Veranstaltung der Initiative „Neue Entspannungspolitik JETZT!“
zum Antikriegstag am 1.9.2017 am Brandenburger Tor in Berlin
Liebe Anwesende,
Wie wütend werde ich in letzter Zeit oft über all diese unfassbaren politischen Charaktere, die derzeit die Weltbühne bevölkern. In ihren Ländern richten sie von Chaos bis brutale Unterdrückung allerhand Schreckliches an, Menschen sind ihrer Willkür ausgesetzt, werden eingeschüchtert oder sogar verhaftet, wenn nicht noch Schlimmeres mit ihnen geschieht. Von den Kriegsschauplätzen im Nahen Osten mal ganz abgesehen, liegen einige hochgefährliche Bedrohungsszenarien wie der Konflikt mit Nordkorea in der Luft. Ich bin entsetzt darüber, dass die Kultur des Verhandelns und Kompromisse Schließens, die ja eine entscheidende Errungenschaft der vergangenen Jahrzehnte war, ausgehebelt und zunehmend eine Machokultur des Bedrohens, Aufrüstens und der gewaltsamen Konflikte an ihre Stelle tritt.
Ja, ich bin zornig – und dann heute diese Kundgebung mit der großen Überschrift: Entspannung JETZT! Ich bin froh, dass Sie mich eingeladen haben, heute am Antikriegstag, 78 Jahre nach Beginn des zweiten Weltkriegs zu sprechen, auch weil es mir die Chance gibt, mich noch einmal intensiver mit meiner eigenen Haltung in Fragen der Friedensethik auseinander zu setzen.
Meine Wut auf diese unsäglichen Gestalten und auf vielerlei wirtschaftliche Mechanismen, die den Frieden allerorten bedrohen ist immens – und doch weiß ich, dass ich sie einfangen muss, um mich nicht selber an dieser Spirale zu beteiligen, die am Ende immer nur in weitere Eskalation führen kann. Darum: Entspannung JETZT!
Gerade durch unsere eigene deutsche Geschichte wissen wir, wie wichtig es ist, klug nachzudenken und besonnen zu handeln. Ich schätze das Wort Besonnenheit, das uns ein Vers aus dem 2. Timotheusbrief der Bibel ans Herz legt:
Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft, Liebe und Besonnenheit!
Ein Leitwort in diesen Tagen des ungezügelten Zornes, der narzisstischen Furcht vor Macht- und Ehrverlust, der Furcht vor allem, was man nicht versteht und was fremd zu sein scheint. Kein angstgetriebener Geist, der sich aufblähen muss, um seine Hasenherzigkeit zu verbergen soll uns vor sich hertreiben, nein: ein Geist, der kraftvoll aufs Leben schaut und aushält, dass man nicht alleine das Sagen hat, ein Geist der Liebe zu den Menschen soll uns leiten. Ein Geist, der deshalb mit Besonnenheit agiert, um das Leben der Menschen nicht unnötig zu gefährden, sondern zu schützen.
Ein wichtiger Zeuge ist und bleibt für uns Christen, aber nicht nur für uns, Dietrich Bonhoeffer, der in schlimmen Zeiten zum Friedenseinsatz aufrief und am Ende für seinen Einsatz gegen die mörderische Nazi Diktatur mit dem Leben bezahlte. Auf einer Konferenz der Kirchen in Fanö 1934 hat er gesagt: Ein wahrer Friedensruf müsse von den Christen ausgehen. Sie dürften sich nicht vom Wutgeheul der Weltmächte beeindrucken lassen. Diese Worte gehen mir auch in diesen Tagen nach. Mit den berühmten Barmer Thesen wendete sich damals die Bekennende Kirche, zu der auch Bonhoeffer gehörte gegen den Nationalsozialistischen Staat. In der V. These wird dem Staat zugebilligt, in der noch nicht erlösten Welt auch Gewalt anzuwenden, aber nur als Ultima Ratio. Und als solche ist sie immer Ausdruck des Versagens der Politik, der Diplomatie, der Völkergemeinschaft. Wenn es zur Ultima Ratio kommt, zur Anwendung von Gewalt, dann sind vorher immer andere Möglichkeiten nicht wahrgenommen, versäumt worden. Und so verstehen wir als christliche Kirche unseren Auftrag darin, den Staat an seine Friedensverantwortung zu erinnern, und das heißt immer auch alle Bürgerinnen und Bürger.Dabei wissen wir, was Bonhoeffer so ausdrückt: Es gibt keinen Weg zum Frieden auf dem Weg der Sicherheit. Denn Friede muss gewagt werden.
So ist es: Frieden bleibt immer ein Wagnis! Aber ein lebenszugewandtes Wagnis. Die Alternativen zu diesem Wagnis, Gewalt und Krieg, zerstören so viel und für lange Zeit, sie zerstören die Seelen der Menschen und diese Zerstörung wirkt durch Generationen hindurch.
Bis heute spüren wir, dass hinter manchem Menschenunglück die Erfahrungen der Kriege, der Hass- und Vernichtungsideologien des vergangenen Jahrhunderts stehen.
Nein: es gibt keinen Weg zum Frieden nur durch Sicherheit. Denn Frieden muss gewagt werden.
Für das Wagnis und die Verheißung des Friedens stehen wir mit aller Kraft, die wir zu Verfügung haben, mit der Liebe zu den Menschen und vor allem mit besonnenem Handeln!
Entspannung Jetzt!
Ulrike Trautwein, Generalsuperintendentin im Sprengel Berlin der EKBO (Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische-Oberlausitz