
Was können wir tun, um einen potenziell verheerenden globalen Konflikt zu verhindern?
Besser zuhören! Ein Blick darauf, wie am vergangenen Wochenende die Führungspersonen aller Seiten aneinander vorbei redeten, bestätigt die dringende Notwendigkeit, die Menge an “übermittelten” von Botschaften bei der Kommunikation einfach zu reduzieren. In München beschrieben der russische Außenminister Sergej Lawrow und der ukrainische Präsident Petro Poroschenko den Krieg in der Südostukraine geradezu in diametralem Gegensatz. Poroschenko schwenkte eine EU-Flagge wie seine Mütze und flehte die EU an, “seiner Nation die Tür offen zu halten”. Lawrow machte für alles einfach die NATO verantwortlich. Keiner hörte auf nur ein einziges Wort, das der andere sagte.
Eine Reparatur dieser Unfähigkeit zum Zuhören muss nicht nur durch formale diplomatische Kanäle erfolgen, sondern auch durch Diplomatie “von unten” über akademische Institutionen, Think Tanks, Konferenzen, Sportdiplomatie und andere „weiche“ Wege. Und trotz aller Frustrationen mit mit der UNO bietet sie zumindest ein gemeinsames Forum zum miteinander Reden. Wie Churchill einmal sagte, ist „Gähn-Gähn“ besser als „Krieg-Krieg“. Er hatte recht.
Fokus auf Rüstungskontrolle. Alle Länder haben ein Interesse an Rüstungskontrolle, die die Kosten senkt, Vertrauen schafft und die Transparenz erhöht. Während eine Reihe großer Rüstungskontrollbemühungen zum Stillstand gekommen sind, darunter auch ein Follow-up in der Serie von START- Verträgen, konnten wir in relativ „kleineren“ Diskussionen ernsthaft über solche Dinge reden wie über Seepatrouillen und Interaktionen auf dem Meer; Verfahren zur Vermeidung von Zusammenstößen zwischen Militärjets; Entmilitarisierung der Arktis; und Vereinbarungen über weltraumgestützte Angriffssysteme. Wir haben seriöse Experten auf diesen Gebieten, vom früheren Verteidigungsminister Bill Perry bis zur ehemaligen stellvertretenden NATO- Generalsekretärin Sandy Vershbow. Nutzt ihre Fähigkeiten!….
Darüber hinaus fordert er Stärkung der Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen, strategisches Nachdenken und auch militärische Bereitschaft. Stavrides Schlussfolgerung:
All dies muss getan werden, während wir auch einen Krieg auf der koreanischen Halbinsel verhindern müssen….
Der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, der deutsche Diplomat Wolfgang Ischinger, fasste es zusammen: “Die Welt ist näher gerückt – viel zu nahe – an den Rand eines großen zwischenstaatlichen Krieges.” Es ist wieder wie 1914 – allerdings haben wir Atomwaffen. Wir brauchen starke Führer, die begreifen, dass wir immer noch die Chance haben, aus diesem Alptraum aufzuwachen.”
Quelle: 21.02.2018 (bloomberg.com) James Stavridis – Low-Yield’ Nukes Are a Very High Threat: Forces from a century ago are back in play. But the stakes are much higher.