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20. April 2023   Redaktion

Peter Brandt: Rede zum Auftakt des Ostermarsches in Hamburg

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Hamburg am 10. April 2023

Liebe Friedensengagierte!

In der Einstellung zum gegenwärtigen Krieg in der Ukraine geht ein Riss durch die deutsche Bevölkerung, der aber in der relativ uniformen veröffentlichen Meinung nicht abgebildet wird. Hier hebt sich die Medienwelt der Bundesrepublik negativ ab von etlichen westlichen Ländern einschließlich der USA, wo die Debatte viel offener geführt wird. Stattdessem erleben wir eine Diffamierung derjenigen, die für Waffenstillstand und Verhandlungsinitiativen eintreten, verbunden mit regelrechter Verfälschung ihrer Positionen und Motive. Doch die Andersdenkenden sind nicht länger gewillt, sich zu ducken. Sie artikulieren ihre Standpunkte vermehrt und in größerer Zahl.

Der Krieg ist schon heute eine humanitäre Katastrophe; man schätzt rund 250.000 Tote auf beiden Seiten, hauptsächlich Opfer der militärischen Kämpfe.

Die unmittelbare Schuldfrage stellt sich nicht, weil Russland offenkundig der Aggressor ist, und die Ukraine, wie immer die Qualität ihrer inneren Ordnung beurteilt wird, hat selbstverständlich ein Recht auf Selbstverteidigung. Ich wiederhole, was ich vor einem Jahr in Frankfurt gesagt habe: Wir fordern die russische Führung auf, ihre sog. Spezialoperation einzustellen und ihre Truppen hinter die Demarkationslinie vom Januar 2022 zurückzuziehen.

Jeder Krieg hat aber eine Vorgeschichte und einen weltpolitischen Zusammenhang. Es muss erlaubt sein, auch darüber zu sprechen und zu schreiben, denn wenn man einen stabilen Frieden erreichen will, dürfen diese Umstände nicht übersehen werden. Ja, es gibt eine seit Längerem erkennbare imperiale Komponente in der russischen Außenpolitik wie im Innern eine zunehmend diktatorische Regierungspraxis. Aber daneben existiert – weit über das Putin-Lager hinaus – in Russland der Eindruck, dass die Sicherheitsinteressen des Landes vom Westen und namentlich von den USA seit 1990 mehr und mehr missachtet worden sind. Der hierzulande zu Recht verehrte, im vergangenen Jahr verstorbene Michail Gorbatschow hat wiederholt seine tiefe Enttäuschung darüber geäußert. Man kann doch nicht allen Ernstes die eingetretene Verschiebung der militärischen Kräfteverhältnisse schon durch die Ausdehnung der bundesdeutschen NATO-Mitgliedschaft auf die neuen östlichen Bundesländer und dann vor allem durch mehrere Stufen der NATO-Osterweiterung den Russen dadurch schön reden, dass auf dieser Seite die Guten stünden, die nichts Böses im Schilde führten, deshalb niemanden bedrohten! Daran ändert auch der Wunsch der politischen Führungen und großenteils der Völker des östlichen Mitteleuropas und Südosteuropas nichts, dem westlichen Bündnis anzugehören, was erklärbar und nachvollziehbar ist aus der historischen Erfahrung der sowjetischen Vorherrschaft nach 1945. Wie verbindlich die Versprechungen von 1990 waren, mit der NATO nicht über die Oder weiter gen Osten vorzurücken – „not one inch“, wie der damalige US-Außenminister Baker mündlich zusagte -, ist gegenüber der simplen Tatsache zweitrangig, dass die NATO nun am Bug steht und mit den baltischen Staaten dann sogar frühere Sowjetrepubliken aufgenommen worden sind. Und 2008 folgte dann sogar der grundsätzliche, wenn auch in eine unbestimmte Zukunft verschobene Beschluss, Georgien und die Ukraine aufzunehmen. Stattdessem hatte die gesamteuropäische Charta von Paris vom November 1990 einen anderen Weg, den der Abrüstung, friedlichen Zusammenarbeit und Überwindung der Militärbündnisse, avisiert.

Alles das liefert keineswegs eine Rechtfertigung für das russische Vorgehen im vorangegangenen Jahrzehnt, namentlich seit Februar des vergangenen Jahres, aber die angedeutete Vorgeschichte (und ebenso die innerukrainische Vorgeschichte) gehört dazu, um das heutige Geschehen zu verstehen. Die NATO dient von ihrer Gründung 1949 an eben nicht nur der Sicherung europäischer Staaten gegen die große Macht im Osten – und darüber hinaus, nicht zu vergessen, der Einbindung des deutschen Potentials –, sondern ist maßgeblich auch ein Instrument amerikanischer Hegemonie und amerikanischer Weltpolitik. Das gilt umso mehr als der NATO zunehmend eine globale Rolle zugeschrieben wird. Im Hintergrund steht der Konflikt der USA mit der aufkommenden Supermacht China.

Die Welt braucht ein eigenständiges Europa, das sich kooperativ um die Lösung der existentiellen globalen Probleme bemüht, unter welchen die sich abzeichnende Umweltkatastrophe an erster Stelle steht. Der Krieg in der Ukraine droht alle Anstrengungen zur Rettung der Menschheit auf unserem Planeten zunichte zu machen und birgt die ständige Gefahr der Eskalation zum Dritten Weltkrieg.

Es liegt im elementaren Interesse Deutschlands und EU-Europas, schnellstmöglich zu einem Waffenstillstand und dann zum Frieden zu kommen. Gewiss nicht um jeden Preis. Aber stabil – und somit den Weg bahnend für eine neue Ära der Entspannung und Zusammenarbeit – wird eine Friedenslösung nur dann sein, wenn sie die Lebens- und Sicherheitsinteressen beider Kriegsgegner wie auch der mittelbar Beteiligten berücksichtigt. 

Längerfristig steht mit dem in den 1980er Jahren entwickelten Gedanken der strukturellen Nichtangriffsfähigkeit von Armeen und der Gemeinsamen Sicherheit von Staaten ein Konzept zur Verfügung, dessen Realisierung – solange eine allseitige vollständige Abrüstung nicht realisierbar ist – verspricht, Überraschungsangriffe unmöglich zu machen. Hier haben Sicherheitsexperten und dann auch hohe Militärs beider Seiten mehr als Vor-Arbeit geleistet – das begann in den frühen 1980er Jahren auf einem damaligen erneutenHöhepunkt der Spannungen zwischen den noch fest gefügten Blöcken. Auch heute besteht ein Zwang zum Wagnis – und wie damals die große Friedensbewegung in West und Ost, die sich von der lähmenden Bocklogik frei machte, die Bemühungen der Vordenker flankierte und vorantrieb, wollen wir den Experten Beine machen.

Ein wichtiger Teil der Propaganda auch in unserem Teil der Welt ist die Ideologisierung der Konflikte zwischen Staaten und Staatengruppen: „Freiheit und Demokratie“ versus „Autoritarismus“. Die Unterschiede innerhalb beider gemeinter Kategorien sind aber ganz erheblich – abgesehen davon, dass sich manche autoritären Systeme offenbar gut einfügen lassen in die sog. Freie Welt, nämlich wenn sie als Verbündete oder Partner nützlich sind.

Es ist eben nicht wahr, dass repräsentative Demokratien mit kapitalistischer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung aus ihrem Wesen heraus friedlich agieren. Großbritannien, die Supermacht des 19. Jahrhunderts, hat seine lange herausragende Position nicht allein durch friedlich geschlossene Verträge erzielt und verteidigt – und die innere wie äußere Expansionsgeschichte der USA seit ihrer Gründung ist eine einzige Folge von blutigen Eroberungen einschließlich des Genozids an den Ureinwohnern und brutalem Rassismus. 

Liebe Freundinnen und Freunde!

Ich gehöre zu einer Altersgruppe, für die – obwohl erst in den unmittelbaren Nachkriegsjahren geboren – der Zweite Weltkrieg noch ständig präsent war: nicht nur die sichtbaren Ruinen zeugten davon; durch die Erzählungen aus der Elterngeneration war dieser in der Endphase auch für Deutschland verheerende Krieg fast ständig präsent. Die Kriegsteilnehmer und als Zivilisten Beiteiligten waren auch in unserem Jugend- und jungen Erwachsenenalter noch nicht alt – die Alten hatten im Ersten Weltkrieg gekämpft.

Als Kind von zehn bis dreizehn Jahren habe ich 1958 bis 1962 die Berliner Krise und den Mauerbau und dann als immerhin Vierzehnjähriger im Oktober 1962 die extrem gefährliche Kuba-Krise sehr bewusst erlebt, deren friedliche und auf Kompromiss beruhende Lösung die Übergangsphase zur Entspannung zwischen den Weltmächten und den Paktsystemen einleitete. Die Menschen weltweit haben damals einige Tage tief in den Abgrund geblickt. Wenn ich den heutigen Irrsinn, nicht nur den Krieg im Osten Europas, in den Blick nehme, dann denke ich an meine längst erwachsenen Kinder und mehr noch an die Enkel – und ich hoffe inständig, dass wir alle dafür sorgen können, dass sie die älteren Generationen eines Tages nicht so verfluchen, wie es hierzulande manche von uns heute Älteren aus den bekannten Gründen in den 1960er und 70er Jahren getan haben.

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