Botschafter Jan Eliasson (SIPRI-Vorstandsvorsitzender) und Dan Smith (SIPRI-Direktor) haben aus Anlass der Amtseinführung von Joe Biden als US-Präsident einen gemeinsamen Essay über Joe Bidens Rüstungskontrollambitionen veröffentlicht. Wir haben in Absprache mit den Autoren Auszüge aus ihrem SIPRI-Essay ins Deutsche übersetzt:
Joe Bidens Rüstungskontrollambitionen sind zu begrüßen – aber es wird nicht einfach sein, sie umzusetzen
Eine tödliche Pandemie zu kontrollieren. Ein dringend notwendiges landesweites Impfprogramm einzuführen und umzusetzen. Eine Wirtschaftskrise zu bewältigen. Und Politische Spaltung und Misstrauen im Land, die groß genug sind, um gewalttätigen Mob und Terrorismus loszutreten. Der 46. Präsident der Vereinigten Staaten steht also vom ersten Tag an vor einer Flut großer innenpolitischer Herausforderungen.
Trotzdem, eine außenpolitische Angelegenheit muss ganz oben auf seiner Tagesordnung stehen: Es bleiben kaum noch zwei Wochen, um den New-START-Rüstungskontrollvertrag mit Russland über strategische Atomwaffen von 2010 zu verlängern und vor dem Tod zu bewahren.
New-START ist der letzte verbliebene Vertrag zur Kontrolle der Atomwaffen zwischen den USA und Russland. Es setzt Obergrenzen für die Stationierung der Langstreckensysteme der beiden größten Nukleararsenale der Welt und läuft am 5. Februar aus.
Glücklicherweise haben sowohl der neue Präsident Joe Biden als auch sein russischer Amtskollege Wladimir Putin ihre Bereitschaft bekundet, den Vertrag bedingungslos zu verlängern. Das ist also wahrscheinlich ein reibungsloser Prozess.
Inmitten des tiefen Misstrauens, das die heutige geopolitische Landschaft prägt, liegen aber weitaus schwierigere Herausforderungen für die Rüstungskontrolle vor uns.
Die Krise der Rüstungskontrolle
In den letzten vier Jahren wurde ein Großteil der internationalen Rüstungskontrollarchitektur geschwächt oder entfernt. Der Vertrag von 1987 über das Verbot von Mittelstrecken- und Kurzstreckenraketen (INF-Vertrag) brach 2019 zusammen. 2018 zogen sich die USA einseitig aus dem Gemeinsamen Umfassenden Aktionsplan (JCPOA) zurück – dem „Atomabkommen“ mit dem Iran, das 2015 von allen fünf ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen sowie von Deutschland und der Europäischen Union unterzeichnet worden war.
Im November letzten Jahres zogen sich die USA offiziell aus dem Vertrag über den offenen Himmel (Open Skies) von 2002 zurück, der es den Ländern im gesamten euro-atlantischen Raum von Anchorage bis Wladiwostok ermöglichte, unbewaffnete Überwachungsflüge über das Hoheitsgebiet des jeweils anderen durchzuführen, um militärischen Aktivitäten zu überwachen. Russland hat jetzt angekündigt, dem Beispiel USA zu folgen.
Der Vertrag von 1968 über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (NVV) sieht ebenfalls prekär aus. Ein Großteil der Welt ist frustriert über den fortgesetzten Atomwaffenbesitz der fünf vom NVV anerkannten Atomwaffenstaaten – die USA, Russland, Frankreich, China und das Vereinigte Königreich – sowie von Israel, Indien, Pakistan und Nordkorea.
Aus dieser Frustration entstand 2017 der Atomwaffenverbotsvertrag (AVV), der am 22. Januar in Kraft tritt.
Während die US-Präsidentschaft von Donald J. Trump besonders abträglich für die der Rüstungskontrolle war, wuchsen lange zuvor entstandene Probleme, die noch lange nicht gelöst sind.
Rüstungskontrolle für eine neue Ära
Joe Biden bringt eine beeindruckende Tiefe und Breite an Erfahrung im Bereich Rüstungskontrolle und internationaler Verhandlungen in seine Präsidentschaft ein. Er erklärte die Verpflichtung zur „Rüstungskontrolle für die neue Ära“ zu einem wichtigen Bestandteil seiner Wahlplattform und bezeichnete die Verlängerung von New START als eine „Grundlage für neue Rüstungskontrollregelungen“.
Neue Rüstungskontrollvereinbarungen sind dringend erforderlich. Ohne sie besteht die ernste Gefahr der Weiterverbreitung und des möglichen Einsatzes von Atomwaffen oder anderen Massenvernichtungswaffen. Es ist auch notwendig, sich mit einem zunehmend unvorhersehbaren und teuren Wettrüsten zu befassen, dessen Gefahren mehr im Konkurrenzkampf um Technologien und weniger in der Anzahl von Waffen liegen und insbesondere in der zunehmenden Vermischung von nuklearen und nichtnuklearen Waffentechnologien.
Dazu zählen verschiedene Faktoren wie Raketenabwehr, hochentwickelte konventionelle Fähigkeiten, Hyperschallwaffen, die beschleunigte Militarisierung des Weltraums und die potentielle Anwendung künstlicher Intelligenz auf strategischen Waffen, die die Berechenbarkeit von Atomwaffen und die strategische Stabilität gefährden.
Es ist noch unklar, wie diese Faktoren in Rüstungskontrollverhandlungen angegangen werden sollen. Die Aufgabe, dafür einen neuen Ansatz für die Rüstungskontrolle zu entwickeln, ist an sich schon gewaltig und komplex. Aber die Verhandlungen werden unter alles andere als günstigen Bedingungen stattfinden. …
Wie in vielen anderen Bereichen muss die internationale Gemeinschaft auch in der Rüstungskontrolle neue Wege finden, um die gemeinsamen Interessen zu sichern. Wir hoffen insbesondere, dass die erfolgreiche Verlängerung von New-START der Auftakt sein wird zu einer allmählichen Wiederbelebung von Rüstungskontrolle, Nichtverbreitung, Abrüstung und den Abbau von Risiken. Aber wie bei den anderen großen Themen unserer Zeit wird der Erfolg davon abhängen, dass sich alle wichtigen Akteure verstärkt dafür engagieren.
Quelle: 2020-01-19. — (SIPRI-Essay) — Jan Eilassen und Dan Smith: Joe Bidens Rüstungskontrollambitionen sind zu begrüßen – aber es wird nicht einfach sein, sie umzusetzen (Übersetzung der Redaktion, W.Biermann)
Weitere Info:
2020-10-26. — (SIPRI-Expertenkommentar) — Botschafter Jan Eliasson, Dan Smith: Die 50. Ratifizierung des UN-Atomwaffenverbotsvertrags (AVV)