Veranstaltung der Initiative „Neue Entspannungspolitik JETZT!“
zum Antikriegstag am 1.9.2017 am Brandenburger Tor in Berlin
Zuerst danke ich all denen, die heute hier sind, um für den Frieden Flagge zu zeigen und eine Tradition zu bewahren. Und ich danke besonders denen, die die Mühe der Organisation auf sich genommen haben. Ich weiß, wie schwierig das war.
Wir müssen, so Siegfried Lenz bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, das Wort nehmen, wenn wir den Frieden bedroht sehen. Ja, darum geht es, das ist der Punkt, warum wir heute hier sind: Der Frieden ist gefährdet, denn wir sind an einem Wendepunkt, der uns herausfordert. Wenn wir das Wort nicht erheben, wäre das ein großes geschichtliches Versagen. Denn die Politik ist gefangen in altem Denken, das erneut zu einer Militarisierung des Denkens führt.
Wir erleben erneut eine Große Transformation. Der österreichische Wirtschaftshistoriker Karl Polanyi beschrieb sie als Umwälzungen, die vor mehr als 100 Jahren durch die „Entbettung“ der Ökonomie in das Katastrophenzeitalter des letzten Jahrhunderts führten: Die Große Transformation begann mit Nationalismus und Militarisierung. Der darauf folgende „30-jährige Krieg“ des 20. Jahrhunderts führte zu Faschismus, Holocaust und Zweitem Weltkrieg. Sie hinterließ unfassbares Leid.
Am Anfang des Katastrophenzeitalters steht ein Versagen der Politik. Zwei Zeitalter prallten aufeinander, das im Kern noch mittelalterliche Regime des Adels und des Militärs gegen die Herausforderungen der Zweiten Industriellen Revolution mit ihren gewaltigen sozialen und ökonomischen Verwerfungen. Weil es nicht zum Bündnis zwischen Arbeiterbewegung und liberalem Bürgertum kam, entluden sich die Spannungen in Nationalismus und Militarismus. Was geschieht heute, wo wieder zwei Zeitalter aufeinander prallen: der niedergehende Nationalstaat mit dem Glauben auf ewiges Wachstum gegen die grenzenlose Welt, die umso schneller an die sozialen und ökologischen Grenzen des Wachstums gerät.
Mit der Globalisierung und Digitalisierung der Marktprozesse kommt es wieder zu einer Verselbständigung der Ökonomie, ohne Bindung an Demokratie und Gesellschaft. Damit spitzt sich zu: Unser Jahrhundert wird entweder ein Jahrhundert alter und neuer Gewalt und erbitterter Verteilungskämpfe. Oder es wird ein Jahrhundert der Demokratie und Nachhaltigkeit.
Deshalb haben wir Anlass, uns um den Frieden zu sorgen. Friedenspolitik heißt nicht nur Abrüstung, heißt nicht nur Entspannungspolitik mit Gegnern und heißt nicht nur Suche nach neuen Gemeinsamkeiten. Wir müssen auch alles tun, um den Krieg gegen die Zukunft zu beenden. Oder wie der US-Bürgerrechtler Jesse Jackson es forderte, ein Ende der Party auf Kosten der Armen, der Natur und der Zukunft. Frieden heißt: Wir brauchen eine Weltinnenpolitik, sozial und ökologisch.
Die Antwort der Vertreter der alten Weltordnung ist ein neuer Kalter Krieg und auf beiden Seiten ein Spiel mit dem Feuer: Hochrüstung, Militarisierung des Denkens und der Politik, neue Formen der Konfrontation. Aus dieser militärischen Eskalationsdynamik kann ein großer Brand werden.
Es ist schlichter Irrsinn, was entlang der 1.300 Kilometer langen Grenze der EU mit Weißrussland und Russland passiert. Allein 2016 gab es eine Verfünffachung der Truppenübungen, immer häufig nicht angekündigte, sogenannte Alarmübungen. Wir dürfen nicht wegsehen, wenn mit dem Feuer gespielt wird – auch nicht in Europa durch die provozierende Stationierung schwerer Waffen.
Aber Frieden ist mehr als eine Zeit ohne Krieg. Wir machen uns Sorgen über die sozialen Spaltungen und ökologischen Zerstörungen, die aus unserer Welt eine gewalttätige und zerbrechliche Einheit machen – Ursache für Krieg und Gewalt.
Deshalb: Wenn es um den Frieden geht, gibt es keine Inkompetenz. Wer sich um den Frieden sorgt, darf ihn nicht dem ideologischen Tunnelblick selbsternannter Sicherheitsexperten überlassen. Wir haben nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht uns einzumischen. Das tun wir. Wir sind hier, weil wir
aus der Vergangenheit gelernt haben;
vor der erneuten Militarisierung des Denkens warnen;
eine neue Phase der Aufrüstung verhindern müssen, die längst nicht nur den Militärs der NATO-Kreise gefordert wird.
Vor allem sagen wir Nein zu einem Wirtschaftssystem, zu dem modularen Konsum und zu dem grenzenlosen Wachstumswahn, die eine politisch abgesicherte Gewalt fördern. Eine Gewalt, die unsere Welt spaltet und sie unbewohnbar macht. Die Frage ist: Wie viel trägt und erträgt er noch, unser ramponierter Planet. Zum Frieden gehört, überall auf der Welt menschenwürdig leben zu können und das nicht nur in kleinen, hochgesicherten Oasen des Reichtums.
Die Verlängerung der Gegenwart ist nicht vereinbar mit dem Zustand unserer Welt. Mit den Slums, in denen heute schon über eine Milliarde Menschen zu überleben suchen; mit den rund 30 Ländern, in denen spätestens in 20 Jahren mindestens 20 Prozent der Ernährungsgrundlagen wegbrechen werden; mit den Epizentren des Klimawandels, in denen Überschwemmungen und Trockenheit die Menschen zu Opfern des Klimawandels machen.
Wir müssen alles tun, diese Gewalt zu beenden. Wir müssen den Kapitalismus sozial und ökologisch bändigen – national, global und dauerhaft.
In der Todesfuge schrieb Paul Celan, dass der Tod ein Meister aus Deutschland sei. Ja, das ist leider richtig. Wir wollen alles tun, dass auch der Frieden ein Meister aus Deutschland ist.