Clemens Ronnefeldt, Referent für Friedensfragen beim internationalen Versöhnungsbund, hat in seinem Mail-Rundbrief vom 01. Dezember 2021 deutsche Pressestimmen zusammengestellt:
Liebe Friedensinteressierte,
in meinem heutigen Newsletter möchte ich mich auf ein Thema konzentrieren: Die aktuelle Kriegsgefahr zwischen Russland und der Nato.
Dazu habe ich einige Artikel zusammen gestellt, die den Ernst der Lage deutlich machen.
Die Bundesregierung könnte z.B. über ihre 25,1% Sperrminorität beim Rüstungskonzern HENSOLDT umgehend darauf hinwirken, dass über ein südafrikanisches Tochterunternehmen des deutschen Konzerns HENSOLDT keine Bauteile für türkische Kampfdrohnen mehr geliefert werden, die in der Ukraine gegen prorussische Separatisten eingesetzt werden.Vorschläge für eine Deeskalation finden sich im Videovortrag von Prof. Dr. Gabriele Krone-Schmalz und im Gastbeitrag von Lars Pohlmeier, dem Vorsitzenden der IPPNW, in der Frankfurter Rundschau.
„Neue Entspannungspolitik. Jetzt!“ ist das Gebot der Stunde – auch und gerade für die neue Bundesregierung.Am 26. November 2021 fragt die Süddeutsche Zeitung:
Im SZ-Printteil vom 27./28.11.2021 unter der Überschrift „Auf der Suche nach der roten Linie“ steht zu lesen:
(…) Bei einem Auftritt vor dem Führungsstab des russischen Außenministeriums vergangene Woche warf Putin der Nato vor, die Lage durch Waffenlieferungen in die Ukraine und Militärübungen im Schwarzen Meer zu „verschärfen“. Zwar warne Russland immer wieder vor „roten Linien“, doch der Westen würde diese Hinweise „gelinde gesagt oberflächlich“ behandeln. (…)
Der ukrainische Militärgeheimdienst geht von mehr als 90 000 Soldat:innen Grenznähe aus, Russland bereite womöglich einen Angriff Ende Januar oder Anfang Februar vor. (…)Quelle: https://www.sueddeutsche.de/politik/ukraine-russland-konflikt-rote-linie-1.5473319? (Abo-pflichtig) und Druckversion der SZ vom 27./28.11.2021
Die FAZ berichtet am 30.11.2021:
Treffen der NATO-Außenminister: Blinken weckt Hoffnung auf militärische Verstärkung
(…) Der lettische Verteidigungsminister Artis Pabriks rief am Montagnach einer dauerhaften Präsenz amerikanischer Truppen – und derStationierung von Batterien des Flugabwehrsystems Patriot.
Der polnische Präsident Andrzej Duda setzte sich für eine „Stärkungder Einsatzbereitschaft“ der sogenannten Battlegroups ein, die dieNATO seit 2017 in Polen und den drei baltischen Staaten stationiert hat.
Bislang sind das verstärkte, multinationale Panzerbataillone,jeweils 1000 bis 1400 Soldaten. Deutschland führt den Verband in Litauen. (…)Quelle: https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/blinken-weckt-bei-nato-treffen-hoffnung-auf-militaerische-verstaerkung-17660344.html
…und am 01.12.2021 berichtet die FAZ:
Im Konflikt mit Russland: Ukraine ruft NATO zu mehr Unterstützung auf
Im Konflikt mit Russland fordert Kiew Sanktionen und eine engere Zusammenarbeit mit der NATO im Bereich Militär und Verteidigung. Doch die NATO-Staaten sind in dieser Frage gespalten.
(…) Das neue Abschreckungspaket sollte nach Wünschen der Ukraine aus drei Elementen bestehen. Das erste besteht daraus, gegenüber Russland klar zu kommunizieren, welche Konsequenzen aggressive Handlungen gegen die Ukraine hätten.
Zweitens soll es ein Paket von Wirtschaftssanktionen geben, die im schlimmsten Fall gegen Russland verhängt werden würden, und drittens eine noch stärkere Zusammenarbeit zwischen der NATO und der Ukraine im Bereich Militär und Verteidigung.Quelle: https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/ukraine-ruft-nato-zu-unterstuetzung-gegen-russland-auf-17661298.html
Die Süddeutsche Zeitung am 30. November 2021:
Nato-Treffen in Riga: Eindringliche Warnungen an Putin
Tatsächlich warnen die USA in vertraulichen Gesprächen europäische Verbündete aber seit Wochen, dass der Kreml eine Invasion in der Ostukraine oder weiteren Gebieten des Landes zu Beginn des neuen Jahres vorbereiten könnte.
Blinken soll am Donnerstag in Stockholm seinen russischen Kollegen Sergeij Lawrow treffen. Dabei soll es auch um ein weiteres Gipfeltreffen zwischen US-Präsident Joe Biden und Putin gehen. (…)
Quelle: https://www.sueddeutsche.de/politik/nato-russland-ukraine-usa-1.5477215
Das ZDF-Magazin „Frontal“ sendete am 30.11.3021 den folgenden Video-Beitrag:
Kampfdrohnen mit deutscher Technik – Tod aus den Wolken
Die Türkei gehört heute zu den führenden Herstellern von Kampfdrohnen.
In Krisenregionen wie Jemen, Berg-Karabach, Syrien, Irak und der Ostukraine bombardieren unbemannte Kampfflugzeuge aus türkischer Produktion gegnerische Stellungen.
Das Erdogan-Regime verdankt den weltweiten Erfolg seiner bewaffneten Drohnen auch einem Geschäftspartner aus Deutschland. Der liefert über eine Tochterfirma modernste Zielerfassungsoptiken an die Türkei – uneingeschränkt und ohne Rüstungsexportauflagen.Zentrale Fakten des Frontal-Beitrages:
– „Argos” ist ein Zielerfassungssystem einer türkischen Kampfdrohne, das vom deutschen Konzern HENSOLDT in Südafrika gebaut und weltweit exportiert wird.
– Deutschland ist mit 25,1 Prozent an HENSOLDT beteiligt. Die Bundesregierung kann über diese Sperrminorität auf Unternehmensentscheidungen z.B. beim Export Einfluss nehmen – tut dies aber offenbar nicht.
– Am 26. Oktober 2021 beschoss die ukrainische Armee mit einer türkischen Drohne inclusive HENSOLDT-Zielerfassung erstmals eine Stellung der prorussischen Separatisten im umkämpften Osten der Ukraine.
– Russland protestierte gegen dieses Verletzung des Minsker Abkommens.
– Die Ukraine möchte nach diesem ersten aus ihrer Sicht “erfolgreichen“ Einsatz der Kampfdrohne diese auch zukünftig einsetzen, was in Moskau erhebliche Unsicherheit ausgelöst hat.Das Manuskript zum Video-Sendebeitrag kann als pdf-Dokument hier herunter geladen werden
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Zur Erinnerung:
Ende September 2020 bis zum 10. November 2020 führten Armenien und Aserbaidschan Krieg gegeneinander.
Es war der erste Krieg, der durch bewaffnete Drohnen entschieden wurde, wie das Redaktionsnetzwerk (RND) am 15.12.2020 berichtete: “Die neue Macht der Drohnen: Aserbaidschan hat gegen Armenien den ersten zwischenstaatlichen Drohnenkrieg der Welt gewonnen.“Quelle: https://www.rnd.de/politik/die-neue-macht-der-drohnen-DZSVCHCEPZEDNP7SMPHSUVVXZ4.html
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Impulse für eine Deeskalation im aktuell hitzigen Ost-West-Konflikt finden sich u.a. hier:1.) Prof. Dr. Gabriele Krone-Schmalz in einem sehr nachdenklich machenden Vortrag am 27. Oktober 2021:
Eiszeit mit Russland? – Zu den Herausforderungen der deutsch-russischen Beziehungen im FORUM der Volkshochschule im Museum am Neumarkt in Köln.
Die renommierte Journalistin, Historikerin und frühere ARD-Korrespondentin in Moskau analysiert das derzeitige Verhältnis zu Russland und geht der Frage nach, welche Rolle die erweiterte EU und die USA dabei spielen.
Sie berichtet über die innere Entwicklung in Russland mit all ihren Widersprüchen und versucht Wege aufzuzeigen, wie eine Entspannungspolitik aussehen könnte.Quelle: 2021-10-27. — Köln: Eiszeit mit Russland? Vortrag+Diskussion mit Gabriele Krone-Schmalz (Veranstalter: VHS Köln in Kooperation mit dem Städtepartnerschaftsverein Köln-Wolgograd e.V., ver.di Köln-Bonn-Leverkusen, Kölner Friedensforum, Lutherkirche Südstadt, Friedensbildungswerk)
2.) Lars Pohlmeier, Vorsitzender der IPPNW, in seinem Beitrag “Für eine neue Entspannungspolitik!“:
Die Nato darf Russland nicht mit Atomwaffen drohen. Vielmehr muss das Bündnis den Konflikt entschärfen. Das Ende der direkten diplomatischen Beziehung zwischen der Nato und Russland steigert die Gefahr der Eskalation des Konfliktes. Drohungen von beiden Seiten nehmen ein gefährliches Ausmaß an.
Die zunehmend leichtfertige „Kalte-Kriegs-Rhetorik“, die sich aufseiten der Nato-Staaten zunehmend verbreitet, schafft keine Sicherheitsperspektive für die notwendige Zusammenarbeit mit Russland. Sie stärkt im Gegenteil die Falken auf russischer Regierungsseite und erhöht die Eskalationsgefahr bis hin zu militärischen Aktionen. Die künftige Bundesregierung muss neue Anstrengungen unternehmen für eine paneuropäische Sicherheitsstruktur, die alle Länder einschließt. (…)
Die neue Regierung könnte sich innerhalb der Nato für eine Entspannungspolitik einsetzen. Mitten im Kalten Krieg – vor knapp 40Jahren – entstand der Palme-Bericht, den eine unabhängige internationale Kommission unter dem Vorsitz des damaligen schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme erarbeitete.
Die damaligen Empfehlungen der Kommission zielten darauf ab, durch das entspannungspolitische Konzept der gemeinsamen Sicherheit zur Überwindung des Ost-West-Konflikts beizutragen.
Der Palme-Bericht brachte dieses Anliegen knapp und bündig auf den Punkt: „Ein Konzept der gemeinsamen Sicherheit muss an die Stelle der bisherigen Abschreckung durch Hochrüstung treten. Der Frieden in der Welt muss sich auf ein Engagement für das gemeinsame Überleben statt auf die Drohung durch gegenseitige Auslöschung gründen.“
Diese Forderung ist noch heute aktuell. Gemeinsame Sicherheit bedeutet Akzeptanz der gegenseitigen Abhängigkeit und die Einsicht, dass Sicherheit nur mit dem Konfliktpartner, aber nicht gegen ihn möglich ist. Deshalb muss die Nato auf die Drohung mit Atomwaffen verzichten.
Am vergangenen Freitag haben die Nato-Mitglieder in der nuklearen Planungsgruppe, die für die Rolle der Atomwaffen zuständig ist, über die Ankündigung Norwegens diskutiert, als beobachtender Staat an der ersten Staatenkonferenz des Atomwaffenverbotsvertrags teilnehmen zu wollen.
Das erste Treffen der Vertragsstaaten soll vom 22. bis 24. März 2022 in Wien stattfinden. Auch Staaten, die nicht Vertragspartei sind, können sich an den Treffen beteiligen. Neben Norwegen haben Finnland, Schweden und die Schweiz bereits erklärt, dass sie als Beobachter dabei sein werden. Die neue Bundesregierung sollte ebenfalls an der Konferenz teilnehmen.
Während die diplomatischen Kanäle zwischen Politiker:innen der Nato und Russland zunehmend eingeschränkt werden, reden zumindest die Militärs miteinander. Am 22. September 2021 trafen sich die Generalstabsschefs der USA und Russlands in Helsinki, US-General Mark Milley und sein russischer Amtskollege Valery Gerasimov.
Sie gaben keine Einzelheiten ihrer Gespräche bekannt, betonten aber, die Gespräche sollten die Risiken mindern. „Die USA und Russland müssen ihre militärischen Kontakte verstärken“, sagte der höchste US-General: „Wir müssen Vorschriften und Verfahren entwickeln, um mehr Sicherheit statt Unsicherheit, mehr Vertrauen statt Misstrauen, mehr Stabilität statt Instabilität zu schaffen und Fehleinschätzungen zu vermeiden, um die Gefahr der Eskalation zu einem Krieg zwischen den Großmächten zu verringern.“
Durch die politische Verhärtung zwischen Russland und dem Westen droht ein Rückfall in die Zeit der Achtzigerjahre. Dieser Gefahr muss entgegengetreten werden.
Jetzt ist die Zeit für neue Abrüstungsinitiativen und konsequente Zusammenarbeit auf allen gesellschaftlichen Ebenen.Quellen: 2021-10-27. — (INEP) — IPPNW: Für eine neue Entspannungspolitik! / 2021-10-24. — (INEP) — Helsinki: Gespräche zwischen den Generalstabsschefs, um Krieg zwischen Großmächten zu verhindern… / 2021-10-15. — (INEP) Außenpolitik der rot-grünen Regierung in Norwegen für „eine sicherere, gerechtere und grünere Welt“
Wer den Aufruf “Die Spirale der Gewalt beenden – für eine neue Friedens- und Entspannungspolitik jetzt!“
noch nicht unterzeichnet hat, kann dies hier tun: https://neue-entspannungspolitik.berlin/aufruf/.
Mit freundlichen GrüßenClemens Ronnefeldt
Referent für Friedensfragen beim deutschen Zweig des internationalen Versöhnungsbundes / A.-v.-Humboldt-Weg 8a, 85354 Freising / Mail: c.ronnefeldt@t-online.de / Tel.: 08161-547015
Quelle: Clemens Ronnefeldt, Mail-Rundbrief vom 01.12.2021