Otfried Nassauer ist in der Nacht vom 1. zum 2. Oktober – im Alter von nur 64 Jahren – gestorben.
Vielen Mitbegründern der Initiative Neue Entspannungspolitik JETZT! war er seit langem ein bestens informierter Ansprechpartner. Bereits seit Gründung des Koordinationsausschusses der Friedensbewegung im Jahre 1983 war Otfried Nassauer, damals parteiloser Experte der Fachgruppe “Frieden und Internationales” der Grünen, sicherheitspolitischer Berater auch für die Friedensbewegung. In den Jahren danach hatte er wie kaum jemand anders dafür gesorgt, für die friedens- und sicherheitspolitische Community aus Friedensforschung, Friedensbewegung, Medien und Parteien präzise Fakten und kritische Analysen über Wettrüsten und Kriegsgefahren bereitzustellen. 1991 gründete er gemeinsam mit Friedensforschern aus der BRD und der ehemaligen DDR das „Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS)“ und baute er ein beispielloses internationales Archiv der Friedens- und Sicherheitspolitik, Wettrüsten und Ost-West-Beziehung nach dem Ende des Kalten Krieges auf.
Wir trauern um Otfried Nassauer, und wir wollen uns weiter in seinem Sinne für Frieden und Abrüstung engagieren.
Wolfgang Biermann; Inga Blum, IPPNW-Vorstandsmitglied und Mitglied von ICAN; Peter Brandt; Ute Finckh-Krämer; Uli Frey; Wiltrud Rösch-Metzler; Gerd Pflaumer; Clemens Ronnefeldt, Internationaler Versöhnungsbund – deutscher Zweig; Burkhard Zimmermann.
Die Liste der Nachrufe auf Otfried Nassauer ist lang. Stellvertretend für viele hier einige Auszüge:
Nachruf auf Otfried Nassauer : Beharrlich für den Frieden — von Ulrike Winkelmann, Chefredakteurin der TAZ (Auszug)
BERLIN taz | Viele Jahre hatte Otfried Nassauer sein Büro, sein Archiv, sein Wissenszentrum in einer der schönsten Straßen von Berlin-Prenzlauer Berg. Und dort konnte man ihn treffen im Café nebenan. Unentwegt rauchend parlierte er wie auf Knopfdruck über die jeweils jüngste Umdrehung der Rüstungsbeschaffungsdebatte, der Afghanistan-Debatte, eigentlich jedweder Debatte aus dem Bereich Krieg und Frieden.
Ein amüsiertes Kichern aus seinem Bartgestrüpp begleitete seine Ausführungen meistens: freundlicher Unglaube darüber, was alles schon wieder in der öffentlichen Diskussion richtigzustellen war. In den Räumen des BITS, seines Berliner Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit, bogen sich die Regale unter den Aktenordnern. Wie gut, dass Otfried alles im Kopf zu haben schien, was dort abgeheftet war. Man mochte die prekäre Balance der Papierberge nicht gefährden.
Irgendwann mussten er und seine wenigen ebenfalls so entgegenkommenden Mitarbeiter raus, Otfried fasste den Plan, das ganze Zeug zu einem aufgelassenen sowjetischen Militärflugplatz im Brandenburgischen zu verfrachten. Was daraus geworden ist, dazu hätte man ihn rechtzeitig befragen müssen. Denn am Samstag erreichte uns die Nachricht, er sei gestorben, schon vor wenigen Tagen, mit 64 Jahren und sowieso viel zu früh.
Otfried Nassauer, der einmal Theologie studiert hatte, war ein Unikum, ein Einzelwesen. Einer der wenigen, die fanden, dass man sich mit dem Militär schon auch befassen muss, wenn man das Militär effektiv kritisieren will – so wie eben auch AtomkraftgegnerInnen viel über Atomkraft wissen sollten, wenn sie ernstgenommen werden wollen.
Er kannte jede verdammte Schraube
Nur bei Krieg und Frieden meinen speziell die deutschen Linken und Linksliberalen ja seit jeher, es reiche für die politische Auseinandersetzung vollkommen, „für den Frieden“ zu sein, und dass man den Krieg womöglich dadurch aus der Welt bekomme, dass man sich mit seinen Mitteln am besten gar nicht beschäftige.
Otfried aber kannte jede verdammte Schraube an den Kampfdrohnen, die die Bundeswehr beschaffen wollte, an den U-Booten, die nach Israel geliefert wurden, an den Leopard-Panzern, die Saudi-Arabien von Krauss-Maffei Wegmann kaufen wollte.
In der taz hat er teils als Autor geschrieben, teils wurde er als Experte auch befragt und zitiert – ein journalistisch manchmal etwas schwieriger Rollenwechsel, aber andere Medien machten es genauso, er war eben unersetzlich. Regelmäßig und besonders umfassend hat er in der Sendung „Streitkräfte und Strategien“ des NDR publiziert. Möge er in Frieden ruhen.
Quelle: 2020-10-04. — (TAZ) — Nachruf auf Otfried Nassauer
Nachruf von Andreas Flocken, Herausgeber der NDR-INfo-Sendereihe „Streitkräfte und Strategien“ (Auszug)
Otfried Nassauer hat mit seinen mehr als 150 Beiträgen die Sendereihe Streitkräfte und Strategien geprägt. Er hat sich in seinen Analysen immer wieder kritisch mit zentralen Fragen der Sicherheitspolitik auseinandergesetzt.
Er berichtete fast 30 Jahre insbesondere über Entwicklungen im Bereich der Atomwaffen und der Rüstungspolitik. Otfried Nassauer war ein profunder Kenner der immer komplexer werdenden Materie. Aufgrund seines immensen Wissens war er beim Fernsehen und im Hörfunk ein gefragter Interviewpartner. Zum Beispiel bei der Frage, warum die NATO-Staaten und damit auch Deutschland sich gegen einen Atomwaffenverbotsvertrag stellen, der inzwischen von mehr als 80 Ländern unterzeichnet worden ist:
O-Ton Nassauer „Die Atommächte sperren sich gegen diesen Vertrag, weil sie sich sozusagen als diejenigen empfinden, die legalerweise Atomwaffen haben und nicht darauf verzichten wollen. Die haben natürlich jeweils mehrere Bündnispartner angesprochen und gesagt: wir wollen nicht, dass Ihr da ausscheidet. Und zwar, weil sie befürchten, dass in dem Moment, wo die Bündnispartner wegfallen, auch eine Legitimation für sich selbst wegfällt, diese Waffen noch haben zu dürfen. Denn der Atomwaffensperrvertrag aus den 60er-Jahren war ursprünglich mal als eine zeitweilige Erlaubnis gedacht, dass die Atomwaffenstaaten Atomwaffen haben dürfen, aber praktisch auf null abrüsten müssen. Dazu verpflichtet sie dieser Vertrag.“
… Für kirchliche Einrichtungen und Nichtregierungsorganisationen verfasster er regelmäßig Studien und Gutachten -vor allem zum Themenkomplex Rüstungsexporte, eines seiner Spezialgebiete. Seine Expertise war auch bei politischen Entscheidungsträgern gefragt.
Otfried Nassauer war der Friedensbewegung eng verbunden. Er engagierte sich für Rüstungskontrolle und Abrüstung. Nassauer hat an unzähligen Podiumsdiskussionen und anderen Veranstaltungen teilgenommen. Nach dem Fall der Mauer organisierte er frühzeitig ein Treffen zwischen NVA-Offizieren der Dresdner Militärakademie und der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg. Der sicherheitspolitischen Community wird seine gewichtige Stimme fehlen. Otfried Nassauer wurde 64 Jahre alt.
Quelle: 220-10-04. — (NDR Info, Andreas Flocken) — Das Forum 04.10.2020 STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN
Nachruf der Friedenskooperative:
Der Otfried – wie er für uns in der Kooperation für den Frieden hieß -, also Otfried Nassauer, Leiter des Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS), war für uns ein schier unerschöpflich erscheinender Wissensquell. Jederzeit war er bereit, seine umfassende Expertise auf Anfrage großzügig zu teilen. Z.B. wenn wir eine Frage zur technologischen Weiterentwicklung einer bestimmten Rakete oder zu einem für den Export bestimmten U-Boot hatten.
Als Journalist ordnete Otfried selbst in zahlreichen Beiträgen in vielen „Main-Stream-Medien“, aber u.a. auch für die Zeitschrift „Friedensforum“, neue Entwicklungen der Rüstungspolitik ein. Im aktuellen Beitrag „Weniger Sprengkraft, aber mehr Risiko“, veröffentlicht im Arbeitsheft der Ökumenischen FriedensDekade 2020, warnte er zuletzt vor kleinen Atomsprengköpfen auf großen U-Boot-Raketen und einer fehlenden Rüstungskontrolle.
Otfried leitete ab 1991 das BITS, für Medien und uns Friedensaktivist*innen eine wichtige Informationsquelle. Der 1956 geborene Otfried Nassauer ist am 1. Oktober 2020 in Berlin völlig unerwartet verstorben. Wir trauern sehr um unseren engagierten Mitstreiter. Otfried wird uns als Mensch mit Charakter und als Experte schmerzlich fehlen.
Dem Netzwerk Friedenskooperative war Otfried ganz speziell verbunden. Nach dem Tod unseres früheren Geschäftsführers Mani Stenner gehörte Otfried zu den “guten Geistern”, die uns mit Rat und Tat zur Seite standen.
Quelle: Friedenskooperative, Nachruf auf Otfried Nassauer
Weitere Auswahl von Nachrufen auf Otfried Nassauer:
- Beharrlich für den Frieden, taz.de vom 4.10.2020
- Otfried Nassauer wird fehlen, neues Deutschland vom 4.10.2020
- Otfried Nassauer wird fehlen: Erst die Fakten, dann die Meinung, augengeradeaus.net vom 4.10.2020
- RIP Otfried Nassauer (1956-2020), Thomas Ruttig vom 4.10.2020
- Zum Tod von Otfried Nassauer, Nachruf in der NDR-Sendung “Streitkräfte und Strategien” vom 4.10.2020
- Nachruf auf Otfried Nassauer, von Andreas Flocken, NDR Hörfunk, vom 5.10.20
- pax christi trauert um Otfried Nassauer vom 5.10.2020
- Dachverband der kritischen Aktionäre, vom 5.10.2020
- SWR2, Kultur aktuell, Friedensforscher Otfried Nassauer ist tot: „Ein ganz präziser Blick auf Krieg und Frieden“ vom 5.10.2020 (audio)
- Otfried Nassauer gestorben, Süddeutsche Zeitung vom 5.10.20
- Vorkämpfer für den Frieden – Nachruf auf Otfried Nassauer, IFSH, Michael Brzoska vom 5.10.20
- Abschied von Otfried Nassauer, RüstungsInformationsBüros vom 5.10.20
- MONITOR trauert um Otfried Nassauer, WDR Red. Monitor vom 5.10.20
Weitere Informationen:
2020-06-10.– (Transparenz TV, Clemens Ronnefeldt) — Gespräch mit Otfried Nassauer: “Kleinere Atomwaffen – größere Kriegsgefahr?”