Bill McKibben in
Sonderheft – Warum wir einen grundlegenden Wandel der Außenpolitik brauchen:
Deshalb muss Washington die Subventionen stoppen, mit denen sich die Kohlenwasserstoffindustrie bereicherte…
Progressive amerikanische Politiker müssen sich darauf einstellen, dass dramatische Maßnahmen gegen den Klimawandel höchste Priorität haben und Prüfstein ihrer Politik sind.
Bisher hat Senator Bernie Sanders sehr überzeugend die Bewältigung von Klimawandel, Gesundheitsversorgung, Rassengerechtigkeit und der Überwindung von extremer Ungleichheit als sein “unveränderliches Quartett” vertreten, es in jeder Rede zitiert und mit ernsthaften Gesetzgebungsinitiativen unterstützt – als Zeichen der Bereitschaft, schnell zu handeln.
Andere führende Demokraten werden ihn bei dem einen oder anderen Gesetzentwurf unterstützen, inzwischen bewerben sich sogar Wissenschaftler und Ingenieure um ein politisches Amt. Ernsthaftigkeit beim Klimawandel muss aber zur politischen Kernkompetenz gehören, nicht nur als nachträglicher Einfall von jemandem, der gern als Präsident kandidieren möchte. Denn Klimawandel ist nicht nur Umweltproblem, sondern die wichtigste Sicherheitsfrage, mit der sich die Menschheit jemals konfrontiert gesehen hat.
“Sicherheit” im grundlegendsten Sinne: Es geht um eine keineswegs nebensächliche Frage, nämlich ob das Gebiet in dem man lebt, das eigene Zuhause, in den kommenden Jahren einem Flächenbrand, einer Flut, einem extremen Sturm oder einer Killer-Hitzewelle ausgesetzt sein wird. Die Versicherungswirtschaft als Teil unserer Wirtschaft, die das Risiko analysieren will, ist sich dessen bewusst. Aber heutzutage sind die wahren Experten jene Leute, die im letzten Herbst die kalifornischen Feuerstürme oder den Angriff des Orkans Maria auf Puerto Rico überlebt haben.
Wenn wir in Zeitschriften über “Sicherheit” sprechen, denken wir meist an Armeen, Waffen und Außenpolitik. Das Pentagon war bisher der eine Arm der traditionellen konservativen Macht in Amerika, aber es ist inzwischen sogar bereit, zumindest die Fakten unserer Klimageschichte zu erwähnen, und ranghohe Offiziere wurden immer offenherziger: Im Jahr 2013 erklärte der Leiter der US-Streitkräfte im Pazifik, Adm. Samuel Locklear III, einem Reporter, dass das, was seine Planer am meisten befürchteten, die globale Erwärmung ist – obwohl er verantwortlich für militärische Bedrohungen aus Nordkorea und China war. Sie sei wohl “die wahrscheinlichste Sache, die passieren wird …, die die Sicherheit lahm legen wird, vermutlich wahrscheinlicher als all die anderen Szenarien, über die wir all zu oft reden.” Obwohl Präsident Trump sogar das Militär gezwungen hat, die meisten direkten Hinweise auf den Klimawandel aus ihren Berichten zu entfernen, ist es kaum vorstellbar, dass sich die Militärplaner täuschen lassen, wenn schon allein steigender Meeresspiegel oder extremes Wetter die Hälfte der Stützpunkte und Häfen der USA bedrohen – so eine Studie. Aber es geht viel tiefer als das: Instabilität und Chaos sind zugleich die größten Feinde des Friedens und unveränderliche Begleiter des Klimawandels.
Ein Beispiel dafür ist die Entwicklung in Syrien, wo eine schwere Dürrekatastrophe – die schlimmste in der Levante seit fast einem Jahrtausend – vor einem Jahrzehnt eine Million Bauern aus ihrem ausgetrockneten Land in die bereits überfüllten Städte vertrieben hatte.
Eine Studie nach der anderen zeigt inzwischen, dass diese Dürre eine entscheidende Rolle bei der Auslösung des Konflikts in Syrien spielte, was wiederum dazu beitrug, gegenüber dem Regime in Syrien eine hasserfüllte neue Politik bei uns und in Europa anzuheizen. Jetzt multipliziere man das mit 100, wenn aufsteigende Meere und sich ausbreitende Wüsten immer mehr Menschen in Panik versetzen. Es ist eine der bitteren Ironien, dass der Westen die Migration befürchtet, die er selbst durch seine eigene Verbrennung fossiler Brennstoffe verursacht hat; denn niemand auf den Marshallinseln ist verantwortlich für das aufsteigende Meer oder kann es aufhalten. Es wird von uns harte Arbeit erfordern, um sicherzustellen, dass Menschen anderswo das Recht genießen können, in ihren eigenen vier Wänden zu bleiben.
Erfolg sieht an diesem Punkt wohl so aus – … naja, nicht die globale Erwärmung zu stoppen – dafür ist es viel zu spät -, sondern die zivilisatorische Zerstörung einzudämmen. Das mag möglich sein oder auch nicht – aber wenn wir überhaupt eine Chance haben wollen, wird es eine unermüdliche führende Rolle an mindestens drei Fronten erfordern:
Erstens: Wir können wirklich erreichen, die Welt im Laufe der nächsten Jahrzehnte auf erneuerbare Energien umzustellen; tatsächlich zeigen wissenschaftliche Untersuchungen, dass wir mit der bestehende Technologie zu erschwinglichen Preisen bis 2030 rund 80% des Weges dorthin schaffen können. Ingenieure und Produzenten in Kalifornien, Deutschland und China haben der Welt einen großartigen Dienst erwiesen, indem sie für Sonnenkollektoren und Windturbinen die Preise in einem erstaunlichen Tempo gesenkt haben; jetzt werden sie die billigste Methode, Energie auf dem größten Teil der Erde zu produzieren. Und dieser Strom könnte auch für den Betrieb unserer Transportsysteme genutzt werden, denn der elektrische Antrieb scheint endlich erwachsen geworden zu sein.
Aber der Fortschritt wird natürlich nicht schnell genug kommen; daher brauchen wir eine Regierungspolitik, die Ziele setzt und sie dann erfüllt, mit einer Mischung aus Subventionen, Preisregulierung für Kohlenstoff, staatliche Investitionen und all den anderen Möglichkeiten, die eine Regierung zur Verfügung hat.
Deutschland hat einen Teil des Weges nach vorn gezeigt, und auch China und Kalifornien – alle machen Fortschritte in relevantem Tempo, und alle zeigen Ergebnisse, sowohl in Bezug auf Erhalt von Arbeitsplätzen als auch auf Einsparungen für die Verbraucher. Kaliforniens jüngster Beschluss, dass alle neuen Häuser, die im Bundesstaat gebaut werden, mit Sonnenkollektoren ausgestattet werden müssen, ist ein perfektes Stück praktischer Demonstration: Sie spart dem durchschnittlichen Eigenheimkäufer pro Monat 40 Dollar, weil Sonnenlicht eigentlich nichts kostet.
Aber der Gouverneur des Staates, Jerry Brown, erinnert uns auch daran, dass selbst die fortschrittlichsten Demokraten beim zweiten Test für echte Maßnahmen gegen den Klimawandel scheitern können, z.B. bei dringend notwendigen Maßnahmen, um die fossile Brennstoffe unter der Erde zu halten. Bislang hat es Brown nicht geschafft, die kalifornische Ölindustrie, die drittgrößte der USA, zu bremsen, obwohl wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass 80 Prozent oder mehr der derzeitigen fossilen Brennstoffreserven unter der Erde bleiben müssen, um eine katastrophale Erwärmung zu vermeiden.
Aus diesem Grund hat die Umweltbewegung so hart daran gearbeitet, neue Pipelines, neue Fracking-Bohrlöcher und neue Offshore-Bohrungen zu blockieren. Aber das ist viel schwieriger als man es sich vorstellen konnte. Sieben Jahre einer kontinuierlichen Kampagne überzeugten Barack Obama schließlich, dass wir auf die Keystone XL-Pipeline verzichten konnten. Aber in seine Amtszeit fiel auch der Ausbau von reichlich anderer Infrastruktur für fossile Brennstoffe, so dass die USA inzwischen Russland und Saudi-Arabien als größte Öl- und Gasproduzenten der Erde überholten. Das “Keep It in the Ground” -Gesetz (”Lass es unter der Erde”-Gesetz), das von den Senatoren Bernie Sanders, Jeff Merkley und anderen eingebracht wurde, ist eine Schlüsselmaßnahme, an der sich alle Kandidaten für das Präsidentenamt orientieren sollten.
Der dritte Schritt ist der Stopp des Geldflusses in die fossile Industrie – und hier konnten die Aktivisten selbst ohne staatliche Hilfe ein ordentliches Ergebnis erreichen. Die riesige Desinvestitionsbewegung wurde auch von staatlichen und lokalen Führungspersonen unterstützt. Als die Stadt New York ankündigte, ihre Pensionsfondsaktien an fossilen Brennstoffen zu verkaufen, stürzte sie in die Zentren der Marktmacht und erinnerte sie daran, dass die Todesspirale für Öl und Gas im Gange ist. Washington muss die Subventionen beenden, mit denen sich die Kohlenwasserstoffindustrie seit langem bereichert hat, und ein guter Weg zu diesem Ziel ist die Zusage von mehr als 500 Kandidaten, keinen einzigen Penny an Spenden von Öl-, Gas- oder Kohleunternehmen anzunehmen. (Das Nationalkomitee der Demokraten hat dies ebenfalls beschlossen.)
Ein Problem in diesem fehlgeleiteten Zeitalter ist, dass – während die Bewältigung des Klimawandels das Wichtigste auf unserem Planeten ist – kaum ein Tag ohne ein dramatisches Klimaereignis vergeht. Daher muss das Engagement für Klimagerechtigkeit ein zentraler und unveränderlicher Teil unserer Botschaft sein, genauso wie Rassen- oder Geschlechtergerechtigkeit. (Sie sind natürlich zutiefst miteinander verknüpft: Wenn man die Nachwirkungen des Orkans Maria betrachtet, ist es nicht schwer herauszufinden, wer die Hauptlast von katastrophalen Stürmen trägt.)
Ein weiteres Problem ist, dass die gesamte Welt die Bewältigung des Klimawandels vorantreiben muss. Von all den Aktionen, die Trump während seiner rücksichtslosen und infantilen Monate im Weißen Haus unternommen hat, wird keine einen länger wirksamen Schaden anrichten als sein Ausstieg vom Pariser Klimaabkommen. Es ist nicht so, dass seine “freie” Entscheidung die fortgesetzte Umstellung auf erneuerbare Energien verhindert, denn die Solar- und Windenergie wird sich letztendlich auf der ganzen Welt ausbreiten. Aber die Dynamik, die sich in Paris aufgebaut hatte, wurde behindert, und die Chancen, dass sie sich schnell genug in der Welt ausbreitet, haben sich verringert. Wir werden die Welt der Zukunft mit erneuerbarer Energie versorgen, aber wenn wir nicht ganz schnell handeln, wird es eine zerbrochene Welt sein, die wir beherrschen.
Wenn und falls also die Vereinigten Staaten aus der Trump-Ära herauskommen, und wenn und falls progressive Politiker den Klimawandel als Kernproblem im Tandem mit Rassen- und Geschlechtergerechtigkeit, Immigration und Überwindung der Ungleichheit wirklich anpacken, werden wir eine Chance für etwas wirklich Neues haben: durch eine aktive Regierung, deren Aufgabe – neben denen Chinas und Europas – sein wird, einen Beitrag dazu zu leisten, den Planeten, den wir am meisten verschmutzt haben, in eine ganz andere Richtung zu führen. Wenn es einen Grund für das Handeln einer ”Superpower” gibt, dann hat das alles mit … ”Power“ – zu tun.
Bill McKibben ist vom Schuman-Zentrum für Medien und Demokratie geförderter leitender Dozent für Umweltstudien am Middlebury College und der Gründer von www.350.org. Sein jüngstes Buch ist ”Radio Free Vermont“.
Dieser Artikel war erstmals publiziert vom TheNation Magazin und wurde mit freundlicher Genehmigung des Autors von der Redaktion (wb, fs) übersetzt und in unserer Homepage veröffentlicht.
Quelle: 2018-06-21. – (TheNation, Bill McKibben) –Climate Change Is Our Most Critical National-Security Challenge – To face it, Washington needs to end the subsidies that enrich the hydrocarbon industry.