im Dezember 2008, kurz nach dem Ende des Georgienkonflikt, forderte Frank-Walter Steinmeier Erneuerung der Vertrauensbildung und Rüstungskontrolle, als Schritte zu einer “erneuerten Sicherheitspartnerschaft für das 21. Jahrhundert, die dauerhaft den Frieden sichert.” . Steinmeier hielt die Rede auf einer Festveranstaltung der Heinz-Schwarzkopf-Stiftung aus Anlass des 37. Jahrestags der Grundsatzrede Willy Brandts vor dem Friedensnobelpreis-Komitee am 11. Dezember 1971 in Oslo, in der er die Grundprinzipien seiner Entspannungspolitik vortrug.
…Viele der drängendsten Probleme, die wir Heutigen – und die vor allem Sie, die junge Generation – als aktuelle Schicksalsfragen verstehen, hat Willy Brandt bereits zu Beginn der 70er Jahre als Aufgabe seiner Zeit begriffen. …
Willy Brandts Politik zielte darauf ab, die Lage in Europa und in Deutschland zu verändern, gerade indem er den Status quo zum Ausgangspunkt seines politischen Handelns machte. Er setzte gegenüber den Nachbarn im Osten auf Respekt und Berechenbarkeit – und gewann dafür dort Vertrauen und am Ende auch Wandel….
Willy Brandt hat, als es darauf ankam, die Zeichen der Zeit erkannt – allen voran das Bestreben der Verbündeten im Westen, beginnend mit Präsident Kennedy, endlich aus dem Kreislauf von Drohung und Gegendrohung auszubrechen.
Willy Brandt hat es verstanden, die sich verändernden internationalen Bedingungen zu erkennen, zu prägen und mit viel Mut, gegen Widerstände im eigenen Land, in eine neue, ganz konkrete Ostpolitik umzusetzen. …
Mit der Überwindung der europäischen Teilung verband sich die Hoffnung auf eine neue Weltordnung und auf das Ziel einer dauerhaften und gerechten Friedensordnung von Vancouver bis Wladiwostok – einer Friedensordnung, die die nordamerikanischen Demokratien, Europa und Russland umfasst….
Der Friede in unserer europäischen Nachbarschaft ist noch nicht sicher. Der Georgien-Krieg hat gezeigt: Immer noch wird militärische Gewalt als Mittel der Politik in Europa eingesetzt. Misstrauen und Bedrohungsvorstellungen sind deutlicher zurückgekehrt, als wir uns das haben vorstellen können….
Die neuen Herausforderungen an unsere Sicherheit unterscheiden nicht nach West und Ost. Sie verlangen gemeinsames Handeln der USA und Kanadas, der Europäischen Union und ihrer östlichen Nachbarn einschließlich Russlands….
Wir brauchen eine Friedensordnung, die beruht auf einer Verständigung über gemeinsame Interessen, gemeinsame Werte und gemeinsame Sicherheit. Es geht um nicht weniger als eine erneuerte Sicherheitspartnerschaft für das 21. Jahrhundert, die dauerhaft den Frieden sichert. Sie ist nicht möglich ohne die enge, transatlantische Partnerschaft mit den USA und Kanada.
Wir brauchen Russland – so schwierig das auch manchmal ist – als Partner, nicht als Gegner in der gemeinsamen Verantwortung für Sicherheit und Stabilität in Europa.
Umgekehrt gilt aber auch: Russland braucht uns. …Darum sollten wir aufmerken, wenn Russlands Präsident Medvedev – ebenfalls hier in Berlin – seinerseits Interesse an einem neuen Versuch gesamteuropäischer Sicherheit bekundet.
Deshalb schlage ich eine ganz konkrete Agenda der Vertrauensbildung für Europa vor:
Erstens. Wir brauchen einen Neubeginn in der konventionellen Rüstungskontrolle. Wir dürfen nicht zulassen, dass der Vertrag über konventionelle Rüstungskontrolle und sein System der Vertrauensbildung weiter erodieren….
Zweitens. Wir brauchen Fortschritte bei der nuklearen Abrüstung und Rüstungskontrolle. Die Sicherheit Europas und der Welt im 21. Jahrhundert wird nicht auf den Waffen des vergangenen Jahrhunderts beruhen. Im Gegenteil….
Drittens. Ein Neubeginn ist auch im Verhältnis zwischen der NATO und Russland dringlich. Deshalb sollte der NATO-Russland-Rat jetzt möglichst rasch wieder zusammentreten – gerade im aktuell etwas schwierigeren Fahrwasser.
Wir sollten im Dialog mit Russland systematisch prüfen: Wo lassen sich Dinge gemeinsam voranbringen…Und wäre es nicht an der Zeit, mit dem Projekt einer gemeinsamen Raketenabwehr ernsthaft zu beginnen?
Viertens. In der direkten westlichen Nachbarschaft Russlands herrscht ein akuter Mangel an Vertrauen in die Stabilität der europäischen Ordnung. …Frieden und Stabilität dort werden nur gelingen, wenn wir einen politischen Prozess auf den Weg bringen, der alle Seiten an einem Tisch zusammenführt…..
Ein Neubeginn bei der konventionellen und nuklearen Abrüstung und Rüstungskontrolle, die Wiederbelebung und Neuausrichtung des NATO- Russland-Rates, Vertrauensbildung in unserer gemeinsamen Nachbarschaft – all das sind „essentials“ einer Agenda der Vertrauensbildung in Europa.
siehe auch: 23.08.2008, Rheinische Post: Bundesaußenminister: “Es darf keinen neuen Kalten Krieg geben”.
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier nach der Unterzeichnung der Vereinbarung über den amerikanischen Raketenabwehrschirm in Osteuropa vor einer “Aufrüstungsspirale” im amerikanisch-russischen Verhältnis gewarnt….