Gas-Pipeline als Beitrag zur gegenseitigen Entspannung oder zur einseitigen Abhängigkeit?
Frieden durch Kooperation zum gegenseitigen Vorteil war ein Grundgedanke der Ost- und Entspannungspolitik von Willy Brandt und Egon Bahr, als die Bundesrepublik mit der damaligen Sowjet-Union Verträge zur Gaslieferung (“Erdgas-Röhren-Geschäft”) abschloss. Sicherlich knüpfte daran auch Bundeskanzler Gerhard Schröder im Jahre 2005 an, als er die Absichtserklärung zum Bau von Nord Stream 1 unterzeichnete.
Aber die Ostseepipelines Nord Stream 1 und 2 waren auch Gegenstand unterschiedlicher Interessen und der Auseinandersetzung mit Russland.
Während des Wahlkampfes zum Europaparlament erklärte die Spitzenkandidatin der SPD, Katarina Barley ihre Unterstützung für Nord Stream 2 („Kein europäisches Land wäre von Russland erpressbar“), ganz im Gegensatz zum CSU-Spitzenkandidaten Manfred Weber, der – im Gegensatz zur Politik der Bundesregierung – im Interview mit der polnischen Zeitung „Polska“ versprach „Wenn ich Chef der Europäischen Kommission werde, werde ich Nord Stream 2 verhindern“.
Nach Meinung von Cicero versuchte Weber damit, sich „bei den Wählern in Polen und ganz Osteuropa einzuschmeicheln“. Aber auch wenn nach den Wahlen zum Europa-Parlament nicht Manfred Weber, sondern Ursula von der Leyen an die Spitze der EU-Kommission tritt, dürfte die Auseinandersetzung über „Nord Stream II“ wohl nicht beendet sein. Deshalb möchten wir auf zwei Papiere zu diesem Thema aufmerksam machen:
Zum einen auf das Positionspapier der SPD-Bundestagsfraktion vom 02.04.2019 unter dem Titel „Die europäische Gasversorgung langfristig sichern – mit Nord Stream 2 als wichtigem Baustein“. In der Stellungnahme der SPD-Bundestagsfraktion heißt es:
„In der öffentlichen Diskussion wird gerne übersehen, dass Nord Stream 2 keineswegs gebaut wird, damit Deutschland seine Gasversorgung an den Interessen seiner europäischen Nachbarn vorbei zu sichern vermag. Im Gegenteil: … Überwiegend soll das Erdgas von Lubmin bei Greifswald aus über die Pipelines EUGAL und NEL flexibel und bedarfsgerecht in Europa weiterverteilt werden, wobei der Weitertransport durch den wettbewerblich organisierten deutschen Markt und im Einklang mit dem Dritten Binnenmarktpaket nicht mit Transportrisiken behaftet ist. Insofern verwundert nicht, dass schon Nord Stream 1 ursprünglich eine gesamteuropäische Dimension haben sollte und als Teil des Transeuropäischen Netzes geplant wurde. Ungeachtet der bisweilen abgekühlten europäisch-russischen Beziehungen wird Nord Stream 2 nach wie vor von den Niederlanden, Belgien, Österreich, Tschechien und Ungarn unterstützt. Auch Frankreich ist über das teilstaatliche Energieunternehmen Engie an der Finanzierung des Baus der Pipeline beteiligt.
Wir sind überzeugt, dass Nord Stream 2 die Liquidität und den Wettbewerb im gesamten europäischen Gas- und Energiemarkt erhöhen kann und damit einen substantiellen Beitrag zur Sicherung der deutschen und europäischen Gasversorgung leisten wird. Auch aus umwelt- und klimapolitischer Sicht entspricht Nord Stream 2 den vorgenannten Leitlinien einer gemeinsamen europäischen Energiepolitik: Der hierfür gebotene ‚Fuel Switch‘, der sukzessive Umstieg von Kohle auf Gas, wird nur bei wettbewerbsfähigen Gaspreisen möglich sein. Ohne zusätzliche Gaslieferungen aus Russland wird die deutsche Energiewende und die mit ihr verbundene Herausforderung, nahezu gleichzeitig aus Kern- und Kohlekraft auszusteigen, nicht gelingen….“
Quelle: Positionspapier der SPD-Bundestagsfraktion vom 02.04.2019
Die europäische Gasversorgung langfristig sichern – mit Nord Stream 2 als wichtigem Baustein
(eine PDF-Version des Positionspapiers der SPD-Bundestagsfraktion vom 02.04.2019 können Sie hier herunterladen)
Zum anderen verweisen wir auf die facettenreiche Analyse von Detlef Bimboes (Diplombiologe, Friedens- und Umweltaktivist und Mitglied der Ökologischen Plattform der Partei »Die Linke«) über die Konflikte um Nordstream 1 und 2 seit den neunziger Jahren. Hier ein Zitat aus dem Bimboes-Papier “Pipeline unter Feuer – Warum Nord Stream 2 verhindert werden soll”:
„Seit ungefähr 2006 verfolgte die EU-Kommission das Ziel, der Ostseepipeline das Leben schwer zu machen. Der Betrieb von Nord Stream 1 galt es zu behindern und die Pipeline Nord Stream 2 sollte entweder nicht zu Ende gebaut oder möglichst unwirtschaftlich betrieben werden. So wurden der Streit zwischen der Ukraine und Russland über Transitbedingungen und Gaspreise zum willkommenen Anlass, sich nach alternativen Versorgungsquellen umzuschauen. Hierzu gehört das letztlich gescheiterte Pipelineprojekt Nabucco. Gleichzeitig tauchten erste Überlegungen zum Aufbau einer Flüssiggas-Infrastruktur (LNG) auf, die aber erst nach 2014 Fahrt aufnahm. Inzwischen sorgt auch die Schubumkehr (reverse flow) in den Leitungen nach Osten dafür, das rund ein Drittel des in Europa kreisenden Erdgases von West nach Ost zurückfließen kann. Damit können Polen und die Ukraine über die EU mitversorgt werden – mit Erdgas, das zu großen Teilen aus Russland stammt.
Seit geraumer Zeit ist Polen dabei, selbst Akteur auf dem Gasmarkt zu werden und sich zugleich unabhängiger zu machen von russischem Erdgas. Zusammen mit Dänemark und Fördermitteln der EU wird die Gaspipeline »Baltic Pipe« bis 2022 gebaut. Zu diesem Zeitpunkt endet ein Versorgungsvertrag mit Gazprom. Die Pipeline führt durch die Ostsee, kreuzt Nord Stream 2, hat eine Kapazität von 10 Milliarden Kubikmeter pro Jahr und wird durch norwegisches Gas gespeist. Inzwischen versucht Dänemark das Projekt Nord Stream 2 zu behindern, indem es bislang weder Genehmigungen zum Bau der Pipeline in seinen Hoheitsgewässern noch in den Gewässern seiner Allgemeinen Wirtschaftszone erteilt hat.“
Detlef Bimboes: Pipeline unter Feuer Warum Nord Stream 2 verhindert werden soll (2019)
Eine PDF-Version des Papiers „Pipeline unter Feuer – Warum Nord Stream 2 verhindert werden soll“ von Detlef Bimboes können Sie auf seiner Website finden oder als PDF direkt hier herunterladen.
Weitere Informationen:
- 18.07.2019 (Junge Welt) — Maas verteidigt Nord Stream 2
- 18.07.2019 (RP online) — Interview mit Sergej Lawrow
- 01.07.2019 (Telepolis/heise.de, Peter Mühlenbauer) – Nord Stream 2 macht Umweg, um rechtzeitig anzukommen
- 10.01.2019 (Auswärtiges Amt) — Bundesaußenminister Heiko Maas anlässlich des Neujahrsempfangs des Ost-Ausschusses am 10. Januar 2019
- FAZ-Artikelsammlung über Nord-Stream-2
- 31.10.2017— (Studie des Corporate Europe Obervatory) — The Great Gas Lock-in / Industry lobbying behind the EU push for new gas infrastructure
- 04.02.2016 (ZEIT online) — Nord Stream 2: Die Rohrbombe