In der WELT widersprach Jürgen Trittin energisch der Erklärung von US-Botschafter Richard Grenell, der insbesondere mit Blick auf die SPD “die nukleare Teilhabe zum Beweis der Bündnissolidarität in der Nato” erklärt hatte. Jürgen Trittin antwortete in der WELT vom 14. Mai 2020 u.a.:
So viel SPD war selten. Kaum hatte der Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich die Ablehnung der SPD einer weiteren nuklearen Teilhabe unterstrichen, da musste ihm der unglückliche SPD-Außenminister Heiko Maas widersprechen. Doch sogleich fühlten sich viele berufen, sich an dem SPD-Streit zu beteiligen. National wie international.
Spätestens seit sich Trumps Botschafter Richard Grenell per WELT in die SPD-Debatte einmischte, ist klar, dass Mützenich in ein Wespennest gestochen hat.
Das verwundert zunächst. Denn neu ist an der SPD-Position gar nichts. Es ist Parteiprogramm. Noch 2010 war sogar der Bundestag unter Einschluss der damals regierenden CDU/CSU wie FDP einmütig dieser Auffassung.
Selbst der aktuelle Koalitionsvertrag ist eher wie ein Prüfauftrag formuliert. Neu sind auch nicht die meisten für eine nukleare Teilhabe vorgebrachten Argumente. Etwa dass es einer nuklearen Abschreckung bedürfe, solange es Atomwaffen gebe. Das wurde schon im Kalten Krieg vorgetragen – und Grenell scheut sich nicht, es zu wiederholen.
Leider sprechen die Erfahrungen aus dieser Zeit eine andere Sprache. Die Drohung mit gegenseitigem Selbstmord – nichts anderes ist die nukleare Abschreckung – hat nicht zu mehr Sicherheit, sondern zu einem atomaren Wettrüsten geführt. Im Kalten Krieg befand sich die Welt ständig am Rande eines Atomkriegs. Es wäre der letzte auf dieser Erde gewesen.
Abgerüstet wurde erst, als sich die beiden Blöcke auf eine schrittweise Reduzierung ihres Bedrohungspotenzials verständigten. Als sie Abschreckung reduzierten. Dies führte über zwei Jahrzehnte zu einer Reduktion der atomaren Bedrohung um rund 90 Prozent.
Neu ist auch nicht der Versuch, die Bereitschaft zur nuklearen Teilhabe zum Beweis der Bündnissolidarität in der Nato zu erklären – wie es Grenell tut. …
Altbekannt ist zudem, dass die „Mitwirkung Deutschlands an der nuklearen Teilhabe“ (Grenell) nicht meint, darüber mitentscheiden zu dürfen, ob und wo die in Büchel liegenden Atombomben abgeworfen werden. Denn die Verfügungsgewalt über diese Bomben liegt nicht bei der Nato.
Sie liegt nicht bei Deutschland – das würde gegen den Atomwaffensperrvertrag verstoßen. Über den Einsatz der Bomben in Büchel entscheidet allein Donald Trump.
Damit sind wir bei dem, was neu ist. 2018 haben die USA eine neue Nuklearstrategie vorgestellt. In der steht zwar immer noch die Abschreckungsdoktrin… Doch zusätzlich wollen die USA neue Fähigkeiten aufbauen, die auch den Einsatz taktischer Atomwaffen erlauben, und U-Boot-gestützte Cruise-Missiles entwickeln. Der Atomkrieg soll so – unterhalb der Schwelle des nuklearen Selbstmordes – führbar werden. Dafür muss aufgerüstet werden. So war es logisch, dass Donald Trump dann 2019 unter dem klammheimlichen Beifall von Putin den Vertrag über das Verbot atomarer Mittelstreckenraketen in Europa kündigte. Und Bestandteil der neuen US-Militärstrategie ist auch die Modernisierung der taktischen Atomwaffen, wie sie in Büchel liegen.
Hier liegt der Grund für die neue Aufgeregtheit jenseits des Atlantiks und bei den kalten Kriegern der Union. Denn die Modernisierung der taktischen Atomkriegswaffen kann nicht gelingen ohne tätige Mithilfe Deutschlands. Nur wenn Deutschland aktiv neue Trägersysteme wie die F-18 kauft, wenn seine Piloten weiterhin darin trainiert werden, über Deutschland, Polen oder dem Baltikum Atombomben abzuwerfen, nur dann kann die neue US-Nuklearstrategie umgesetzt werden.
Für Europa aber ist es egal, ob hier taktische oder strategische Atomwaffen zum Einsatz kämen. Das Ergebnis ist gleichermaßen vernichtend. Es wäre das Ende Europas. Den Atomkrieg führbar zu machen, wie ihn der US-Strategie vorgesehen, heißt die Sicherheit Europas von Nordamerika ein Stück zu entkoppeln. … Sicherheit in Europa gibt es nur, wenn tatsächlich wieder abgerüstet wird. Wenn die Zahl der hier stationierten Waffen reduziert wird.
2020-05-14. — (Die WELT, Jürgen Trittin) — Antwort auf US-Botschafter Grenell: Hände-weg-von-Atombomben