Julia Berghofer (ELN) berichtet in einem Gastbeitrag für den Tagesspiegel am 22. Mai 2020 über Hintergründe der von Präsident Trump angekündigten Entscheidung zum Ausstieg aus dem Open Skies Vertrag – und Auswege, für die sich vor allem Deutschland einsetzen sollte. Im folgenden Auszüge aus ihrem Tagesspiegel-Beitrag.
Julia Berghofer: Vom Nutzen des „Open Skies“-Abkommens — Wo Russland besser ist als die USA
Die Vereinigten Staaten haben ihren Austritt aus einem weiteren internationalen Abkommen angekündigt. Außenminister Mike Pompeo gab die Entscheidung der USA bekannt, den Vertrag über “Open Skies”, den “Offenen Himmel” (OH) mit einer Übergangsfrist von sechs Monaten zu verlassen. „Wir werden unseren Austritt dennoch überdenken, sollte Russland den Vertrag wieder vollkommen einhalten“, äußerte sich Pompeo auf der Website der Regierung.
Einige demokratische Kongress-Abgeordnete haben bereits zuvor den drohenden Austritt der USA ohne angemessene Konsultationen mit dem Kongress und den Nato-Partners als illegal bezeichnet.
Der Vertrag über den Offenen Himmel trägt maßgeblich zu Transparenz und Vertrauensbildung im transatlantischen Gefüge bei. 2002 in Kraft getreten, regelt der OH-Vertrag gegenseitige Beobachtungsflüge über dem Gebiet von 34 Mitgliedstaaten, darunter fast alle Nato-Mitglieder, Russland, die Ukraine und weitere nichtpaktgebundene Länder.
Die auf OH-Flügen gewonnen Daten werden zwischen dem überfliegenden und dem Staat, in dem die Mission stattfindet, geteilt und einer technischen Qualitätskontrolle unterzogen. Sie sind nichts zuletzt von hohem Wert für diejenigen OH-Staaten, die keine eigenen Satelliten besitzen. Hinzu kommt, dass die Bilder weitgehend manipulationssicher sind, was in Zeiten von deep fakes einen unschätzbaren Wert darstellt.
Während der beginnenden Ukraine-Krise … war es den USA in 2014 möglich, die Invasion russischer Truppen in der Ukraine mittels eines OH-Flugs zu sichten und diese Erkenntnis mit den Vertragspartnern in diplomatischen und öffentlichen Foren zu teilen.
Dennoch äußerten die US-Regierung und einige republikanische Kongressabgeordnete schon seit Monaten Zweifel an der Relevanz des Vertrages. Zum einen wird auf die Verfügbarkeit kommerzieller Satellitenbilder hingewiesen, die eine mindestens gleichwertige technische Qualität aufwiesen wie die OH-Daten. Gleichzeitig monieren sie, dass Russland den Vertrag gebrochen habe, indem es Flüge über die hochmilitarisierte Exklave Kaliningrad auf eine Fluglänge von 500 Kilometern beschränkt und Flüge im Grenzgebiet zu den georgischen Regionen Abchasien und Südossetien untersagt hat. Russland macht seinerseits die USA für mehrere Vertragsverstöße verantwortlich.
Problematisch mögen für die USA jedoch nicht nur die Vertragsverletzungen gewesen sein, sondern auch der technologische Vorsprung Russlands im OH-Bereich. Während die USA ihre Missionen mit fast sechzig Jahre alten Flugzeugen vom Typ OC-135B fliegen und den Übergang zu digitalen Kameras noch nicht vollzogen haben, hat Moskau seine TU-154 bereits mit neuester Sensortechnik ausgestattet, deren Vertragskonformität jedoch – zu Unrecht – wiederholt angezweifelt wurde. Bis vor kurzem schien es noch als würden die USA auf digitale Sensorien umrüsten und neue OH-Luftfahrzeuge anschaffen, diese Pläne sind angesichts des Austritts nun obsolet. ….
Deutschland muss sich für den Vertrag einsetzen
Für Deutschland ist der Vertrag von großer Bedeutung. Die Bundesregierung hat im OH-Bereich eine Vorreiterrolle eingenommen und 120 Millionen Euro in die Entwicklung eines neuen Luftfahrzeugs vom Typ Airbus A319 mit hoher Reichweite und Digitalsensorik investiert. Doch nicht nur aus Kostengründen liegt es im deutschen Interesse, dass der Vertrag auch ohne die Teilnahme der USA weiter besteht.
Die europäischen Staaten profitieren von einem direkten militärischen Austausch mit Russland. Gleichfalls ist der Vertrag eine der wenigen noch existierenden vertrauensbildenden Maßnahmen und bietet ein Mindestmaß an Transparenz und Kontakt zwischen militärischem Personal und Flugzeug-Crews, auch in Krisenzeiten.
Den Vertrag aufzugeben würde nicht nur diejenigen Staaten vor den Kopf stoßen, die über keine eigenen Satellitenfähigkeiten verfügen, sondern auch eine weitere Kapitulation vor der stetigen Erosion der transatlantischen Sicherheitsarchitektur darstellen.
Deutschland sollte sich daher gemeinsam mit den europäischen Partnern und Kanada mit Nachdruck dafür einsetzen, dass der Vertrag erhalten bleibt, selbst wenn ein russischer Austritt als Antwort auf den amerikanischen sehr wahrscheinlich scheint. Es existieren eine Reihe von Vorschlägen, wie dies zu bewerkstelligen wäre.
Quelle: 22.05.2020 – (Tagesspiegel, Julia Berghofer) – Vom Nutzen des „Open Skies“-Abkommens Wo Russland besser ist als die USA /
Julia Berghofer ist Politikwissenschaftlerin und forscht bei ELN über Nuklearstrategien, Rüstungskontrolle und NATO — (sie ist auch eine der Mitinitiatorinnen der INEP)
Weitere Informationen:
- 29.10.2019 — (INEP) — Nach INF nun Open Skies
- 22.05.2020 — (Tagesspiegel) — US steigen aus Rüstungsvertrag „Open Skies“ aus, Maas will den „Offenen Himmel“ retten
- 25.05.2020 (IFSH) — IFSH-Pressemitteilung: USA treten aus dem Open Skies-Vertrag aus
- 13.04.2020 — (Bulletin of Atomic Scientists, Thomas Gaulkin) „Was die Vereinigten Staaten verlieren, wenn sie den Open-Skies-Vertrag kündigen”
- 14.04.2020 — (The Hill, Steven Pifer) – “Trumps Fake News über Rüstungskontrolle”