In einer Kolumne für die Washington Post schrieb Am 22. März 2022 schrieb Katrina vanden Heuvel folgenden Appell an die US-Amerikaner, der sich eigentlich auch an uns in Deutschland und Europa richtet. Wir danken der Autorin für die Freigabe der deutschen Fassung ihres Textes:
Wie man einen neuen Kalten Krieg vermeiden und sich auf das konzentrieren kann, was Amerika wirklich braucht
Mit dem völkerrechtswidrigen Einmarsch in die Ukraine hat der russische Präsident Wladimir Putin die Ära nach dem Kalten Krieg in die Luft gesprengt.
Die vermeintliche Pax Americana der letzten drei Jahrzehnte – die viel zu wenig “Pax” beinhaltete – ist vorbei. Was als Nächstes kommt, ist noch unklar, und es besteht ein starker Kontrast zwischen dem, was möglich ist, und dem, was wahrscheinlich folgen wird.
Ist ein neuer und gefährlicherer, militarisierter Kalter Krieg unvermeidlich? Oder ist eine andere Welt der gegenseitigen, geneinsamen Sicherheit noch denkbar?
Das oberste moralische Gebot lautet, den Krieg in der Ukraine zu stoppen. Angesichts der Fehleinschätzungen Putins über den erbitterten Widerstand der Ukrainer und die Hilfe und Bewaffnung durch eine geeinte NATO ist wahrscheinlich, dass der Krieg immer brutaler und kostspieliger wird, der sich Block für Block durch die ukrainischen Städte und Ortschaften zieht.
Das würde einen horrenden Preis kosten, den die Ukrainer mit ihrem Leben und der Zerstörung ihres Landes bezahlen würden. Stattdessen muss das Hauptziel darin bestehen, die Kämpfe so schnell wie möglich zu beenden, um die ukrainischen Städte vor weiteren Bombardierungen zu bewahren und eine sichere Evakuierung der Flüchtlinge zu ermöglichen. Dies erfordert eine weltweite Forderung nach einem Waffenstillstand, gefolgt von einer Verhandlungslösung, die zwangsläufig schwierige Kompromisse erfordert.
Bislang hat die Regierung Biden die Verhandlungen weitgehend anderen überlassen. Die russisch-ukrainischen Gespräche sind bisher nur langsam vorangekommen. Die einzige Hoffnung besteht vielleicht darin, dass der ukrainische Präsident Volodymyr Selensky und seine Diplomaten auf einen Waffenstillstand drängen, unterstützt von externen Vermittlern, darunter möglicherweise China, Israel oder die Türkei.
Auf den Waffenstillstand könnte eine Kompromisslösung folgen – ukrainische Neutralität, Anerkennung der russischen Kontrolle über die Krim und Garantien für die überwiegend russischsprachigen Separatistengebiete der Ukraine. Russland seinerseits muss die Sicherheit und Souveränität der Ukraine anerkennen. Selensky hat bereits seine Kompromissbereitschaft angedeutet. Wenn Putin verhandeln will, müssen die Vereinigten Staaten und ihre NATO-Verbündeten die Verhandlungen unbedingt fördern, anstatt sie zu verachten.
Unabhängig davon, wie die Invasion ausgeht, scheint ein neuer Kalter Krieg unvermeidlich. Während viele Kommentatoren inzwischen akzeptieren, dass die NATO-Erweiterung bis an die Grenzen Russlands dazu beigetragen hat, Putins Aggression zu schüren, sind bereits neue Pläne zur Ausweitung der NATO im Gange.
Deutschland hat eine umfangreiche militärische Erweiterung angekündigt. Die baltischen Staaten fordern einen verstärkten Schutz, d.h. mehr NATO-Streitkräfte an der russischen Grenze. Es gibt Überlegungen, Finnland und Schweden in das Bündnis aufzunehmen.
In den Vereinigten Staaten sind die Falken in vollem Gange, um die Stimmung an für einen Kalten Krieg mit zwei Fronten gegen Russland und China anzuheizen. Kurt Campbell, Präsident Bidens Beauftragter für Asien, betonte Ende Februar, dass die Vereinigten Staaten während des Zweiten Weltkriegen auf zwei militärischen Schauplätzen aktiv waren: “Das ist schwierig. Es ist teuer. Aber es ist auch unerlässlich, und ich glaube, dass wir in eine Zeit eintreten, in der dies von den Vereinigten Staaten und dieser Generation von Amerikanern verlangt wird.”
Die Kosten wären schwindelerregend. Die Militärausgaben der USA, die bereits jetzt rapide ansteigen, würden weiter in die Höhe schnellen. Die Spannungen würden zunehmen, wenn die Vereinigten Staaten ihre Verbündeten und Stützpunkte im Pazifik gegenüber China und die Truppenstärke der NATO an den Grenzen Russlands ausbauen würden.
Da die Rüstungskontrolle bereits zu Bruch gegangen ist, würde sich die Aufrüstung mit Atomwaffen beschleunigen. Die Strategie der Vereinigten Staaten würde von der Bekämpfung von Terroristen zum Kampf gegen China und Russland in der Welt der Entwicklungsländer übergehen.
Mit diesem Ansatz würde das Tempo der Zerstörung der Sicherheitsordnung, die in den letzten Jahrzehnten so katastrophale versagt hat ist, im Grunde verdoppelt.
Einmal mehr würde Amerika die Militarisierung der Diplomatie vorziehen und die Rolle des Weltpolizisten ausbauen statt das eigene Land in Ordnung zu bringen. Die Mittel für die realen und allgegenwärtigen Gefahren des Klimawandels und globaler Pandemien würden einmal mehr vernachlässigt, da die Ressourcen und Aufmerksamkeit auf den Konkurrenzkampf der Großmächte konzentriert werden.
Was wir dringend brauchen, ist eine Sicherheitsarchitektur für die Welt, in der die Vereinigten Staaten nicht den Weltpolizisten spielen, sondern die Großmachtkonflikte abbauen statt sie zu verschärfen. Dazu gehören eine Wiederbelebung der Rüstungskontrolle, neue Vereinbarungen über Gewaltverzicht und die Konzentration auf Bereiche wie Klimawandel und Pandemien, für die internationale Zusammenarbeit – insbesondere mit China – unerlässlich ist.
Die Invasion in der Ukraine wurde zu einem Zeitpunkt losgetreten, als die Wissenschaftler berichteten, dass uns weniger als ein Jahrzehnt Zeit bleibt, um den katastrophalen Klimawandel zu bewältigen.
Es wäre eine wirklich existenzielle Bedrohung für die Sicherheit der USA, wenn wir diese Herausforderung zugunsten eines neuen Kalten Krieg auf die lange Bank schieben würden.
Der Einmarsch Russlands droht uns in die alte Welt zurückzutreiben — in die Welt des Wettrüstens und der Truppenstationierungen, der Stellvertreterkriege und der wirtschaftlichen (und jetzt auch der Cyber-) Konflikte, der Welt in der Hunderte von Milliarden für Waffen verschwendet werden, deren Einsatz wir nicht wagen dürfen — all das würde uns ablenken vom Kampf gegen die wirklich existenzielle Bedrohung durch Klimakatastrophen und vom Kampf für Wiederaufbau und Erneuerung der amerikanischen Demokratie, wir alle Kräfte der Nation auf den neuen kalten Zweifronten-Krieg ausrichten.
Der Test unserer Zeit wird nicht sein, ob sich unsere Nation in einen neuen Kalten Krieg an zwei Fronten einbringen kann, sondern ob wir einen anderen Weg finden können.
Mit anderen Worten: Wir brauchen eine neue Entspannungspolitik gerade JETZT!
Quelle: 2022-03-15. – (Washington Post, Opinion) – Opinion: How to avoid a new Cold War and focus on what America really needs – deutsche Übersetzung durch die Redaktion (wb)