Am 25. September 2018 publizierte die Washington Post einen Artikel von Katrina vanden Heuvel, Herausgeberin des TheNation Magazins, mit dem dringenden Appell an die Progressiven in den USA, eine vernünftigere Außenpolitik zu formulieren und “endlich Schluss mit den endlosen Kriegen und der globalen Oligarchie” zu machen.
Damit setzt Katrina vanden Heuvel ihre bereits im Juni mit einer Sonderausgabe von TheNation eröffnete Debatte fort über die dringend notwendige Erneuerung der US-Außenpolitik.
Wir betrachten ihren Appell an die progressiven Demokraten auch als Einladung zur transatlantischen Debatte der Zivilgesellschaft über die Erneuerung der Friedens- und Entspannungspolitik. Deshalb bereiten wir eine deutsche Ausgabe des TheNation Sonderhefts vor. Wir danken der Autorin für die Genehmigung der Übersetzung und Weiterverbreitung ihres Artikels über unsere Homepage:
Die Progressiven müssen eine vernünftigere US-Außenpolitik formulieren!
„Rebellische“ Progressive Demokraten haben bemerkenswerte Siege bei den Vorwahlen geholt. Wie Barack Obama kürzlich feststellte, wurden mutige Reformideen – von “Medicare für Alle” über gebührenfreies College” bis “Mindestlohn von 15 Dollar” – zum Markenzeichen für Demokraten.
Bei den meisten politischen Aktionen fehlte bisher eine linke nationale Sicherheitspolitik. Die Präsidentschaftskampagne von Senator Bernie Sanders (Vermont) trug zwar viel zur Innenpolitik bei, widmete aber der Außenpolitik wenig Aufmerksamkeit. Die Demokraten im Kongress haben Präsident Trump zu oft mit rechtslastigen Argumenten kritisiert – dass Trump nicht hart genug gegen Russland sei, dass er die Verbündeten der Vereinigten Staaten in Frage stelle oder wegen seiner präventiven Diplomatie mit Nordkorea.
Es gibt wenige Ausnahmen – wie etwa Senator Chris Murphy (Connecticut) mit seinem Schwerpunkt auf der Diplomatie, die scharfe Kritik an den missratenen Interventionen in Afghanistan oder Yemen von Senator Jeff Merkley (Oregon) sowie von den Kongressabgeordneten Barbara Lee (Kalifornien) und Ro Khanna (Kalifornien). Auch der Congressional Progressive Caucus der Demokraten hat einen vernünftigeren Verteidigungshaushalt gefordert. Aber diese Initiativen hatten bisher zu wenig Schwung gehabt.
Das muss sich ändern. Ohne progressives Gesamtkonzept als Alternative zur derzeitigen Außenpolitik werden die Amerikaner allein gelassen mit der unappetitlichen Entscheidung zwischen Trumps rassistisch aufgeblähten America-First oder dem Gerangel des demokratischen Establishments über die Rettung der “nach dem Zweiten Weltkrieg entstandenen regelbasierten Ordnung” mit den USA als Weltpolizisten. Beides sind Rezepte für den Niedergang.
Trumps Vision ist zu inkohärent, um unsere Sicherheit zu schützen. Er hat seine schlimmsten Wahlversprechen gehalten – Rückzug vom Pariser Klimaabkommen und vom Atomabkommen mit dem Iran, Stopp der Öffnung gegenüber Kuba und Brutalisierung der Einwanderungspolitik -, während er seine vernünftigeren Zusagen halsbrecherisch gebrochen hat: Ursprünglich verurteile er die Verdoppelung der Kriegseinsätze im Nahen Osten als totale Verschwendung ebenso wie das Hochfahren der Spannungen mit Russland in der Ukraine und Syrien. Aber die Sehnsucht des Establishments nach einer Rückkehr zur „Pax Americana“ ignoriert das Ausmaß des Scheiterns einer von den USA geprägten “regelbasierten Ordnung”, die uns in endlose Kriege versumpfen lässt, unhaltbare Verpflichtungen eingeht und die internationale Wirtschaft zugunsten der Wenigen und zulasten der arbeitenden Familien manipuliert.
Die Stimmen für fortschrittliche Alternativen bekommen immer mehr Resonanz:
Wie Phyllis Bennis vom Institute for Policy Studies bemerkt, entwickelt sich eine im Ansatz breitere Bewegung: von progressiven Bewegungen wie die Kampagne der Armen (People’s Campaign), der Bewegung für schwarze Leben (Movement for Black Lives) bis hin zur weltweiten Klimabewegung. Progressive Zeitschriften, einschließlich der Zeitschrift Nation, die ich herausgebe, richten ihre Aufmerksamkeit stärker auf eine alternative Sicherheitsstrategie. Und Schriftsteller, Außenpolitik-Wissenschaftler und Ökonomen haben die Debatte vorangetrieben. Bernie Sanders trug zur Debatte mit einem breit angelegten politischen Rahmen in seinem Vortrag im Westminster College in Fulton, MO, im vergangenen Herbst bei.
Dieser neue progressive Internationalismus beginnt mit einer radikalen Neubewertung der Sicherheitsimperative der Vereinigten Staaten. Sanders argumentiert, dass unsere Sicherheit und unser gemeinsamer Wohlstand durch die obszöne Ungleichheit untergraben würde, die das Ergebnis der von Großunternehmen definierten Weltordnung sei. Der katastrophale Klimawandel richte bereits größere Schäden und Zerstörungen an als der Terrorismus. Und die Bemühungen, Weltpolizist zu spielen und ein so riesiges Militär aufzubauen, das kein Land in irgendeiner Region der Welt herauszufordern wagt, ist sowohl prahlerisch wie destruktiv.
Zweitens brauchen wir eine neue Verpflichtung auf das Völkerrecht und für internationale Zusammenarbeit, während wir unsere endlosen Kriege beenden und unser Imperium von Stützpunkten überall auf der Welt neu bewerten. Die Progressiven unterstützen defensive Allianzen, suchen aber eine nach vorn gerichtete Strategie zum Aufbau von Zonen des entmilitarisierten Friedens. Sie lehnen die Vorstellung ab, die Vereinigten Staaten müssten der Weltpolizist sein. Ein wichtiger Schritt des US-Kongresses muss eine Resolution sein, die seine verfassungsmäßige Autorität zurückfordert, über Krieg zu entscheiden, damit der Appetit der Exekutive auf Interventionen in der ganzen Welt eingedämmt wird. Die Neokonservativen verachten das als Isolationismus, aber es wäre ganz einfach die Rückkehr zu Präsident Franklin D. Roosevelts Vision nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs.
Drittens muss das System, das eine neue globale Oligarchie hervorgebracht hat, überwunden werden. Dies erfordert die Entscheidung, dem Schutz der Arbeitnehmerrechte auf der ganzen Welt Priorität zu geben und eine Reform der Welthandelsordnung, die bisher Investoren und Unternehmen gegenüber Arbeitnehmern und Bürgern bevorzugt. Sie richtet sich gegen die weltweite Steuerhinterziehung von multinationalen Konzernen und Reichen. Und sie schafft einen internationalen wirtschaftlichen Rahmen, in dem die Staaten das Recht haben, ihre eigenen nationalen Programme für gemeinsame Sicherheit und wirtschaftliche Entwicklung zu verteidigen. Sie zielt auf mehr, aber ausgewogenen Außenhandel. Das außenpolitische Establishment wird diese Strategie als Protektionismus verurteilen, aber sie setzt einfach die Prioritäten anders: Die Weltwirtschaftsordnung muss so definiert werden, dass sie der gemeinsamen Wohlstand in den Ländern stärkt, statt diesen der Wirtschaftsordnung zu opfern.
Schließlich würde ein fortschrittlicher Internationalismus eine globale Bewegung zur Bekämpfung der globalen Klimaerwärmung zusammenbringen. Der Wiederbeitritt zum Pariser Klimaabkommen wäre ein erster Schritt, aber er ist unzureichend, um die wachsenden Herausforderungen zu bewältigen.
Die Progressiven würden auch die Anstrengungen zum Stopp der Weiterverbreitung von Atomwaffen und zur Aufnahme von Verhandlungen über weltweite Abrüstung wiederbeleben. Dies beginnt mit der Wiederaufnahme der Rüstungskontrollverhandlungen mit Russland, der Rückkehr zum Atomabkommen mit dem Iran und mit der Fortsetzung echter Verhandlungen, um Nordkoreas Atomprogramme einzudämmen und den Koreakrieg zu einem formellen Ende zu bringen.
Innenpolitisch könnte der Rückzug aus der Rolle des Weltpolizisten zu einem dramatischen Abbau des Pentagon-Haushalts beitragen, ergänzt durch eine ernsthafte Initiative zur Säuberung der größten Quellen von Verschwendung, Betrug und Missbrauch in der Regierung. Dies würde Ressourcen für den Wiederaufbau unserer gefährlich veralteten Infrastruktur und für die Umsetzung eines weltweiten humanitären Aufschwungs durch neue Investitionen in Entwicklungshilfe und öffentliche Gesundheit schaffen. Das wird unsere eigene Sicherheit stärken und unseren Ruf in der Welt wieder verbessern.
Die Amerikaner unterstützen zunehmend diesen Internationalismus, auch wenn die Medien ihn weitgehend ignorieren. Sie sind der endlosen Kriege müde und haben wenig Lust, sich mit Russland oder China über Territorien zu streiten. Sie sind sich einig, dass unsere Verbündeten mehr der weltweiten Belastungen übernehmen sollten. Angesichts der Handelskriege von Trump hat der Freihandel wieder an Popularität gewonnen, obwohl die Demokraten sich jahrelang gegen Freihandelsabkommen wandten, mit dem Argument, sie seien gegen die Interessen der arbeitenden Menschen gerichtet. Und die Mehrheit will mehr in den Wiederaufbau der Vereinigten Staaten investieren, als noch mehr in das aufgeblähte Pentagon-Budget zu stecken.
Diese Neudefinition der amerikanischen Sicherheit steckt noch in den Kinderschuhen. Die Infrastruktur von Instituten und Zeitschriften zur Unterstützung dieser Ideen ist immer noch unterfinanziert. Aber die Saat beginnt zu wachsen – und wird wahrscheinlich noch schneller wachsen, je mehr sich Trumps Provokationen häufen. Die Bedingungen sind allmählich reif für einen klugen und ehrlichen Wettkampf um die eine neue Außenpolitik zu erneuern; progressive Politiker, die sich für um Ämter bewerben Wählerstimmen wetteifern, sollten dies zur Kenntnis nehmen. —
Quelle: Washington Post, 25.09.2018, opinion: Progressives must seize their momentum to articulate a saner foreign policy
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