Am 21. Juni 2022 wurde auf der Bundespressekonferenz das Friedensgutachten 2022 vorgestellt und einige Folgeveranstaltungen angekündigt. Ute Finckh-Krämer fasst das Ergebnis folgendermaßen zusammen:
„Friedensfähig in Kriegszeiten“ ist der Titel des diesjährigen Friedensgutachtens, das von vier deutschen Instituten für Friedens- und Konfliktforschung herausgegeben wird. Wie alle Friedensgutachten seit 2018 ist es unter www.friedensgutachten.de im Volltext verfügbar. Auch die Grundstruktur ist seit 2018 gleich – es gibt eine gemeinsame Stellungnahme der Herausgeber:innen, ein jährlich wechselndes aktuelles Fokusthema und fünf weitere Kapitel zu aktuellen Themen, die sich fünf gleichbleibenden Themenbereichen zuordnen lassen: Bewaffnete Konflikte, Nachhaltiger Frieden, Rüstungsdynamiken, Institutionelle Friedenssicherung und Transnationale Sicherheitsrisiken. Jedem Kapitel werden Empfehlungen vorangestellt, die sich an Personen und Institutionen im politischen Raum richten.
Das Fokusthema ist mit „Friedens- und Sicherheitspolitik nach der Zeitenwende“ überschrieben. Darin wird ausgeführt, warum auch in der aktuellen Kriegssituation mit dem klar völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine bestimmte friedenspolitische Grundsätze richtig bleiben. So bleibt das langfristige Ziel einer durch kooperative Sicherheit geprägten europäischen Friedensordnung richtig.
Die Autor:innen warnen davor, auf eine militärische Niederlage Russlands oder den Sturz des Putin-Regimes zu setzen. Stattdessen sollten Sanktionen und die militärische Unterstützung der Ukraine so eingesetzt werden, dass eine diplomatische Bearbeitung des Konflikts möglich wird. Sie warnen auch davor, einen Systemkonflikt zwischen Demokratie und Autokratie zu beschwören und warnen davor, Diplomatie, Kooperation und politischem Vertrauen eine generelle Absage zu erteilen.
Trotz des Ukrainekrieges werden in den weiteren Kapiteln weltweite Entwicklungen analysiert, dabei kommen auch die friedenspolitische Rolle von Entwicklungszusammenarbeit, humanitärer Hilfe und Ziviler Krisenprävention angesichts von Klimakrise und konfliktbedingter Flucht und Vertreibung (über die Ukraine hinaus) zur Sprache. Darüber hinaus werden (vor allem, aber nicht nur nukleare) Rüstungskontrolle und Rüstungsexportkontrolle ausführlich behandelt.
In ihrer Pressemitteilung fordern die Friedensforscher u.a. als “Antwort auf die Gefahren des Wettrüstens den Verzicht der NATO auf den atomaren Ersteinsatz“.
Konkret wird das Gutachten dazu im Abschnitt 3 RÜSTUNGSDYNAMIKEN – Abrüsten statt Wettrüsten mit folgenden neun Empfehlungen:
1.) Nukleare Deeskalation
Deutschland sollte seine Rolle innerhalb der NATO nutzen und für eine fortgesetzte Politik der nuklearen Zurückhaltung eintreten. Dies gilt für die direkte Reaktion auf atomare Drohgebärden wie auch mit Blick auf die generelle Rolle von Kernwaffen im Bündnis.
2.) Kein weiteres nukleares Aufrüsten
Deutschland sollte an alle Kernwaffenstaaten appellieren, durch Einfrieren bestehender Arsenale ihren Verpflichtungen aus Artikel VI des Nichtverbreitungsvertrags (NVV) nachzukommen.
3.) Einstieg in Multilateralisierung der Abrüstung
Eine multilaterale Abrüstungsinitiative könnte im Format der fünf ständigen Mitglieder des VN-Sicherheitsrats (P5-Prozess) eingebracht werden. Deutschland sollte sich dafür einsetzen, dass der Prozess beibehalten und intensiviert wird.
4.) Verzicht auf Ersteinsatz von Atomwaffen
Deutschland sollte erklären, sich an keinem Ersteinsatz von Kernwaffen zu beteiligen und bei den Kernwaffenstaaten dafür werben, entsprechende „No First Use“-Erklärungen abzugeben.
5.) Ausstieg aus nuklearer Teilhabe einleiten
Deutschland sollte die Beendigung der nuklearen Teilhabe als Ziel erklären. Zusammen mit den anderen Stationierungsstaaten und weiteren NATO-Mitgliedern muss eruiert werden, wie nukleare Deeskalation sichergestellt und eine Denuklearisierung der Abschreckung erreicht werden kann.
6.) Brücken bauen
Deutschland sollte das erste Treffen zum Atomwaffenverbotsvertrag (AVV) als Beobachter unterstützen. Berlin muss die humanitären Folgen von Atomwaffen stärker in den Blick nehmen und „positive Verpflichtungen“ des AVV mit umsetzen, vor allem Unterstützungsleistungen für Opfer und Umweltsanierung, etwa durch einen gemeinsamen NVV-AVV-Fonds.
7.) Perspektiven für eine kernwaffenfreie Zone in Europa schaffen
Der AVV eröffnet die Möglichkeit, dass sich auch europäische Staaten anschließen und ein kernwaffenfreies Netzwerk bilden. Deutschland sollte die Entwicklung eines europäischen Netzwerkes ausdrücklich unterstützen.
8.) Negative Sicherheitsgarantien
Deutschland sollte im Rahmen des Nicht-Verbreitungs-Vertrags (NVV) vorschlagen, dass die permanenten Mitglieder des VN-Sicherheitsrats (P5) zusätzliche negative Sicherheitsgarantien – Versprechen, Nichtkernwaffenstaaten gegenüber weder den Einsatz von Kernwaffen anzudrohen noch diese tatsächlich einzusetzen – an solche Staaten geben, die dem NVV angehören und einer kernwaffenfreien Zone oder dem AVV beigetreten sind.
9.) In Wissen um Nuklearwaffen investieren
Bildung ist ein wesentliches Element für nachhaltigen Frieden. Deutschland sollte Ressourcen und Strukturen bereitstellen, um das Wissen um Nuklearwaffen, ihre Abrüstung und Kontrolle in Gesellschaft und Politik zu stärken, zu erneuern und nachhaltig zu verankern.
Quellen:
– Friedensgutachten 2022 – Infoseite
– Gesamttext des Friedensgutachten 2022
– IFSH über das Friedensgutachten
– Friedensgutachten 2022, Abschnitt 3 “Abrüsten statt Wettüsten”