Als Beitrag zur Diskussion über den Zustand der “Ost-West-Beziehungen heute” haben wir mit freundlicher Genehmigung des Verlages des “American Affairs Journal” aus der Mai-Ausgabe einen Beitrag von James Carden übersetzt. Carden ist Chefredakteur des American Committee for East-West Accord und war von 2011 bis 2012 Berater in der amerikanisch-russischen bilateralen Präsidentenkommission des US Außenministeriums.
Wir werden weitere Beiträge zu diesem Thema veröffentlichen. Hier James Cardens Beobachtungen zur Ursache der tiefen Krise in den amerikanisch-russischen Beziehungen:
Wie lässt sich der gegenwärtigen Tiefpunkt in den Beziehungen zwischen den USA und Russland erklären?
Die Litanei der oft zitierten Ursachen ist mittlerweile bekannt und beinhaltet unter anderem: Erweiterung der NATO, Streit um das Kosovo, amerikanische Kündigung des ABM-Vertrags zur Begrenzung der Raketenabwehrsysteme, russisch-georgischer Krieg und Krieg in der Ukraine, Vorwürfe der Wahleinmischung (der von beiden Regierungen erhoben wird). In den letzten anderthalb Jahrzehnten sind die amerikanisch-russischen Beziehungen vor allem durch die unterschiedlichen außenpolitischen Pläne der amerikanischen und russischen Regierungen geprägt worden – und zwar nicht zum Besseren.
Weniger bekannt ist jedoch, dass Amerikas wachsender Animismus gegenüber Russland auch durch eine Art Feindseligkeit geprägt ist, die man als frustriertes Projekts des liberalen Kulturimperialismus kennzeichnen kann. In den Jahren nach dem Ende der Sowjetunion gewann die Idee, Russland habe “gegen uns verloren”, in den amerikanischen außenpolitischen Kreisen eine weit verbreitete Grundeinschätzung. Die Clinton-Regierung versuchte, den verbliebenen Staatsapparat des sowjetischen Russland zu demontieren und durch eine neue liberale Zivilgesellschaft zu ersetzen, die sich an Washington orientierte. Auf diese Weise glaubte man, Russland könne für den Westen nie wieder eine Herausforderung werden. Natürlich waren solche Bemühungen nicht erfolgreich, aber unser außenpolitischer “Kulturkrieg” hat sich seither nur verschärft. Das Scheitern dieses Projekts hat wesentlich zu dem gegenwärtigen Kampf gegen Russland beigetragen und behindert weiterhin vernünftigere diplomatische Beziehungen.
Wie Strobe Talbott, die rechte Hand der Clinton-Administration füur Russland, 2002 erläuterte: ” . . Wir haben viel von unserem bilateralen Hilfsprogramm investiert, um russischen NGO, unabhängigen Medien und lokalen Reformern zu helfen, die schlechten Gewohnheiten der Vergangenheit zu verändern und die Institutionen einer modernen Gesellschaft, Wirtschaft und politischen Kultur zu etablieren.”
Auf diese Weise agierte das US-Außenministerium eher als NGO denn als Hauptakteur der Regierung für ein diplomatisches Engagement gegenüber einem anderen souveränen Staat und wählte stattdessen Gewinner und Verlierer aus dem politischen, sozialen und religiösen Leben des anderen Landes mit vorhersehbar fragwürdigen Ergebnissen.
Unnötig zu sagen, dass das Projekt, Russland wirtschaftlich, kulturell und politisch nach amerikanischem Vorbild zu gestalten, schrecklich schief ging. Nicht lange nach dem Zusammenbruch des Sowjetregimes setzte der russische Präsident Boris Jelzin 1993 die Armee ein, um das demokratisch gewählte Parlament aufzulösen, und errichtete bald darauf eine autokratische “Superpräsidentschaft”, die er später an seinen handverlesenen Nachfolger weiterreichte, einen ehemaligen KGB-Agenten namens Wladimir Putin. In der Zwischenzeit sind Dutzende von Millionen Russen in einen der größten wirtschaftlichen und demografischen Zusammenbrüche in Friedenszeiten in Armut versunken.
Das Scheitern dieses Projekts, Russland in den 1990er Jahren neu zu gestalten, hat die amerikanischen Wirtschafts-, Medien- und politischen Eliten, die darauf unklugerweise gebaut hatten, in Schrecken versetzt. Zu gegebener Zeit führte diese Enttäuschung nicht zu einer neuen Einsicht über die Weisheit solcher Bemühungen, sondern motivierte zu einer Suche nach jemandem oder etwas, dem man die Schuld geben konnte.
Zunächst war nicht sofort klar, dass diese Frustration in der Person des russischen Präsidenten Wladimir Putin ihr Ziel finden würde. In der Tat schienen viele westliche Beobachter zu hoffen, dass der Geheimdienstler, der zum Politiker wurde, jemand war, der sich wie sein Vorgänger Boris Jelzin den Vorgaben Washingtons fügen würde. In ihrer Eile, Putin zu umarmen, verwarfen prominente Clinton-Regierungsbeamte – wie die Außenministerin Madeline Albright, die jetzt zu Putins lautstärksten Kritikern zählt – damals wütend “all dieses Psychogebabbel über Putin und das KGB-Ding”.
Aber in den folgenden Jahren wurden Putins zahlreiche Angriffe gegen die von den Amerikanern geführte “internationale Nachkriegsordnung” – einschließlich seiner Opposition gegen den Regimewechsel im Irak (2003), Libyen (2011) und Syrien (2011) sowie die gegen die sogenannten “farbigen Revolutionen”, die in Georgien (2003) und in der Ukraine (2004) stattfanden, und schließlich die russische Intervention in der Ukraine seit 2014, lösten eine schnelle Wende in der Haltung des amerikanischen Establishments aus.
In seiner Rede vor der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2007 geißelte Putin die Vereinigten Staaten wegen wiederholter Verletzungen des Völkerrechts. Diese Rede könnte der point of no return gewesen sein. im folgenden Jahrzehnt würde das amerikanische politische Establishment, Putin zu isolieren, zu untergraben und zu verfluchen. Der Grund dafür ist einfach: Die »unipolare Vorstellung« des amerikanischen Establishments, die unmittelbar nach dem Ende des Kalten Krieges entstand und von der Bush-Regierung nach dem 11. September absurd in die Länge gezogen wurde, hatte keinen Platz für einen russischen Präsidenten wie Putin, der in München erklärte: “Russland ist ein Land mit einer mehr als tausendjährigen Geschichte. Es hat immer das Privileg einer unabhängigen Außenpolitik genutzt. Wir werden diese Tradition auch heute nicht ändern.”
Auszug, informell übersetzt mit Genehmigung des American Affairs Journal.
Quelle: James Carden, “The Cold war Culture War”, in: American Affairs Journal 29 May 2018).
Zur Person: James W. Carden James Carden war von 2011 bis 2012 Berater in der amerikanisch-russischen bilateralen Präsidentenkommission des US Außenministeriums. Er ist Redakteur für The Nation, seine Artikel erschienen in Los Angeles Times, Quarz, The American Conservative und The National Interest. Er ist Chefredakteur des American Committee for East-West Accord und Mitglied des Vorstands des Simone Weil-Zentrums für politische Philosophie.
weitere Info: American Committee for East West Accord