von Wolfgang Biermann
“Europas Sicherheit ist bedroht…Die Konfliktmuster sind andere, doch eine Erinnerung bleibt wach: Mitten in den kältesten Tagen des Kalten Krieges wagte Willy Brandt gegen viel Widerstand die ersten Schritte der Entspannungspolitik. Über alles Trennende hinweg suchte er nach Gemeinsamem – und fand es in den Ostverträgen und den Grundsätzen der Schlussakte von Helsinki. Frieden in Europa, das Erbe der Entspannungspolitik…Jetzt steht alles wieder auf dem Spiel….
…die Lehren aus der Entspannungspolitik bleiben richtig: …. Wir dürfen Sicherheit in Europa nicht auf Dauer gegeneinander organisieren. … Wir dürfen auch nicht aufhören, nach Möglichkeiten und Feldern kooperativer Sicherheit zu suchen. Deshalb brauchen wir konkrete Sicherheitsinitiativen….
Keiner gewinnt, alle verlieren, wenn wir uns in einem neuen Rüstungswettlauf gegeneinander erschöpften….
Die bestehenden Regime für Rüstungskontrolle und Abrüstung zerfallen seit Jahren. Der KSE-Vertrag, der nach 1990 zehntausende Panzer und schwere Waffen in Europa vernichten half, wird seit Jahren von Russland nicht mehr umgesetzt. Verifikationsmechanismen des Wiener Dokuments laufen ins Leere, Russland verweigert sich einer notwendigen Modernisierung. Auch der Vertrag über den Offenen Himmel wird eingeschränkt. Mit der Annexion der Krim ist das Budapester Memorandum als Sicherheitsgarantie für die Ukraine Makulatur. Über Jahrzehnte mühsam aufgebautes Vertrauen ist dahin.
Zugleich hören wir von Russland Forderungen nach einer neuen Debatte über konventionelle Rüstungskontrolle in Europa. Höchste Zeit, Russland beim Wort zu nehmen!
Ein Neustart der konventionellen Rüstungskontrolle muss aus meiner Sicht fünf Bereiche abdecken. Wir brauchen Vereinbarungen, die
- regionale Obergrenzen, Mindestabstände und Transparenzmaßnahmen definieren (insbesondere in militärisch sensiblen Regionen, zum Beispiel im Baltikum),
- neuen militärischen Fähigkeiten und Strategien Rechnung tragen …,
- neue Waffensysteme einbeziehen (zum Beispiel Drohnen),
- echte Verifikation erlauben: rasch einsetzbar, flexibel und in Krisenzeiten unabhängig (zum Beispiel durch die OSZE),
- auch in Gebieten anwendbar sind, deren territorialer Status umstritten ist.
Das sind komplexe und schwierige Fragen. Dazu wollen wir einen strukturierten Dialog, mit allen Partnern, die für die Sicherheit unseres Kontinents Verantwortung tragen. Ein wichtiges Dialogforum dafür ist die OSZE….
Unternational war Steinmeiers Appell für den Neustart der Rüstungskontrolle auf großes Interesse gestoßenen wurde Der gesamte Wortlaut der Initiative wurde in acht Weltsprachen verbreitet: in englisch, französisch, chinesisch, russisch, spanisch, portugiesisch, arabisch.
In Deutschland begrüßte Jürgen Trittin den Appell als “Entspannungspolitik gegen den Strom”: “Der Aufruf von Frank-Walter Steinmeier, die Rüstungskontrolle mitten in der Krise mit Russland neuzustarten, ist mutig – und richtig. Er stemmt sich gegen alle Reflexe der Kalten Krieger. Tatsächlich brauchen wir Entspannungspolitik gerade dann, wenn die Lage angespannt ist. Das ist die eigentliche Lehre aus dem Kalten Krieg.”
Aber Steinmeiers Appell für den Neuanfang der Rüstungskontrolle erhielt nur begrenzten Rückhalt in der NATO, wurde aber am 25. November 2016 von einer Gruppe von 14 “gleichgesinnten” Aussenministern unterstützt. Am Tag danach schloss sich auch die Schweiz offiziell der gemeinsamen Erklärung Für einen Neustart bei der konventionellen Rüstungskontrolle in Europa an, der Deutschland, Belgien, Bulgarien, Finnland, Frankreich, Italien, die Niederlande, Norwegen, Österreich, Schweden, Slowakei, Spanien und Tschechien angehören. Sie wandten sich gemeinsam an die die Öffentlichkeit:
Zerstörtes Vertrauen wieder aufbauen und eine Rüstungsspirale verhindern: Diese Aufgaben sind seit Beginn der Ukraine-Krise noch dringender geworden. Denn die völkerrechtswidrige Annexion der Krim hat die Frage von Krieg und Frieden zurück nach Europa gebracht. Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat daher im August 2016 einen Neubeginn bei der konventionellen Rüstungskontrolle gefordert. Am Freitag (25.11.) haben 14 gleichgesinnte Staaten im Auswärtigen Amt hierzu beraten und eine gemeinsame Erklärung abgegeben.
Mehr Dialog
“Sicherheit können wir auf Dauer nicht gegeneinander organisieren”, sagte Steinmeier anlässlich des Treffens hochrangiger Vertreter aus gleichgesinnten Staaten in Berlin. “Und so schwierig das Verhältnis zu Russland gegenwärtig auch sein mag: Wir brauchen nicht weniger, wir brauchen mehr Dialog.” Rüstungskontrolle im Rahmen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) hat sich schon während des Kalten Krieges bewährt, um Transparenz zu schaffen, Risiken abzubauen und Vertrauen zu bilden.
Quellen:
- 2016-08-26. — (AA) — Frank-Walter Steinmeier: Mehr Sicherheit für alle in Europa – Für einen Neustart der Rüstungskontrolle
- 2016-08-26. — (OSCE) — Frank-Walter Steinmeier — More security for everyone in Europe: A call for a re-launch of arms control Reviving Arms Control in Europe /
- 2016-08-26. — (project-syndicate.org, Text in weiteren Sprachen) — Davantage de sécurité pour tous en Europe – pour une relance de la maîtrise des armements. / Больше безопасности для всех в Европе – за новый старт контроля за вооружением / Più sicurezza per tutti in Europa-Per un rilancio del controllo degli armamenti / إحياء جهود الحد من التسلح في أوروبا / 重整欧洲军备控制
- 2016-11-25. — (AA, Pressemitteilung) — Erklärung der Außenminister der Gruppe der Gleichgesinnten zur Unterstützung eines Neubeginns auf dem Gebiet der konventionellen Rüstungskontrolle in Europa
Weitere Info des AA:
- 30.12.2016: Außenminister Steinmeier zum Abschluss des deutschen OSZE-Vorsitzjahres 2016
- Deutsches Engagement in der OSZE
- Übersicht des AA über Friedenspolitik und Abrüstung:
- Übersicht des AA über: Deutschland als aktiver Partner für weltweite Abrüstung und Rüstungskontrolle / Für eine nuklearwaffenfreie Welt / Rolle der Vereinten Nationen (VN) im Bereich Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung / Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU (GASP) / Umsetzung bestehender Verträge und Vorbereitung neuer Regelwerke / Einsatz bei Verstößen gegen internationale Vereinbarungen /
- Jahresabrüstungsbericht 2015 PDF | 4 MB
- Jahresabrüstungsbericht 2015 – Bilanz und Perspektiven PDF | 5 MB
- Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (NVV)
- Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (NVV) – Atomwaffensperrvertrag PDF | 19 KB
- Abschlussdokument der Überprüfungskonferenz 2010 PDF | 155 KB
- Gemeinsamer Standpunkt der EU zur Überprüfungskonferenz 2010 PDF | 744 KB
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