Weiterer Todesstoss gegen Rüstungskontrolle noch zu stoppen?
Anfang Oktober 2019 unterzeichnete US-Präsident Donald Trump eine – noch von seinem entlassenen Sicherheitsberater John Bolton formulierte – Absichtserklärung, aus dem Open Skies Vertrag auszusteigen, ohne auch nur das US-Militär, das State Department oder die US-Geheimdienste zu konsultieren, so berichten US-Medien. Der Journalist Fred Kaplan kommentierte: “Der Boltonismus lebt – Trumps nationaler Sicherheitsberater ist weg, aber seine Mission zum Töten der perfektesten Rüstungskontrollverträge läuft weiter” .
Am 07. Oktober 2019 schrieb der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im US-Kongress, Eliot Engel einen Brief an den Nationalen Sicherheitsberater des Weissen Hauses, Robert O’Brien, mit der Frage, ob der Präsident wirklich den Ausstieg aus dem Open-Skies-Vertrag plane und forderte die Administration „nachdrücklich auf, eine solche rücksichtslose Aktion zu verhindern. Ein Rückzug vom Vertrag würde das transatlantische Bündnis spalten und die Zuverlässigkeit Amerikas als stabiler und berechenbarer Partner …weiter untergraben.“ Weitere Abgeordnete und Senatoren schlossen sich dem Brief an.
Trump plante angeblich, am 26. Oktober den Ausstieg aus dem Vertrag zu verkünden. Angesichts dieses Zeitdrucks veröffentlichten der frühere Außenminister George P. Shultz, der frühere Verteidigungsminister William Perry und der frühere Senator Sam Nunn im Wallstreet Journal am 21. Oktober 2019 einen gemeinsamen Appell:
„Open Skies hilft, den Frieden mit Russland zu erhalten!”
„Internationale Sicherheit ist keine Selbstverständlichkeit. Historisch gesehen ist Frieden zwischen den Großmächten eine Seltenheit. Er ist auch das großartige Ergebnis großer Anstrengungen. Genauso wie Vertrauen braucht die Entwicklung von Frieden und Sicherheit sehr lange Zeit, und es reicht nur ein Moment, um sie zu zerstören.
Eine der Säulen, die den internationalen Frieden und die Sicherheit von heute bewahrt haben, ist der Open-Skies-Vertrag von 1992. 34 Nationen, darunter die USA und Russland, haben diesem Vertrag zugestimmt, der es den Vertragspartnern ermöglicht, unbewaffnete Überwachungsflugzeuge über das Hoheitsgebiet der jeweils anderen zu fliegen. Dieses wichtige Werkzeug, bekannt als Open-Skies-Vertrag, ist nun gefährdet. …
Der Vertrag hat mehr als 1.426 Überwachungsmissionen genehmigt, darunter mehr als 500 US-Flüge über Russland, dem mit Abstand am meisten überflogenen und am besten überwachten Land des Vertrags. Die kurzfristig durchgeführten Flüge liefern wertvolle fotografische Belege über größere militärische Bewegungen in ganz Europa; damit haben sie Unsicherheit und Sorgen vor Überraschungsangriffen verringert.“
Der „American Conservative“ kommentierte:
Es gibt kein ernstes Argument für die Abschaffung des Vertrags. Er erlaubt gemeinsame vertraglich geregelte Überflüge der Vertragsparteien zur Beobachtung von militärischen Aktivitäten. Die dort gewonnenen Informationen stehen anschließend allen Vertragsstaaten zur Verfügung. Es ist ein großartiges Beispiel für ein multilaterales Abkommen, das Spannungen abbaut und zur Wahrung des Friedens beiträgt.“
The American Conservative, 27.10.2019: Abandoning The Open Skies Treaty Makes No Sense.
„Bloomberg“, die Agentur des Milliardärs Michael Blumberg, der sich als ein weiterer Kandidat der Demokraten für die Nachfolge von Trump bewirbt, warnte:
„… Die Absicht der Donald Trump-Regierung, den Open Skies Vertrag zu verlassen, ist weit besorgniserregender als der Rückzug aus dem INF-Vertrag im vergangenen Jahr. Wenn die USA den Vertrag aufgeben, werden sie und Russland für die militärischen Einsätze des jeweils anderen blind sein, was paranoiden Generälen einen neuen Grund gibt, im Dunkeln zu stochern.”
https://www.bloomberg.com/opinion/articles/2019-10-30/u-s-and-russia-must-keep-the-open-skies-treaty
Auch in der Ukraine machte man sich Sorgen über die Folgen einer Vertragskündigung, wie „China Daily Global“ (!) berichtete:
“Die Ukraine, das größte potenzielle Opfer eines möglichen Rückzugs der USA vom Vertrag, hat ihren starken politischen Willen zum Ausdruck gebracht, den Vertrag aufrechtzuerhalten, und bekräftigte, dass es sich um einen der grundlegenden internationalen Verträge handelt, die die europäische Sicherheit und Rüstungskontrolle garantieren.“
http://www.chinadaily.com.cn/global/2019-10/30/content_37519433.htm
Bereits am 08. Oktober twitterte das Strategic Command der USA, das die Überflüge der USA über dem “offenen Himmel” betreibt (und auch das US-Atomarsenal kontrolliert):
“Das US Strategic Command unterstützt den # OpenSkies-Vertrag durch friedliche, unbewaffnete Flüge über mehr als 30 teilnehmenden Staaten, um Streitkräfte und Aktivitäten zu beobachten. Das schafft Vertrauen und erhöht die Transparenz. “
Quelle: @US_Stratcom, Official Twitter account of U.S. Strategic Command.
Lasst not least wurde auch Berlin aktiv, wie die Süddeutsche Zeitung am 05.11.2019 berichtete, weil die “Bundesregierung befürchtet, dass die USA das ‘Open Skies’-Abkommen aufkündigen wollen“: Außenminister Heiko Maas habe am 18. Oktober in einem Schreiben an US-Außenminister Pompeo auf die besondere Bedeutung des Vertrags hingewiesen. Gemeinsam mit Briten und Franzosen hätten die Deutschen zudem entsprechende Demarchen übersandt.
Und Berlin brachte in die OSZE Vorschläge zur Ergänzung des Wiener Dokuments, z.B. durch umfassende Inspektionen und Kontrolle von Alarmübungen, ein. “Für Flüge im Rahmen des Vertrages über den Offenen Himmel” hatte hatte das BMVG “gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt einen Airbus A319CJ für Überwachungsflüge beschafft, der 2019 zur Zertifizierung durch die Vertragsstaaten ausgeliefert wurde” . Mit anderen Worten: Im Falle des Ausstiegs der USA aus dem Vertrag könnte der Airbus selbst wenigstens einen praktischen Beitrag zum offenen Himmel im Rahmen der OSZE leisten…
Anders als erwartet gab Präsident Trump am 26. Oktober keine öffentliche Erklärung ab, er wolle aus dem “Open Skies Vertrag” auszusteigen. Wie beim INF-Vertrag hätte die US-Regierung “nach Artikel XV des Vertrags ihre Ausstiegsabsicht den anderen Vertragspartnern ‚ mindestens sechs Monate im Voraus’ mitteilen müssen“; danach wäre die Kündigung des Vertrages vollzogen. Anders als beim INF-Vertrag gab es in den USA und in der NATO ernsthaften Widerstand gegen die offizielle Kündigung eines zentralen Rüstungskontrollvertrages. Wird es so viel Widerstand auch gegen die Nicht-Verlängerung des neu-START-Vertrages geben?
Text und Übersetzungen ins Deutsche von Wolfgang Biermann
Quellen und weitere Informationen zum „Open Skies Vertrag“:
- 21.10.2019, Wallstreet Journal, George P. Shultz, William J. Perry and Sam Nunn: Open Skies Help Keep the Peace With Russia
- Die Arms Control Association schrieb bereits Anfang 2019 einen umfassenden Bericht über Bedrohung des Open Skies Vertrags
- 07.10.2019, Brief des Kongressabgeordneten Eliot Engel an den Nationalen Sicherheitsberater Robert O’Brien wg. ‘Open Skies’
- 07. 10. 2019, Presseerklärung des Ausschusses für Auswärtige Beziehungen des Repräsentantenhauses gegen Ausstieg aus ‘Open Skies’
- 27.05.2020, NTI-Info über Hintergrund, Daten und Text des Open Skies Vertrag
- Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) und Bonn International Center for Konversion (BICC) mit Info und Flugblatt über „Vertrag über den offenen Himmel“
Hintergrund zur Vorgeschichte des Open Skies Vertrages:
Nach dem Fall der Mauer verhandelten seit Februar 1990 Staaten des Warschauer Paktes und NATO den Vertrag über den Offenen Himmel. Er wurde am 24. März 1992 in Helsinki von 27 Staaten der NATO und des ehemaligen (1991 aufgelösten) Warschauer Pakts unterzeichnet. Nach Ratifikation durch alle Mitgliedsstaaten trat er am 1. Januar 2002 als rechtlich verbindliches Dokument in Kraft.
Der Vertrag ermöglicht den Mitgliedern das Überfliegen von Mitgliedsstaaten auf vorher vereinbarten Routen, um Fotos, Radar- und Infrarotaufnahmen zu machen. Die Vertragsstaaten verpflichten sich, Kontrollflüge zuzulassen, wobei die Anzahl der zuzulassenden und selbst ausgeführten Flüge und die Instrumente vertraglich geregelt sind. Der OH-Vertrag ist ein wichtiges Instrument, um das Vertrauen zwischen der NATO und den Staaten des ehemaligen Warschauer Pakts zu stärken, beispielweise durch die Kontrolle der Einhaltung des Vertrags über konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE-Vertrag). Er dient aber auch der Konfliktvermeidung, Observationsflügen zum Zwecke des Krisenmanagements und zur Umweltbeobachtung. Seit 2002 gab es fast 200 Kontrollflüge der USA über Russland und 70 Flüge Russlands über die USA.
Schon 1955 hatte US-Präsident Dwight D. Eisenhower der sowjetischen Führung einen solchen Vertrag vorgeschlagen. Jedoch lehnte sie viele Jahre lang einen solchen Vertrag ab — aufgrund von Spionagebefürchtungen.
Quelle: bpb/biic Themernmodul: Der Vertrag über den Offenen Himmel