Angesichts des Aus für den INF-Vertrag und der Kriegsgefahr im Nahen Osten hat die Debatte zwischen US-Demokraten und Zivilgesellschaft der USA über die grundlegende Wende in der US-Nuklearpolitik neuen Auftrieb bekommen. Der Kongress-Info-Dienst »The Hill« veröffentlichte Fragen an die Kandidaten der Demokraten (»Wir müssen wissen, wo die Kandidaten der Demokraten in der Frage der Nuklearwaffen stehen«). US-Senator Bernie Sanders stellte Forderungen für eine grundlegende Wende der US-Außenpolitik . Die Stiftungen von George Soros und Charles Koch unterstützten im Sommer die Gründung des “Quincy-Instituts” , das mit seiner Forschungsarbeit parteiübergreifend zur Wende in der US-Außenpolitik und zum Ende “der endlosen Kriege” beitragen will.
Die Juni/Juli-Ausgabe 2019 des unter »progressiven« Demokraten oft gelesene Monatsmagazin »The Progressive« setzte einen Auftakt zur Debatte über eine Wende der Atomwaffenpolitik der USA mit dem Aufruf von Ira Helfand: “Ban the Bomb Before our Luck Runs Out!”.
Wir danken dem Herausgeber Bill Lueders und dem Autoren Ira Helfand für die Genehmigung, den Beitrag unter dem Titel »Verbietet die Bombe – bevor es zu spät ist« als deutsche Übersetzung und im Original zu veröffentlichen. Der Autor Ira Helfand war Präsident der Ärzte für soziale Verantwortung (PSR) und Co-Präsident der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) der USA.
Ira Helfand
Verbietet die Bombe – bevor es zu spät ist
»Wir sind dem Atomkrieg näher als je zuvor.« Dies ist die Einschätzung von William Perry, der unter Präsident Bill Clinton als Verteidigungsminister fungierte.
Perry bekräftigte diese Kritik kürzlich erneut in einem Artikel im Wall Street Journal, den er gemeinsam mit dem ehemaligen US-Außenminister George Shultz und dem ehemaligen US-Senator Sam Nunn, der den Vorsitz des Armed Services Committee innehatte, verfasst hatte. Das Autoren-Trio warnte davor, dass die Welt »bald in einer nuklearen Sackgasse stecken könnte, die gefährlicher, desorientierender und kostspieliger ist als der Kalte Krieg.« …
Wir hatten während der gesamten Ära der Atomwaffen unglaubliches Glück. Robert McNamara erklärte nach der Kubakrise 1962: “Wir haben Glück gehabt. Nur Glück hat den Atomkrieg verhindert.“ Die Politik der Atomwaffenstaaten besteht im Wesentlichen aus der Hoffnung, dass sich dieses Glück fortsetzt. Aber Hoffnung auf Glück ist keine akzeptable Sicherheitspolitik, denn früher oder später wird unser Glück versagen.
… Heutzutage verfügen die neun Atomwaffenstaaten über ein Arsenal von 14.500 Atomwaffen.
Die Gefahr, dass sie eingesetzt werden, hat in den letzten Jahren dramatisch zugenommen. Es ist dringend erforderlich, dass die breite Öffentlichkeit diese Gefahren begreift, um eine grundlegende Änderung der Atomwaffenpolitik durchzusetzen und die Gefahr ein für alle Mal zu beenden.
Um die Bedrohung durch eine beispiellose Katastrophe zu beseitigen, die seit Beginn des Atomzeitalters besteht, brauchen wir eine klare Strategie zur Vernichtung dieser Waffen, bevor sie uns vernichten.
In der UNO stimmten im Juli 2017 122 Nationen für den Vertrag über das Verbot von Kernwaffen, der den Einsatz und Besitz von Kernwaffen sowie Aktivitäten zum Bau und zur Wartung von Atomwaffen verbietet. Der Ratifizierungsprozess schreitet voran. Sobald fünfzig Nationen den Vertrag offiziell ratifiziert haben, wird das Atomwaffenverbot in Kraft treten und einen mächtigen neuen Standard setzen, der die Länder mit Atomwaffen letztendlich zu »Schurkenstaaten« macht.
Hier in den USA versucht die Kampagne mit dem Namen »Back from the Brink« (»Zurück vom Abgrund«), die Ziele des Atomwaffenverbotsvertrags mit einem »Green New Deal« zur Verhütung eines Atomkriegs zu verbinden. Sie fordert die Vereinigten Staaten auf, ofiziell anzuerkennen, dass Atomwaffen keine Mittel für unsere Sicherheit sind, sondern die größte Bedrohung für unsere Sicherheit darstellen …
Im Zentrum der Kampagne steht ein Fünf-Punkte-Plan für Maßnahmen, die die Vereinigten Staaten verfolgen sollten: An erster Stelle steht die Aufgabe, mit den anderen acht Atomwaffenstaaten Verhandlungen über ein überprüfbares und mit festen Zeitpunkten versehenes Abkommen zur vollständigen Beseitigung der Atomarsenale aufzunehmen …
Die weiteren vier Punkte der „Back-from-the-Brink“-Plattform sind Maßnahmen des gesunden Menschenverstandes zum Abbau der Gefahr eines Atomkrieges während der Verhandlungen über die schrittweise Abschaffung der Atomwaffen. Das sind folgende Schritte:
1) Verzicht auf den Ersteinsatz von Atomwaffen,
2) Ende der persönlichen Verfügungsgewalt des Präsidenten über Atomwaffen,
3) Abschaffung des Höchstalarmzustands (Hair Trigger Alert) von strategischen Raketen, und
4) Stopp der umfassenden Modernisierung der Atomwaffen …
DieVerhandlungen über die Abschaffung von Atomwaffen erfordern einen Paradigmenwechsel im Denken der Regierungen sowie die aktive Führungsrolle durch mindestens eine der Atommächte. Sie müssen durch den Druck der weltweiten öffentlichen Meinung überzeugt werden, dass Atomwaffen keine Sicherheit schaffen…
»Back from the Brink« versucht, normale Bürger für eine landesweite Kampagne in den USA zu gewinnen, die die politische Aufmerksamkeit und notwendigen politischen Druck aufbaut … Sicherheit durch eine atomwaffenfreie Welt zu erreichen …Die Zeit drängt und ist nicht auf unserer Seite.
The Progressive June/July 2019, Ban the Bomb–Before Our Luck Runs Out
We are closer to a nuclear war than we have ever been.
Den vollständigen Text von Ivar Helfand können Sie hier lesen oder drucken. Hier die amerikanische Originalfassung des Artikels.