Der ehemalige Außenminister Dänemarks und warnt vor gefährlichen Änderungen in der Politik gegenüber China:
Wir sollten uns davor hüten, China weiter auszugrenzen. Ich vertraue immer auf Henry Kissinger, der mir vor 16 Jahren sagte: Die Zukunft Taiwans wird friedlich gelöst werden, solange wir anderen uns nicht einmischen.
Mein ehemaliger Kollege, Dänemarks dienstältester Außenminister Uffe Ellemann-Jensen, sagte mir einmal, dass während seiner Amtszeit als Außenminister weder China noch das Klima ganz oben auf der Tagesordnung standen. Jetzt, 30-40 Jahre später, ist Chinas Bedeutung auf der Weltbühne explodiert.
Der Klimawandel ist unsere größte existenzielle Bedrohung, sofern wir die Zivilisation nicht in einem Atomkrieg auslöschen. Frieden und wirtschaftliche Stabilität für den Rest des 21. Jahrhunderts hängen davon ab, ob die Vereinigten Staaten und China ihre Rivalität zügeln und gemeinsam eine Vorreiterrolle in der internationalen Zusammenarbeit übernehmen können.
Seit China 1978 unter der Führung von Deng Xiaoping das Chaos und die Katastrophen des Maoismus hinter sich gelassen hat, hat das riesige Land sensationelle Fortschritte gemacht.
Die Wirtschaft ist mehr als dreißigmal größer geworden. Meine Frau Mette Holm und ich haben, getrennt und gemeinsam, diesen gewaltigen Umbruch miterlebt. Mette hat zehn Jahre lang in China gelebt – zunächst als Austauschstudentin, später als Reporterin. Ich habe China in den letzten 45 Jahren 18 Mal besucht und bin in meiner Funktion als Finanz- und Außenminister, Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Dänemarks und des Parlaments sowie als Präsident der UN-Generalversammlung mit vielen führenden chinesischen Politiker zusammengetroffen.
In der Selbstwahrnehmung Chinas ist das Land die älteste und wichtigste Nation der Welt, die nach einer “kurzzeitigen Schwächephase von 150 Jahren” ja nun wieder aufsteigt — über Handel, Investitionen und wieder Diplomatie – nicht über den Wunsch nach kriegerischen Eroberungen.
Daran hat sich meines Erachtens nichts geändert, auch wenn Xi Jinpings Autokratie und die massive Uniformierung erschreckend sind. Die Muslime in Xinjiang, die Tibeter und die wenigen Dissidenten, die es wagen, ihre Meinung zu äußern, werden mit aller Härte unterdrückt werden.
Auch die Aufrüstung und das Gerede von einer Vereinigung mit Taiwan “notfalls” mit militärischer Gewalt gibt Anlass zur Sorge. Dennoch: Wir brauchen Xi, um Putin zu beeinflussen
Die USA stehen an der Spitze eines konfrontativen Wandels: Nach jahrzehntelangem gegenseitigem Engagement in den Bereichen Handel und Investitionen und erfolgreicher politischer Zusammenarbeit – wie beim Pariser Klimaabkommen (!) – wird der Westen nun so wahrgenommen, als würde er einen Kurs einschlagen, der Chinas Fortschritte auf dem Weg zum Wohlstand behindert, während er das Land mit starken Bündnissen unter amerikanischer Führung einkreist.
China wendet nur ein Drittel der Mittel auf, die die USA für das Militär ausgeben, und die USA verstärken ihre Beziehungen zu großen Nachbarländern wie Japan und Indien.
Trump hatte den Handelskrieg und das Covid-Bashing gegen China ausgelöst, und seither ist in der amerikanischen Politik eine paranoide Angst sowie die Forderung entstanden, “hart gegen China” zu sein.
Sie gipfelte in der Hysterie über den Abschuss des chinesischen Heißluftballons. Die Beziehungen haben eine gefährliche Wendung genommen, dass dieses kleine Intermezzo zur Absage des Besuchs des amerikanischen Außenministers Antony Blinken in Peking führen könnte. Genau das Gegenteil ist nötig: Entspannung und Entkrampfung.
Am wichtigsten wäre es, wenn sich die USA und China so weit verständigen könnten, dass Xi Jinping bereit wäre, Druck auf seinen “Freund” Putin auszuüben, damit dieser den Angriffskrieg in der Ukraine beendet. Leider wurde Chinas Kurs bisher von der gemeinsamen chinesisch-russischen Opposition gegen die globale Vorherrschaft der USA bestimmt.
China ein wichtiger Akteur
Die Vereinigten Staaten müssen ein neues Gleichgewicht akzeptieren und anerkennen, in dem Chinas Fortschritt nicht dauerhaft gehemmt werden kann – und sollte. China hat starke Wirtschaftsbeziehungen in Ost- und Südasien aufgebaut und gewinnt zunehmend an Einfluss in Afrika, Lateinamerika, Zentralasien und dem Nahen Osten. China ist heute ein wichtiger diplomatischer Akteur, dem es gelungen ist, zwischen den Erzfeinden Iran und Saudi-Arabien zu vermitteln.
Die USA müssen auch verstehen, dass sowohl China als auch Europa wichtige Teile unserer beträchtlichen Wirtschaftsbeziehungen bewahren wollen. Deshalb hatte Außenminister Løkke Rasmussen Recht, als er sagte, die EU müsse zum Abbau der Spannungen zwischen den USA und China beitragen.
Aber sollten wir nicht eine Invasion Taiwans befürchten – analog zu Putins Einmarsch in der Ukraine?
Ich halte diese Analogie für falsch. China hat kein Interesse daran, einen militärischen Konflikt zu beginnen, der den grundlegenden, unausgesprochenen “Vertrag” mit der Bevölkerung umstoßen könnte: Die Regierung hat eine solide Unterstützung in der Bevölkerung, während sie es geschafft hat, 800 Millionen Menschen aus der Armut zu holen. Die große Mehrheit der Chinesen hat massiv an Wohlstand und Freiheiten gewonnen – solange sie sich nicht in die Politik einmischt!
Ein Krieg um Taiwan wäre jedoch extrem kostspielig, da er Sanktionen nach sich ziehen und die Teilnahme Chinas an der Weltwirtschaft beeinträchtigen würde.
Alle Staaten haben daher ein grundlegendes Interesse daran, keine Veränderungen des Status quo in der Straße von Taiwan zu provozieren. Wie Henry Kissinger sagte: “Taiwans Zukunft wird wahrscheinlich friedlich gelöst werden, solange wir anderen uns so wenig wie möglich einmischen. Es gibt Chinesen auf beiden Seiten, und sie haben eine längere Zeitperspektive als wir im Westen.”
Quelle: 2023-03-22. — https://lykketoft.dk/farlige-udsving-i-kina-politikken (informell ins Deutsche übertragen von W. Biermann)