In Project Syndicate veröffentlichte Joschka Fischer, durchaus kein Gegner von Waffenlieferungen in die Ukraine, einen Diskussionsbeitrag über die Folgen der Militärstrategie des Westens und Russlands in der Ukraine: “Diese Strategie läuft allerdings auf eine doppelte Zerstörung hinaus, auf die der Ukraine und auch die Russlands selbst“. Im folgenden Auszüge aus seinem Text:
“In etwas mehr als einem Monat, genauer am 24. Februar, jährt sich der brutale militärische Überfall Russlands auf seinen Nachbarn Ukraine zum ersten Mal. Was von Wladimir Putin als eine „militärische Spezialoperation, eine Art „Blitzkrieg“ geplant war, scheiterte am entschlossenen und kompetenten Widerstandswillen der ukrainischen Nation, an der geschlossenen Unterstützung durch den Westen und an der Inkompetenz des russischen Militärs und seiner Führung.
Solange die NATO und ihre Mitgliedstaaten in ihrer militärischen und wirtschaftlichen Unterstützung der Ukraine festhalten und geschlossen bleiben und der Verteidigungswille der ukrainischen Nation ungebrochen anhält, solange wird Moskau seine Kriegsziele nicht erreichen können.
Diese Einsicht scheint auch im Kreml gewachsen zu sein, denn man setzt dort offensichtlich zunehmend auf die Zerstörung der ukrainischen Infrastruktur und auf die schiere Masse, die numerische Überlegenheit der russischen Armee über die der Ukraine und damit auf eine langanhaltende Zermürbungs- und Erschöpfungsstrategie. Diese Strategie läuft allerdings auf eine doppelte Zerstörung hinaus, auf die der Ukraine und auch die Russlands selbst.
…Am Ende dieses Krieges wird der Osten Europas zerstört sein und ein tiefgreifender und langandauernder Vertrauensverlust sich mit tiefer Feindschaft verbinden. Wenn die Waffen eines noch unbekannten Tages endlich schweigen werden, wird dort kein Frieden Einzug halten. Die Ukraine wird militärisch alles tun, um Russland vor einem erneuten Angriff militärisch abzuschrecken und das westliche Europa wird aus demselben Grund über Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte hinweg, gewaltig aufrüsten. Die Ukraine wird eine Art „Sicherheitsriegel“ zwischen Russland und dem westlichen Europa bilden und schon dieses Faktum macht ihren recht frühen Beitritt der Ukraine zu NATO und EU sehr wahrscheinlich.
…..Putin wollte mit seinem verbrecherischen Krieg die NATO auf Distanz halten. Er hat stattdessen das genaue Gegenteil mit dem Beitritt Finnlands und Schwedens erreicht. Und in der weiteren Konsequenz des Krieges in der Ukraine wird sich der gesamte europäische Kontinent unter dem Schutzschirm der NATO versammeln. …
…. Ein sich desintegrierendes geopolitisches „schwarzes Loch“ von der Größe Russlands in Osteuropa und Nordasien verheißt keine gute Zukunft für den Kontinent…..
aus: 2023-01-20.— (project-syndicate.org) Joschka Fischer: Ein Jahr danach – Europas Ordnung nach dem Ukrainekrieg