In einem Interview mit der WAZ zum Jahresanfang erläutert der frühere NATO-General Hans-Lothar Domröse, warum er “nicht sofort”, aber im Laufe des neuen Jahres eine Verhandlungslösung in der Ukraine erwartet:
Sie rechnen also tatsächlich mit einem Waffenstillstand?
Domröse: Ja. Wir werden im Verlauf des Jahres 2023 einen Waffenstillstand haben. Es macht keinen Sinn, weiter zu kämpfen, wenn man gar keinen Raum mehr gewinnt. Am wahrscheinlichsten tritt zwischen Februar und Mai eine Situation ein, in der beide Seiten erkennen, dass sie nicht weiterkommen. Russland könnte sagen „wir müssen nicht weiter“, die Ukraine müsste sagen „wir schaffen es nicht weiter“. Das wäre der Moment für Waffenstillstandsverhandlungen.
Aber das bedeutet noch lange nicht Frieden. Waffenstillstand heißt: Wir beenden das Schießen. Die Verhandlungen dürften lange dauern, man benötigt einen Vermittler: Vielleicht UN-Generalsekretär Guterres, den türkischen Präsidenten Erdogan oder den indischen Präsidenten Modi – wobei sich niemand wirklich aufdrängt.
Was müsste der Vermittler erreichen?
Domröse: Es bleibt nur eine Verhandlungslösung, die für beide Seiten akzeptabel ist – auch wenn Putin eigentlich gern die gesamte Ukraine hätte und Selenskyj die gesamte Ukraine wieder befreien möchte. Beides wird nicht gelingen. Und Russland als Aggressor lässt sich sicher auch nicht zur Kapitulation zwingen. Es wird den 1200 Kilometer langen Streifen seiner Eroberungen nicht einfach aufgeben.
Eine Lösung könnte zum Beispiel sein, dass Selenskyj auf die Forderung verzichtet, Gebiete wie die Krim sofort wieder in die Ukraine einzugliedern – man könnte einen Übergang vereinbaren, so wie es bei der Übergabe Hongkongs an China eines Übergangsfrist von 50 Jahren gibt. Die Bundesrepublik hat auch nie auf die deutsche Einheit verzichtet, und erst als wir sie bekamen, haben wir die Oder-Neiße-Grenze als endgültig anerkannt.
Aber wie sicher wäre eine solche Lösung?
Domröse: Die Schutzgarantie für die Ukraine müssen dann die Europäer mit den Amerikanern übernehmen – ähnlich der Schutzgarantie der USA für Israel. Der Westen müsste zwar keine Truppen stationieren, aber ab und zu Manöver abhalten und signalisieren: Wir sind da. Diese Garantie muss gegeben werden. Sonst würde Putin mit frischen Kräften bald wieder in die Ukraine einmarschieren. …
Quelle: 2023-01-01.– (Westdeutsche Allgenmeine Zeitung) — Ukraine-Krieg: Ex-General sagt Waffenstillstand für 2023 voraus /
zur Person: General Hans-Lothar Domröse war Stabschef der Nato-Missionen im Kosovo und Afghanistan und Oberbefehlshaber des NATO Allied Joint Force Command Brunssum/Niederlande.