Verbietet Atomwaffen — sie sind die größte Bedrohung der Menschheit!
von Betsy Taylor in
Sonderheft – Warum wir einen grundlegenden Wandel der Außenpolitik brauchen:
Immer mehr Bürgerbewegungen der USA und i anderen Ländern setzen sich für das Atomwaffenverbot ein — warum?
Nach der Invasion des Irak im Jahr 2003 schien die Friedensbewegung stumm und dem Untergang geweiht. Aber seit dem Gipfeltreffen zwischen den USA und Nordkorea gibt es einen Hoffnungsschimmer, dass sich etwas Neues in Bewegung setzen kann — für die Abschaffung der Atomwaffen.
Diese neue Dynamik wurde durch finstere Ereignisse der letzten 17 Monate losgetreten. Mit der Begründung durch das gewachsene Atomkriegsrisiko und die ungebremsten Klimagefahren stellte das „Bulletin of the Atomic Scientists“ im Januar 2018 seine legendäre Weltuntergangsuhr (Doomsday Clock) um 30 Sekunden weiter auf jetzt 2 Minuten bis „Mitternacht“. Das ist erstmals wieder so nahe zum symbolischen Zeitpunkt der Vernichtung der Menschheit durch Einsatz von Atomwaffen wie 1953 auf einem Höhepunkt des Kalten Krieges, als die US-Atomwissenschaftler “zwei Minuten bis Mitternacht“ auf ihrer Doomsday Clock eingerichtet hatten.
Denn heute scheint die Weltachse wieder aus dem Gleichgewicht gerutscht zu sein, seitdem neue politische Kräfte die alten Feindseligkeiten zwischen den atomar bewaffneten Rivalen wiederbelebt haben: Die katastrophale Entscheidung des US-Präsidenten zum Ausstieg aus dem Iran- Atomabkommen hat die Gefahren im Nahen Osten verstärkt. Und Trumps Entscheidung, John Bolton als Berater für nationale Sicherheit zu berufen, verringert die Aussicht auf dauerhaften Frieden mit Nordkorea; Bolton war einer der fanatischsten Befürworter der Invasion des Irak und der Bemühungen, den Sturz der Regierungen durch „Regime Change“ in Nordkorea, Iran und Syrien voranzutreiben.
Zur Zeit entwickeln die Atomwaffenstaaten neue Waffenprogramme, und die Gefahr, in einen katastrophalen Krieg mit Nordkorea und / oder Iran hinein zu stolpern, war noch nie so real, mit neun atomar bewaffnete Staaten und einem Arsenal von insgesamt etwa 15.000 Atomwaffen. Weitere 59 Länder besitzen nukleares Material und die Kapazität, es zur Herstellung von Atomwaffen zu nutzen.
Selbst ein kleiner regionaler Konflikt mit Atomwaffen könnte katastrophale globale Folgen haben. Die Wahrscheinlichkeit des Verlustes oder Diebstahls von Nuklearmaterial, der Einsatz von Atomwaffen aus Versehen (oder durch Terroristen, die sie sich besorgt haben) sowie die Gefahr eines umfassenden Atomkriegs steigt jedes Mal, wenn ein weiteres Land beschließt, waffenfähiges Nuklearmaterial herzustellen.
Letztes Jahr erklärte Präsident Trump, dass er das US-Atomarsenal wieder an die “Spitze des Rudels” setzen wolle, begründet mit der lächerlichen Begründung, das US-Militär sei mit seiner Waffenkapazität zurückgefallen. In seiner Rede zur Lage der Nation 2018 bekräftigte Trump seine Entschlossenheit, die Nukleararsenale der USA zu modernisieren. Seine Personalentscheidungen, Erklärungen und Aktionen – verbunden mit dem Wissen, dass der Präsident die alleinige Kommandogewalt über diese Waffen hat – haben weltweit Ängste vor dem Atomkrieg auf ein seit langem nicht erreichtes Niveau getrieben: Im April 2017 waren die Google-Suchanfragen nach “Dritter Weltkrieg” häufiger als jemals zuvor.
Als Reaktion darauf sind die Bewegungen für atomare Abrüstung auf der ganzen Welt viel aktiver geworden. Nehmen wir Korea: Die amerikanischen Medien informierten zwar kaum über die Rolle des südkoreanischen Präsidenten Moon Jae-in und der dortigen Bürgerbewegungen, die für seine Wahl ins Amt mobilisiert haben. Aber Moon ist keineswegs aus dem Vakuum hervorgekommen: Seine Wahl war von zahlreichen progressiven Kräften in Südkorea unterstützt worden. Die “Women Cross DMZ“ (Frauen überschreiten die Entmilitarisierte Zone) und andere koreanische Frauengruppen hatten wesentlich zu seinem Wahlsieg beigetragen:
2015, am 70. Jahrestag der Teilung Koreas durch die Führungsmächte des Kalten Krieges, führte “Women Cross DMZ“ („Frauen überschreiten die entmilitarisierte Zone“) dreißig Friedensstifterinnen aus 15 Ländern, unter ihnen zwei Friedensnobelpreisträgerinnen und die amerikanische Feministin Gloria Steinem, durch die entmilitarisierte Zone zwischen Nord- und Südkorea.
Auf den von ihnen organisierten Friedenssymposien in Pjöngjang und in Seoul diskutierten hunderte von Frauen über die Auswirkungen des ungelösten Koreakonflikts auf ihr Leben diskutierten und tauschten Berichte über die Mobilisierung in ihren Gemeinden für das Ende von Gewalt und Krieg aus. Sie marschierten mit 10.000 Frauen auf beiden Seiten der Entmilitarisierten Zone, in den Straßen von Pjöngjang, Kaesong und Paju; sie forderten einen formellen Friedensvertrag zur Beendigung des Koreakrieges, die Wiedervereinigung getrennter Familien und eine führende Rolle von Frauen im Friedensprozess. Frauen drängen weiterhin mit Treffen, Märschen und politischem Engagement auf Frieden auf der Koreanischen Halbinsel. Moon erhielt durch seine Wahl offenbar auch ein Mandat, die Erneuerung der Beziehungen zu Nordkorea voranzutreiben.
Friedensbewegungen in nicht-atomar bewaffneten Staaten sind ebenfalls aktiver geworden. Im Dezember 2017 erhielt die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Nuklearwaffen ICAN den Friedensnobelpreis für ihre Anstrengungen, den UNO-Vertrag über Atomwaffenverbot voranzutreiben. Insgesamt haben 122 Länder in der UN-Generalversammlung für die Verabschiedung des Vertrags gestimmt, viele Länder befinden sich auf dem Weg zur Unterzeichnung und bereiten die vollständige Ratifizierung vor. Am 17. Mai 2018 hatte Vietnam als 10. Land den Vertrag ratifiziert: Wenn der Vertrag von mindestens 50 Ländern ratifiziert ist, wird er geltendes Völkerrecht. Kein Atomwaffenstaat hat sich bisher für den Atomwaffenverbotsvertrag ausgesprochen, aber der Vertrag ist ein moralisches Dokument, das die Friedensbewegungen in vielen Ländern ermutigt.
Unterdessen haben die Friedensaktivisten der Bewegung gegen Investitionen in fossile Brennstoffe ein neues Kapitel aufgeschlagen: “Don’t Bank on the Bomb“ identifiziert Unternehmen, die Schlüsselkomponenten für Atomwaffen produzieren, und drängt wichtige Institutionen, ihr Kapital von ihnen abzuziehen. Der niederländische Pensionsfonds ABP, der fünftgrößte der Welt, hat im Januar angekündigt, alle Kapitaleinlagen bei Atomwaffenproduzenten abzuziehen. Bereits 22 große globale Institutionen haben schon beschlossen, ihr Kapital aus Unternehmen abzuziehen, die Komponenten für Atomwaffen produzieren (unter ihnen auch die Deutsche Bank mit der Verschärfung ihrer Richtlinie zu umstrittenen Waffen).
Bei uns in den Vereinigten Staaten gibt es mit „Beyond the Bomb“ (Jenseits der Bombe) eine neue Gruppe, die sich auf die Unterstützung beim Aufbau von lokalen Basisorganisationen für den Abbau der Atomkriegsgefahren konzentriert. Die Initiative wird von “Win Without War“ (“Gewinnen ohne Krieg”) und “Women’s Action for New Directions“ (“Frauenaktion für neue Richtungen”) getragen, die sich um ein viel breiteres Netzwerk kümmert, insbesondere zur Unterstützung von Gesetzesinitiativen zur schnellstmöglichen Aufhebung der persönlichen Befehlsgewalt des Präsidenten über den Einsatz von Atomwaffen. Donald Trumps fortwährende Nähe zum Atomknopf in seiner Aktentasche mit den Codes für den Start von Atomraketen erschreckte viele auf, als er Nordkorea mit “Feuer und Wut, wie es die Welt noch nie gesehen hat” drohte, so dass „Beyond the Bomb“ neuen Auftrieb bekam. Die Kampagne mobilisiert mit anderen Gruppen dafür, das beantragte 1,7-Billionen-US-Dollar-Programm zur Modernisierung der US-Nuklearwaffen zu blockieren und die Gesetzesinitiativen im Kongress gegen den Ersteinsatz von Atomwaffen zu unterstützen. Sie fordern auch die Erhöhung der Mittel für die Beseitigung von nuklearer Verseuchung in Gemeinden am Rande von Atomanlagen und früheren Atomtestgeländen.
Während die derzeitige weltweite Dynamik aus Angst, unfähigen Regierungen und Amok laufendem Kapitalismus dazu beiträgt, das nukleare Wettrüsten voranzutreiben, mobilisieren die Gruppen – wie die in der Nähe von Atomlabors und Produktionsstätten aktiven “Nuclear Watch New Mexico“ und “Tri-Valley Cares“ – mit neuer Kraft gegen die Wiederaufnahme der industriellen Produktion von Plutonium.
Am 8. Mai 2018 hielt Pfarrer Dr. William J. Barber II., stellvertretender Vorsitzender der “Poor People’s Campaign“ („Kampagne der Armen“), in Washington DC eine wegweisende Rede, die an die Antikriegsrede von Martin Luther King von 1967 in der Riverside Church in New York erinnerte: Barber berief sich auf die moralische Verpflichtung, Widerstand gegen Militarismus, Kriegswirtschaft und Atomwaffen zu leisten. Die “Iraq Veterans Against the War“ (Veteranen des Irakkrieges gegen Krieg) protestierten gegen Trumps Ausstieg aus dem Nuklearabkommen mit dem Iran. Junge „Progressives“ verbinden ihr Engagement gegen die Gewalt gegen Frauen, Einwanderer, indianische Gemeinschaften und Afroamerikaner mit ihrem Protest gegen Waffengewalt, ökologische Zerstörung und US-Militarismus.
Nach John Qua, einem der führenden Organisatoren von “Beyond the Bomb“, sehen “viele junge Menschen eine nahtlose Verbindung“ zwischen diesen Bewegungen und dem Kampf gegen Atomwaffen als der schlimmsten Form der Gewalt, unter ihnen auch viele ältere Amerikaner die sich für eine sichere Zukunft unserer Kinder einsetzen. Gemeinsam engagiert sich dieses Netzwerk von Alt und Jung gegen eine Regierungspolitik, die uns viel zu lange an den Rand des Abgrunds zum Atomkrieg gebracht hat.
Quelle: Betsy Taylor: Nuclear Weapons Pose the Ultimate Threat to Mankind
Dieser Artikel war erstmals publiziert vom TheNation Magazin und wurde mit freundlicher Genehmigung der Autorin von der Redaktion (wb, fs) übersetzt und in unserer Homepage veröffentlicht.
Betsy Taylor war 1980 Mitbegründerin der Nuclear Weapons Freeze Campaign und des Iraq Peace Fund und ist Präsidentin der „Breakthrough Strategies & Solutions“.