„Wir brauchen eine ernsthafte Diskussion über die Sicherheit Europas und über die Wege, mit denen wir Sicherheit friedlicher und den Frieden sicherer machen. Willy Brandt hat mit seiner Politik gezeigt, dass das geht und wie das geht“ — Mit diesen Worten in seiner Rede zu Beginn des SPD-Bundesparteitags formulierte Norbert Walter-Borjans seine Akzente zu der von ihm angestrebten Aussenpolitik.
„Die SPD wird als Partei des Abrüstens und der Entspannung heute wieder mehr gebraucht als seit Langem….
Die Diskussion um Frieden und Sicherheit in Europa gerät auf einen falschen Weg. Deutschland – so heißt es – sollte langsam mal normal werden und sich nicht vor militärischem Engagement drücken. Ich sage: Nicht die militärische Zurückhaltung ist das Unnormale. Das Unnormale ist das wieder zunehmende Säbelrasseln in der Welt…“
Die Forderung der Bundesverteidigungsministerin nach mehr Einsatz der „Bundeswehr an möglichst vielen Orten in der Welt“ sei „grundfalsch. Das ist nicht Realpolitik. Das ist Irreal-Politik. Das ist die Militarisierung der Außenpolitik, wie Rolf Mützenich das mal genannt hat.“
Diese Aussagen klangen durchaus wie eine Ermutigung für Forderungen aus der Friedensbewegung, die in einem offenen Brief an die Delegierten des Parteitags die SPD appellierten: „Es ist höchste Zeit für eine verstärkte Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft in Sachen Frieden sowie für eine neue Entspannungspolitik im Sinne von Willy Brandt“.
Der Parteitag diskutierte zwar überwiegend andere Themen. Der friedenspolitische Dialog zwischen SPD und Zivilgesellschaft steht noch aus, aber eine Reihe von Anknüpfungspunkte enthält die Rede, die wir hier auszugweise wiedergeben:
….Liebe Genossinnen und Genossen, hier in Berlin hatten wir am 17. September eine für mich denkwürdige Regionalkonferenz. An diesem 17. September bin ich 67 Jahre alt geworden.
Ich wiederhole gerne, was ich da im Willy-Brandt-Haus gesagt habe. Ich habe gesagt, dass ich zu den wenigen Menschen gehöre, die in Mitteleuropa die Chance hatten, 67 Jahre alt zu werden, ohne in ihrem Leben einen Krieg erlebt zu haben – das war anderen über Jahrhunderte nicht vergönnt. Ich werde alles daran setzen, dass unsere Kinder und Enkel das auch sagen können, wenn sie 67 werden.
Und das sollen nicht nur die Kinder in Mitteleuropa sagen können, sondern die Kinder überall in der Welt sollen 67 und älter werden können, ohne Krieg, Vertreibung, Flucht und Armut zu erlebt zu haben.
Die SPD wird als Partei des Abrüstens und der Entspannung heute wieder mehr gebraucht als seit Langem.
Die Diskussion um Frieden und Sicherheit in Europa gerät auf einen falschen Weg. Deutschland – so heißt es – sollte langsam mal normal werden und sich nicht vor militärischem Engagement drücken. Ich sage: Nicht die militärische Zurückhaltung ist das Unnormale. Das Unnormale ist das wieder zunehmende Säbelrasseln in der Welt.
Wenn beispielsweise eine Verteidigungsministerin, die auch CDU-Vorsitzende ist, die Bundeswehr wieder an möglichst vielen Orten in der Welt „im Einsatz“ sehen will – wie sie das verharmlosend nennt -, dann ist das grundfalsch. Das ist nicht Realpolitik. Das ist Irreal-Politik. Das ist die Militarisierung der Außenpolitik, wie Rolf Mützenich das mal genannt hat.
Dazu dürfen Sozialdemokraten nicht die Hand reichen!
Helmut Schmidt hat noch vor zehn Jahren gesagt, dass die Überrüstung eines der drängendsten Probleme ist. Er hatte recht. Und das Problem ist seither nicht kleiner geworden. Mit dem amerikanischen Präsidenten und anderen nimmt es wieder zu. Wir haben auch von Russland aus neue Aufrüstungsrunden, auch neue nukleare Aufrüstungsrunden zu befürchten. Mehr denn je ist die Aufgabe der deutschen Sozialdemokratie, alles – wirklich alles! – dafür zu tun, dass der Wahnsinn der Hochrüstung nicht weitergeht. Das ist unsere Aufgabe, und zwar mehr denn je!
Das ist unsere Aufgabe. Es ist sie mehr denn je.
Genossinnen und Genossen, wollen wir wirklich jedes Mal unsere Rüstungsausgaben erhöhen, aufrüsten, wenn die Wirtschaft wächst? Genau das besagt das sogenannte Zwei-Prozent-Ziel. Ich finde, es gibt selten eine unseligere Kombination von Wirtschaftswachstum und Staatsausgaben, als die Rüstung am Wirtschaftswachstum zu orientieren.
Das wäre in den letzten Jahren eine milliardenteure Investition in Panzer und Haubitzen gewesen, statt für Schulen, Schienen und Straßen zu sorgen. Aber das ist kein Beitrag zur Friedenssicherung, und deshalb werden wir das auch nicht tun. Ausrüstung ja, aber Aufrüstung: Nein!
Mein Maßstab ist nicht das Zwei-Prozent-Ziel für die Rüstungsausgaben. Mein Maßstab ist das 0,7-Prozent-Ziel für die Entwicklungszusammenarbeit.
Da macht es übrigens Sinn, das ans Wirtschaftswachstum zu koppeln und zu sagen, wenn es uns besser geht, dann können wir auch noch mehr dafür tun, dass anderswo Fluchtursachen bekämpft werden, Konflikte vermieden werden und Menschen menschenwürdig leben können. Ich hätte gerne mehr von Letzterem, also über die 0,7 hinaus, und dafür weniger vom Ersteren. Das ist Friedenspolitik, und das ist die historische Verantwortung unseres Landes.
Wir brauchen eine ernsthafte Diskussion über die Sicherheit Europas und über die Wege, mit denen wir Sicherheit friedlicher und den Frieden sicherer machen. Willy Brandt hat mit seiner Politik gezeigt, dass das geht und wie das geht. …
Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sind überzeugte Europäer. Und das seit 100 Jahren, und das auch aus bitterer Erfahrung. Wir waren die ersten, die die Vision eines geeinten Europas in ein Programm in ein Parteiprogramm geschrieben haben.
Aber was bedeutet es, zu sagen „Wir sind Europäerinnen und Europäer“? Das muss ein Versprechen an die Menschen sein, das Versprechen von Zusammenhalt und Solidarität, nach Jahrhunderten von Krieg, Feindschaft und Konflikten auf diesem Kontinent. Und wer, wenn nicht die Friedens- und Europa-Partei SPD kann dieses Versprechen einlösen, zumindest von der deutschen Seite aus?
Mit der Politik des Kaputtsparens der Krisenstaaten Südeuropas, wie das zu Zeiten Wolfgang Schäubles der Fall war, geht das jedenfalls nicht.
Quelle: Rede von Norbert Walter-Borjans auf dem SPD-Bundesparteitag, 6. Dezember 2019, City Cube, Berlin