” Wenn die Konsequenz einer Politik Krieg ist, dann muss man diese Politik abschaffen! – Das ist heute umso dringlicher, da die Welt darüber hinaus einer sich ausbreitenden und gefährlichen Bedrohung ausgesetzt ist – der Corona-Virus-Pandemie. Wir sehen einmal mehr, wie zerbrechlich unsere globale Welt ist, und wie groß die Gefahr ist, ins Chaos abzurutschen.
Dem müssen wir uns mit Vernunft, Solidarität und gemeinsamem Handeln entgegenstellen.“
In der liberalen US-Zeitung The Nation und der unabhängigen russischen Zeitung Novaya Gazeta veröffentlichte Michail Gorbatschow am 16. März 2020 seinen “Appell an die Staats- und Regierungschefs der Welt“, endlich durch gemeinsames Handeln den existentiellen Gefahren zu begegnen, die „unserer globale Welt“ nicht nur durch die Konfrontationspolitik, sondern nun auch durch die Corona-Pandemie bedrohen.
Wir danken The Nation für die Unterstützung bei der Veröffentlichung des Appells in deutscher Fassung und hoffen, dass er nicht nur trotz, sondern auch wegen der Corona-Krise Aufmerksamkeit findet.
Wenn die Konsequenz einer Politik Krieg ist, dann muss man diese Politik abschaffen!
Appell an die Staats- und Regierungschefs der Welt
von Michail S. Gorbatschow
In den ersten zwei Monaten des Jahres 2020 war die Welt bereits zweimal kurz vor einem Konflikt mit Beteiligung der Großmächte – begleitet von realsten militärischen Aktionen im Iran, Irak und in Syrien. Dann schienen die Akteure nachzudenken und zogen sich vom Rande des Abgrunds zurück. Was ist das? Das ist die alte Politik des „Seiltanzes am Rande des Krieges“ – eine gefährliche, abenteuerliche Politik.
Die Stimmen die meinen, dass Krieg und Gewaltanwendung akzeptabel sind, melden sich immer öfter. Atomwaffen werden wieder angepriesen. Krieg liegt wieder in der Luft.
Für alles beschuldigt der Westen Russland, und Russland beschuldigt den Westen. Die Vereinigten Staaten ziehen sich aus den Rüstungskontrollverträgen zurück. Kriegsflugzeuge fliegen immer näher an die Grenzen anderer Staaten, Kriegsschiffe kommen sich gefährlich nahe, Zivilflugzeuge wurden mit Raketen abgeschossen.
Um der Macht willen sind die Falken zu allem bereit. Es gibt ein altes gefährliches Sprichwort: “Mit Krieg lässt sich alles abschreiben.”
Und da gibt es noch den anderen Satz: “Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.” Der preußische General Carl von Clausewitz würde sich sehr wundern, wenn er erleben müsste wie sich Leute im 21. Jahrhundert noch hinter seinen Worten verstecken.
Wenn die Konsequenz einer Politik Krieg ist, dann muss man diese Politik abschaffen!
Ein anderes, das wichtigste Wort sollte durch die Welt schallen: NACHDENKEN!
HALT! Stoppen Sie jede Handlung, die uns näher zur Katastrophe bringt – dafür muss sich jeder verantwortungsbewusste Politiker gegenüber der Bevölkerung einsetzen.
Heute ist das noch dringlicher, da die Welt einer sich ausbreitenden und äußerst gefährlichen Bedrohung ausgesetzt ist – der Corona-Virus-Pandemie. Wir sehen einmal mehr, wie zerbrechlich unsere globale Welt ist, und wie groß die Gefahr ist, ins Chaos abzurutschen. Dem müssen wir uns mit Vernunft, Solidarität und gemeinsamem Handeln entgegenstellen.
Die größte Verantwortung tragen die Großmächte. Da ist es eine Schande, dass die Führungen der USA und Großbritanniens die Einladung Wladimir Putins Einladung abgelehnt haben, mit ihnen gemeinsam den 75. Jahrestag des Sieges im Zweiten Weltkrieg zu feiern. Damit haben sie die Gelegenheit ausgeschlagen, mit den anderen Ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen in dieser gefährlichen Zeit mit einer gemeinsamen Erklärung zu bekräftigen, dass ein Atomkrieg nie geführt werden darf!
Trotz alledem hoffe ich, dass sich Verantwortung gegen das Abenteuertum, und die Vernunft gegen das Chaos durchsetzen wird.
Quelle: 16.03.2020 — (The Nation) — Citizen Gorbachev Speaks – “If war is the consequence of a policy, then get rid of the policy.” –– und 16.03.2020 — (новая газета, Михаила Горбачев) — «Если следствие политики — война, то долой такую политику!» / in Absprache mit The Nation ins Deutsche übertragen von Wolfgang Biermann.