Im kommenden Jahr ist es vierzig Jahre her, dass der sogenannte „Palme Bericht“ veröffentlicht wurde. Der Bericht, der von einer unabhängigen internationalen Kommission unter dem Vorsitz des damaligen schwedischen Ministerpräsident Olof Palme erarbeitet wurde, entstand mitten im Kalten Krieg.
Die damaligen Empfehlungen der Kommission zielten darauf ab, durch das entspannungspolitische Konzept der gemeinsamen Sicherheit zur Überwindung des Ost-West-Konflikts beizutragen. Der Palme-Bericht brachte dieses Anliegen knapp und bündig auf den Punkt: „Ein Konzept der gemeinsamen Sicherheit muss an die Stelle der bisherigen Abschreckung durch Hochrüstung treten. Der Frieden in der Welt muss sich auf ein Engagement für das gemeinsame Überleben statt auf die Drohung durch gegenseitige Auslöschung gründen.“
Leider hat diese Forderung bis heute nichts an Aktualität und Dringlichkeit eingebüßt. Die Hoffnung, dass der Fall des Eisernen Vorhangs in die Schaffung einer internationalen Friedensordnung münden würde, die dauerhaft die gemeinsame Lösung globaler Krisen und Herausforderungen durch multilaterale Zusammenarbeit gewährleistet, hat sich nicht erfüllt. Im Gegenteil: Wir leben in einer Weltunordnung, die durch zunehmende Instabilität und Unsicherheit, durch das Wiedererstarken von Nationalismus und Militarismus und weiterhin durch grassierenden Rüstungswahnsinn geprägt ist. Die Klimakrise und der Zugang zu natürlichen Ressourcen sind zu militärischstrategischen Fragen ersten Ranges geworden. Die Schwelle zum Einsatz militärischer Gewalt sinkt durch die Möglichkeiten der Digitalisierung und autonomer Waffensysteme.
Wider aller Vernunft fällt die Staatengemeinschaft immer weiter zurück in die (selbst-)zerstörerische Logik von Aufrüstung und Abschreckung. Am deutlichsten zeigt sich das an dem neuen nuklearen Wettrüsten. Alle neun Atommächte stecken Unsummen in die Modernisierung ihrer Waffensysteme. Das internationale Wettrüsten hat inzwischen wieder unfassbare Ausmaße erreicht, wie auch die Zahlen im jüngst erschienenen Jahresbericht des Stockholmer Instituts für internationale Friedensforschung (SIPRI) zu den weltweiten Rüstungsausgaben verdeutlichen. Seit 1988 gibt es vergleichbare Schätzungen – und seitdem lagen die internationalen Militärausgaben noch nie so hoch wie im Jahr 2020. Weltweit wurden im letzten Jahr 1.644 Milliarden Euro ausgegeben, um die Rüstungsspirale in Gang zu halten.
Ganz vorne mit dabei ist die deutsche Bundesregierung. Deutschland steht auf dem siebten Platz der Länder mit den größten Rüstungsausgaben. Unter den Top-Ten-Staaten ist Deutschland zugleich das Land, das mit einem Plus von über fünf Prozent die größten Zuwachsraten aufweist. Und es gibt noch immer kein Halten: Für das laufende Jahr liegt der Verteidigungshaushalt der Bundesregierung bei knapp 47 Milliarden Euro – d.h. noch einmal über eine Milliarde Euro höher als im Vorjahr.
Angesichts der aktuellen Herausforderungen, vor denen wir stehen, handelt es sich hier um eine aberwitzige Verschwendung von öffentlichen Mitteln, die wir dringend für andere Zwecke benötigen. Im Zuge der Corona-Krise haben sich die sozialen Ungleichheiten und die Verteilungskonflikte in unserem Land verschärft. Gleichzeitig leben wir, getrieben durch den Klimawandel und durch rasante Fortschritte bei der Entwicklung und dem Einsatz digitaler Technologien, in einer Zeit gewaltiger Umbrüche. Eine sozial gerechte, ökologisch nachhaltige und wirtschaftliche vernünftige Gestaltung der damit verbundenen tiefen Transformation unserer Gesellschaft wird uns nur mit Hilfe massiver Zukunftsinvestitionen gelingen.
Vor diesem Hintergrund können wir es uns schlicht und ergreifend nicht leisten, immer noch mehr Geld für Rüstungsausgaben in die Hand zu nehmen – so wie es das Zwei-Prozent-Ziel der NATO vorsieht. Daher ist es höchste Zeit das Ruder herumzureißen. Und deshalb nehmen wir Gewerkschaften alle demokratischen Parteien in die Pflicht: Wir erwarten, dass sich ihre Spitzenkandidatinnen und -kandidaten bei der anstehenden Bundestagswahl klar positionieren – für Abrüstung und für eine Entspannungspolitik der gemeinsamen Sicherheit. An oberster Stelle steht dabei für uns das Ziel, dass die nächste Bundesregierung die deutsche Verweigerungshaltung gegenüber dem Atomwaffenverbotsvertrag der Vereinten Nationen aufgibt und ihn endlich unterzeichnet.
Mit zahlreichen gemeinsamen Aktionen, die wir in den kommenden Wochen und Monaten im Rahmen des Friedensbündnisses „Abrüsten statt Aufrüsten“ durchführen, wollen wir dafür die Weichen stellen. „Abrüstung und Entspannung wählen, in die Zukunft investieren!“ – darum geht es bei der Bundestagswahl.
am 07.06.2021 veröffentlicht in der Zeitung “abrüsten statt aufrüsten” zur Aktionswoche 19.-26.06.2021 und zu den Bundestagswahlen. Reiner Hoffmann ist Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und war Mitinitiator unseres Aufrufs “Neue Entspannungspolitik JETZT!”