UN-Generalsekretär fordert mehr Einsatz für nukleare Abrüstung bis zur NPT-Überprüfungskonferenz 2021
In einem Beitrag für die “Japan News” zum 75. Jahrestag des Atombombenabwurfs auf Hiroshima kritisiert UN-Generalsekretär Antonio Guterres das Verhalten der Atommächte und fordert von ihnen Reaktivierung der Rüstungskontrolle und Verlängerung des neuSTART-Vertrages als Beitrag für einen Erfolg der NPT-Überprüfungskonferenz im Frühjahr 2021:
Angeheizt durch zunehmenden internationalen Spannungen und der Auflösung vorhandenen Vertrauens entwickeln sich die Beziehungen zwischen den Atommächten in Richtung auf eine gefährliche und destabilisierende Konfrontationen. Während sich diese Regierungen stark auf Atomwaffen als “Sicherheit” stützen, reden Politiker mit hitziger Rhetorik über ihren möglichen Einsatz und verwenden riesige Geldsummen für die Verbesserung ihrer Vernichtungskraft – mit Geld, das viel besser für eine friedliche, nachhaltige Entwicklung ausgegeben werden sollte.
Es ist an der Zeit, zum gemeinsamen Verständnis zurückzukehren, dass ein Atomkrieg nicht gewonnen und nicht geführt werden darf, und zu der Vereinbarung, auf eine Welt ohne Atomwaffen hinzuarbeiten, im Geist der Zusammenarbeit auf den Weg zu ihrer Beseitigung.
Die Vereinigten Staaten und der Russische Föderation als Besitzer von rund 90% der Atomwaffen sollten die Führung auf diesem Weg ergreifen: Der „New START“-Vertrag enthält nachprüfbare Obergrenzen. Mit seiner Verlängerung um fünf Jahre würde Zeit für die Aushandlung neuer Abkommen gewonnen, unter anderem auch für die potenzielle Einbeziehung anderer Länder, die über Atomwaffen verfügen.
Im kommenden Jahr werden die Vereinten Nationen die Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages (Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen / NVV) durchführen, der eines der erfolgreichsten internationalen Sicherheitsabkommen ist. Der NVV enthält die vertragliche Verpflichtung der fünf größten Atomwaffenstaaten zur nachprüfbaren Beseitigung von Atomwaffen und die Verpflichtung der anderen Staaten, nachprüfbar keine Atomwaffen zu erwerben oder zu entwickeln. Aufgrund seiner nahezu vollständigen Mitgliedschaft ist die überwiegende Mehrheit der internationalen Gemeinschaft an diese Verpflichtungen gebunden. Die NVV-Überprüfungskonferenz ist eine Gelegenheit, die weitere Erosion der internationalen atomaren Rüstungskontrolle einzudämmen.
Glücklicherweise sind die meisten Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen weiterhin dem Ziel einer atomwaffenfreien Welt verpflichtet. Dies spiegelt sich in der Mehrheit von 122 Ländern wider, die für die Annahme des Vertrags über das Atomwaffenverbot gestimmt hatten. Sie sind sich einig über die katastrophalem Folgen eines Einsatzes von Atomwaffen.
Wir können kein anderes Hiroshima oder Nagasaki oder noch Schlimmeres riskieren. Nehmen wir das Leiden der Hibakusha zum Anlass, die Menschheit erneut im Kampf für eine Welt ohne Atomwaffen zu vereinen!
06.08.2020 – (The Japan Times) — Antonio Guterres: After 75 years, it’s time to end nuclear menace — informelle Übersetzung von W. Biermann
Michail Gorbatschow: Botschaft an Nagasaki-Treffen über “Weg zur Abschaffung der Atomwaffen”
In einer Video-Botschaft an die Teilnehmer des Internationalen Symposiums für Frieden 2020 am 1. August 2020 in Nagasaki hat Mickhail Gorbatschow für Verstärkung der Kampagnen zur Abschaffung der Atomwaffen aufgerufen. Zu der Tagung hatten Nagasakis Bürgermeister Taue und die Zeitung The Asahi Shimbun eingeladen. Hier Auszüge aus Gorbatschows Video-Ansprache an die Tagung:
…Der Ort für dieses Treffen in der Stadt Nagasaki hat hohe Symbolkraft. Wie Hiroshima litt Nagasaki vor 75 Jahren unter den Vernichtungen durch die Atombombenexplosion, die Zehntausende Todesopfer und Menschen mit schweren Behinderungen auf verbrannter Erde zurückließ. Einst besuchte ich die Stadt, die bei mir unvergessliche Erinnerungen prägte.
Die Coronavirus-Pandemie mit hunderttausenden Todesfällen ist eine neuartige Herausforderung, die die moderne Zivilisation bedroht und zahlreiche ungelöste Probleme weiter verschlimmert. Die Menschheit muss jetzt gemeinsam handeln und die internationale Zusammenarbeit auf ein neues Niveau heben, um ein zuverlässigeres System der internationalen Sicherheit zu schaffen. Und das Thema Atomwaffen muss dabei im Mittelpunkt stehen.
Ich freue mich über die Teilnahme von William J. Perry an diesem Symposium. Vor etwa einem Jahr veröffentlichte er gemeinsam mit dem ehemaligen Außenminister George Shultz und dem früheren Senator Sam Nunn einen Artikel im Wall Street Journal, der mit der dramatischen Warnung begann: „Zum ersten Mal sind die USA, ihre Verbündeten und Russland in eine gefährliche politische Sackgasse verwickelt, die – ob aus Versehen oder durch Fehleinschätzung – zum ersten Mal seit fast 74 Jahren zu einer militärischen Konfrontation und sogar zum Einsatz von Atomwaffen führen kann.“ Und weiter schrieben sie: “Unsere Nationen könnten bald in ein nukleares Patt geraten, das feindseliger, desorientierter und wirtschaftlich kostspieliger ist als der Kalte Krieg.”
Ich teile ihre Sorgen und unterstütze ihre Vorschläge, zumal ich selbst mehrfach ähnliche Vorschläge gemacht habe, z.B. dass die Vereinigten Staaten und Russland ihre strategischen gegenseitigen Beziehungen wieder aufnehmen und … höchste Priorität darauf setzen, ein neues Wettrüsten zu verhindern, Atomwaffen weiter zu reduzieren und strategische Stabilität zu erzielen. Und sie sollten die 1985 von mir und US-Präsident Ronald Reagan abgegebene Erklärung bekräftigen: “Ein Atomkrieg kann nicht gewonnen werden und darf niemals geführt werden.“
Ich meine, im russisch-amerikanischen Dialog müssten nicht nur bestimmte Themen behandelt werden wie das Problem der Mittelstreckenraketen nach dem Rückzug der USA aus dem INF-Vertrag und die Verlängerung des neuSTART-Vertrags, sondern auch grundlegende Fragen des Friedens und der Sicherheit und die Notwendigkeit neuer Initiativen auf dem Weg zu einer Welt ohne Atomwaffen.
In diesem Zusammenhang kann man nur den Appell von führenden amerikanischen Wissenschaftlern, unter ihnen zehn Nobelpreisträger, an Präsident Trump begrüßen, auf keinen Fall Atomtests wieder aufzunehmen. …
Liebe Freunde! Als Vertreter der Zivilgesellschaft sollten wir uns in den ersten Reihen der weltweiten Kampagne gegen das nukleare Wettrüsten engagieren, um Abrüstung und schließlich die vollständige Beseitigung der Atomwaffen zu erreichen.
Quelle: 01.08.2020 (The Asahi Shimbun) — Gorbachev renews call to oppose nuclear weapons – A message to participants of the International Symposium for Peace 2020 “The Road to Nuclear Weapons Abolition” at Nagasaki / 01.08.2020 — Videoansprache Michail Gorbatschows mit engl. Untertiteln, herausgegeben von О фонде (Gorbatschow-Stiftung)
IPPNW: Städte dürfen nie wieder zu Zielen werden – deshalb UN-Atomwaffenverbot!
Auch 75 Jahre nach den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki leiden die Opfer noch an den Folgen. 65.000 Menschen verdampften und verbrannten am 6. und 9. August 1945 auf der Stelle. Bis zum Ende des Jahres starben über 200.000 Menschen. Die ärztliche Friedensorganisation IPPNW fordert die Bundesregierung auf, die katastrophalen humanitären Folgen von Atomwaffen anzuerkennen und endlich den UN-Vertrag für ein Verbot von Atomwaffen zu unterzeichnen. Mit der Ratifizierung des Vertrages durch Fidschi (7. Juli) und Botswana (15. Juli) sind dem Abkommen 40 Länder beigetreten. 82 Staaten haben den Vertrag bereits unterzeichnet und bereiten ihren Beitritt vor. Mit 50 Beitritten tritt das Abkommen in Kraft, womit noch in diesem Jahr zu rechnen ist.
Der Atomwaffenverbotsvertrag, der von 122 Staaten beschlossen wurde und am 7. Juli diesen Jahres seinen dritten Geburtstag feierte, erkennt das Leid der Opfer von Atomwaffeneinsätzen und -tests an und verpflichtet die Vertragsstaaten, allen Opfern von Atomwaffentests und -einsätzen angemessene Hilfe zu leisten.
IPPNW vermittelt Interviewpartner zum Thema, z.B.:
- Interview mit Dr. Alex Rosen (Vorsitzender der IPPNW) finden Sie unter nuclearban.de/2020/06/25/alex-rosen/
- Interview mit Dr. Inga Blum (IPPNW-Vorstandsmitglied) finden Sie unter nuclearban.de/2020/06/25/inga-blum/
- Ein Interview mit Dr. Lars Pohlmeier finden Sie unter nuclearban.de/2020/06/25/lars-pohlmeier/
- Weitere Informationen zu den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki finden Sie auf der interaktiven IPPNW-Homepage „Hibakusha weltweit“ unter hibakusha-worldwide.org/de/orte/hiroshima und hibakusha-worldwide.org/de/orte/nagasaki
Kontakt: Angelika Wilmen, IPPNW Deutschland, 030 698074-15, IPPNW, wilmen@ippnw.de. Quelle: IPPNW-Startseite
Bischof Kohlgraf: Atomwaffenverbotsantrag unterzeichnen!
Bischof Peter Kohlgraf, Präsident der katholischen Friedensbewegung pax christi, hat in einer Erklärung zum 75. Gedenken anlässlich der Atombombenangriffe auf Hiroshima und Nagasaki am 6. und 9. August die Bundesregierung aufgefordert, “den Atomwaffenverbotsantrag der Vereinten Nationen zu unterzeichnen“. Er begründet dies u.a. mit folgenden Worten:
Bis zum Jahr 2020, noch zu Lebzeiten wenigstens einiger Überlebender der Angriffe von 1945, eine atomwaffenfreie Welt zu schaffen – das war das Ziel einer breiten internationalen Kampagne, die der Zusammenschluss „Mayors for peace“ („Bürgermeister für den Frieden“) im Jahr 2003 in Hiroshima angestoßen hat…
Eine atomwaffenfreie Welt im Jahr 2020 haben wir nicht erreicht. Doch vor drei Jahren mündete die Initiative in den Atomwaffenverbotsvertrag der Vereinten Nationen… Wir setzen jetzt die Hoffnung darauf, dass im Jahr 2020 die Zahl von 50 Staaten erreicht wird, die den Verbotsvertrag ratifizieren, damit Verbot und die Ächtung von Atomwaffen als Internationales Recht in Kraft treten.
Mit unserem Bemühen stehen wir an der Seite von Papst Franziskus, der im vergangenen Jahr die Gedenkstätten in Hiroshima und Nagasaki aufgesucht hat. Vor den Augen der Weltöffentlichkeit hat er mit bewegenden Worten der Opfer gedacht und unmissverständlich die Existenz und den Besitz von Atomwaffen für unmoralisch erklärt: „Aus tiefer Überzeugung möchte ich bekräftigen, dass der Einsatz von Atomenergie zu Kriegszwecken heute mehr denn je ein Verbrechen ist nicht nur gegen den Menschen und seine Würde, sondern auch gegen jede Zukunftsmöglichkeit in unserem gemeinsamen Haus. Der Einsatz von Atomenergie zu Kriegszwecken ist unmoralisch, wie ebenso der Besitz von Atomwaffen unmoralisch ist“.
Der Bischof wendet sich auch gegen “die Erneuerung der in Deutschland stationierten amerikanischen Atomwaffen und die Anschaffung neuer Kampfjets für den Abwurf dieser Atombomben.”
Als pax christi-Bewegung stellen wir uns der Politik der atomaren Abschreckung, der Aufrüstung und der nuklearen Teilhabe entgegen. …Am 75. Jahrestag des Atombombenabwurfs auf Hiroshima und Nagasaki gedenken wir der Opfer dieses Grauens. Und wir mahnen: Die Drohung mit der Vernichtung des Lebens durch Atomwaffen kann kein Synonym für Frieden sein. Der Verzicht auf die Abschreckungslogik der Atomwaffen und der Wille zu Vertrauensbildung und Abrüstung sind die Orientierungspunkte einer Friedenslogik der Zukunft.
Quelle: 01. August 2020 (Pressemitteilung des Bistums Mainz: “Atomwaffen ächten noch im Jahr 2020!” –
Humanistische Union: Ausstieg Deutschlands aus nuklearer Teilhabe — Rüstungskontrolle und Abrüstung statt Modernisierung von Atomwaffen
In einer Stellungnahme “75 Jahre Hiroshima und Nagasaki” erklärt die Humanistische Union, die “Nukleare Teilhabe Deutschlands (sei) nicht länger zu verantworten“:
Die vor allem von Militärs in den USA geführte Diskussion über die Miniaturisierung von Atomwaffen und deren Einsatz lässt die Führung von begrenzten atomaren Kriegen als Option realistisch erscheinen. US-Präsident Trump hat bei Amtsantritt eine entsprechende sicherheitspolitische Doktrin unterzeichnet. Vor diesem Hintergrund ist eine weitere nukleare Teilhabe der Bundesrepublik Deutschland an der atomaren Abschreckungsstrategie der NATO aus völkerrechtlichen und ethischen Gründen nicht zu verantworten. “Deutsche Pilotinnen und Piloten sollten nicht länger verpflichtet sein, im Krisenfall mit den rund 45 deutschen Tornado-Jets diese Massenvernichtungswaffen in ihre Ziele in Europa zu tragen”, erklärte der Vorsitzende der Humanistischen Union, Werner Koep-Kerstin. “Wenn Atomwaffen nicht mehr als Waffen im Rahmen von Abschreckung verstanden werden, was ohnehin höchst problematisch ist, sondern als Mittel zur Kriegführung, dann ist das grundgesetzwidrig.”
Die Befürworter der nuklearen Teilhabe führen bis heute ins Feld, dass nur so eine echte Mitsprache der Bundesregierung in der atomaren Sicherheitspolitik der USA möglich sei. Deren Vorhandensein darf allerdings bezweifelt werden angesichts der US-Diskussion um die Führbarkeit atomarer Kriege durch miniaturisierte Atomwaffen als Teil der US-Nuklear-Doktrin.
Im Atomwaffensperrvertrag aus dem Jahr 1970 verzichten die Unterzeichnerstaaten, die nicht im Besitz von Atomwaffen sind, auf den Erwerb dieser Waffen. Die fünf offiziellen Atommächte haben sich im Gegenzug “zur allgemeinen und vollständigen Abrüstung unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle” verpflichtet. Seit der im August 2019 erfolgten Aufkündigung des INF-Vertrages von 1987 über die Vernichtung von landgestützten Mittelstreckenraketen in Europa mit Reichweiten von 500 bis 5500 km und der drohenden Nichtverlängerung des im Februar 2021 auslaufenden New-START-Vertrages über die Reduzierung strategischer Atomraketen steht es schlecht um die Rüstungskontrolle und den Abbau von Atomwaffen.
Im Gegenteil: Derzeit wird die Modernisierung der atomaren Arsenale und der Trägersysteme vor allem von Russland, den USA und China vorangetrieben. Auch plant die Bundesregierung als Ersatz für die veralteten Tornado-Jets die Anschaffung von 45 F-18-Kampfjets des US-Herstellers Boeing sowie 93 Eurofighter von Airbus….
Quelle: 04.08.2020 (Humanistische Union) — 75 Jahre Hiroshima und Nagasaki, Pressemitteilung von Werner Koep-Kerstin
Weitere Informationen:
- 01.08.2020 — (Netzwerk Friedenskooperative) – Informationen über Veranstaltungen der Friedensbewegung in Gedenken an Hiroshima & Nagasaki
- 06.08.2020 – (Video Statement) Jacinda Ardern, Premierministerin Neuseelands, zur Ratifizierung des Atomwaffenverbotsvertrags aus Anlass des 75. Jahrestags der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki
- 06.08.2020 – (ELN, Sir Adam Thomson) – Info des European Leadership Network zum 75. Hiroshima-Tag