Im Interview mit dem Deutschlandfunk am 16.02.2019 hat der ehemalige Vorsitzende des NATO-Militärausschusses, Harald Kujat, die Bundesregierung für ihre Haltung zum INF-Vertrag kritisiert. Fünf Jahre sei von deutscher Seite in der für die europäische Sicherheit so wichtigen Sache nichts geschehen, um die seit Jahren bekannten – gegenseitigen – Vorwürfe der USA und Russlands zu klären und z.B. auf Lösung durch bewährte Verifikations- oder Inspektionsregime zu drängen. Nun stelle man sich einfach hinter die Vorwürfe der USA. Im folgenden Auszüge aus dem Gespräch des DLF-Redakteurs Dirk Müller mit Harald Kujat: …
Kujat: im Augenblick ist unser größtes Sicherheitsproblem die Kündigung des INF-Vertrages. Da bin ich schon sehr enttäuscht, dass die Bundeskanzlerin gemeinsam mit allen NATO-, Staats- und Regierungschefs noch am 12. Juli vergangenen Jahres gesagt hat, der INF-Vertrag ist entscheidend für die euroatlantische Sicherheit, und wir bleiben voll und ganz verpflichtet, diesen Vertrag zu erhalten … und heute hat sie gesagt, die Kündigung war unabwendbar. Das ist, finde ich schon, eine Bankrotterklärung deutscher Außen- und Sicherheitspolitik…..
…. Jedenfalls hat die Bundesregierung sich wie alle anderen hinter die amerikanischen Vorwürfe gestellt. Man muss aber auch bedenken, dass diese Vorwürfe nicht seit gestern und nicht nach dem 12. Juli erst aufgekommen sind, sondern seit 2014. Also seit fast fünf Jahren gibt es diese Vorwürfe. Von deutscher Seite ist in dieser Zeit überhaupt nichts geschehen, aber es geht um die europäische Sicherheit. …
Müller: Wenn es stimmt, die Vorwürfe der NATO an Russland, Foul zu spielen und Raketen entwickelt haben, die dann doch gegen den Vertrag verstoßen – wie soll die NATO anders reagieren, als zu sagen, dann müssen wir hier einen Schlussstrich ziehen?
Kujat: Sie kann schon anders reagieren. Zunächst müssen wir uns doch fragen, was bedeutet diese Kündigung? Das heißt also, wir erreichen mit der Kündigung genau das Gegenteil von dem, was wir eigentlich wollen, nämlich mehr Sicherheit. Es wird immer weniger Sicherheit. Es liegt doch auf der Hand, was man tun muss. …Der INF-Vertrag hat dazu geführt, dass fast 2.000 Raketen und Marschflugkörper vernichtet wurden. Das ist abgeschlossen worden Ende Mai 2001, und zu diesem Zeitpunkt trat das sehr stringente Verifikations- oder Inspektionsregime außer Kraft, weil man gesagt hat, jetzt wird es nicht mehr benötigt. Aber nun brauchen wir es wieder.
… Ein Kontrollregime mit Vor-Ort-Kontrollen, ja man konnte sogar in die Fabriken gehen und kontrollieren, ob weiter produziert wird oder nicht. Also ist doch die logische Konsequenz, lasst uns dieses Kontrollregime reaktivieren, und dann haben wir vor-Ort-Inspektionen, und wir sehen, was wirklich Sache ist. ….Die Russen erheben ja auch Vorwürfe gegenüber den Vereinigten Staaten. Sie sagen ja, die Vereinigten Staaten brechen ebenfalls den INF-Vertrag. Darüber sprechen wir nicht so gerne, aber dieser Vorwurf steht im Raum. …
Müller:Tun das denn die Amerikaner?
Kujat:…Das ist vielleicht zu kompliziert, … Die Antwort bedeutet, wir müssen bereit sein, auch den russischen Vorwürfen nachzugehen.…. Das geht im Wesentlichen um das Ballistic-Missile-Defense-System der NATO mit Abschussgeräten, … die auch geeignet sind, nach russischen Angaben, landgestützte Marschflugkörper abzuschießen… aber offiziell einen anderen Zweck haben. Also ist doch die logische Konsequenz…: Gemeinsam die Wahrheit zu suchen, und die findet man, indem man zu diesem Inspektionsregime zurückgeht. ….
Müller:… Ist Wladimir Putin und die russische Außen- und Verteidigungspolitik immer noch vertrauenswürdig?
Kujat: Na ja, das Vertrauen gibt es ja auf beiden Seiten nicht mehr. …. Die Russen vertrauen den Amerikanern nicht und umgekehrt auch nicht, und wir stehen irgendwo dazwischen. Das heißt aber auch, dass man Vertrauen wiederherstellen muss. …
Ich war ja auch drei Jahre Vorsitzender des NATO-Russland-Rates, der Generalstabschefs. Da saß der russische Generalstabschef mit am Tisch zusammen mit seinen NATO-Kollegen, und wir haben offen über alle Dinge gesprochen, die uns berührt haben, alle Probleme, und zwar … es ging wirklich hart zur Sache. Die NATO hat leider den Fehler gemacht, dieses wichtige Instrument zu suspendieren.
Müller:Aber dann kam die Krim.
Kujat:Das war ja der Anlass dafür. Also das wurde schon einmal gemacht 2008, als der Russland-Georgien-Konflikt war, und dann mit der Krim hat man das noch mal gehabt. … Dieses Instrument, … ist geschaffen worden für eine Zeit, in der die Beziehungen schlecht sind, wo Spannungen bestehen, wo das Risiko eines Konfliktes besteht. Wenn man dann, gerade wenn dieser Konflikt eintritt – Stichwort Ukraine –, dieses Instrument suspendiert, dann halte ich das ganz ehrlich… für falsch.
Müller: Wenn Sie jetzt … argumentieren, es müssen auf jeden Fall alle wieder an einen Tisch, ……. Deutschland, die Kanzlerin, der Außenminister, Schlüsselrolle? …Sind die Deutschen, nur die Deutschen …dabei wieder zu vermitteln, USA, Großbritannien, Moskau?
Kujat:Nein, es geht nicht um die Vermittlung. Es geht um die Durchsetzung unserer eigenen Sicherheitsinteressen. Sehen Sie, ich habe für Helmut Schmidt diesen INF-Doppelbeschluss bearbeitet, … im Bundeskanzleramt für Helmut Kohl, und ich habe gesehen, wie beide sich persönlich engagiert haben in dieser Frage. Ich kann Ihnen sagen, der damalige amerikanische Präsident Jimmy Carter war kein einfacher Verhandlungspartner, und Generalsekretär Breschnew war das auch nicht, aber beide haben sich wirklich Mühe gegeben, und zwar gegen erheblichen innenpolitischen Widerstand.…
Vielleicht erinnern Sie sich noch an die Demonstrationen, Bonner Hofgarten, 300.000, und genau das vermisse ich jetzt.
Quelle: 16.02.2019 (DLF Interview) Harald Kujat im Gespräch mit Dirk Müller