Gleich nach Abschluss der Berliner Libyen-Konferenz am Abend des 19. Januar 2020 kommentierte der SPIEGEL: “Nie zuvor in dem seit acht Jahren andauernden Konflikt gelang es, alle ausländischen Akteure auf so weitreichende Vereinbarungen zu verpflichten“.
Auffallend im vereinbarten Abschlussdokument ist die klare Betonung der Schlüsselrolle der Vereinten Nationen. Ein Erfolg bei der Beendigung der ausländischen Interventionen und die Lösung des Libyen-Konflikts werde von der Bereitschaft der “Akteure” abhängen, tatsächlich die Rolle der Vereinten Nationen zu stärken — und damit ein Vorbild für die Deeskalation und Lösung anderer Krisen und Konflikte zu setzen. Den vollständigen Text des Abschlussdokuments finden Sie hier. Im folgenden Auszüge aus den vereinbarten Schlussfolgerungen und eingegangenen Verpflichtungen der Konferenz:
(…) 2. Wir, die Teilnehmer, nehmen die Erklärung über die politische, sicherheitspolitische und humanitäre Lage in Libyen der Co-Vorsitzenden des Treffens auf Ebene der Außenminister zur Kenntnis, das Frankreich und Italien am Rande der 74. UN-Generalversammlung am 26. September 2019 in New York einberufen hatten. (…)
5. Im „Berliner Prozess” haben wir uns verpflichtet, den von Ghassan Salamé, dem Sonderbeauftragten des UN-Generalsekretärs, und dem UN-Sicherheitsrat vorgelegten Drei-Punkte-Plan zu unterstützen. Der „Berliner Prozess“ dient einzig dem Ziel, den Vereinten Nationen zu helfen, die internationale Gemeinschaft in der Bemühung um eine friedliche Beilegung der Krise in Libyen zu einen. Es kann in Libyen keine militärische Lösung geben.
6. Wir verpflichten uns, uns nicht in den bewaffneten Konflikt in Libyen und in die inneren Angelegenheiten Libyens einzumischen, und wir rufen alle internationalen Akteure auf, dasselbe zu tun.
7. Wir erkennen die zentrale Rolle der Vereinten Nationen an im Hinblick auf die Förderung eines inklusiven innerlibyschen politischen Prozesses und eines Prozesses der Aussöhnung. Grundlagen hierfür sind das „Libysche Politische Abkommen“ (LPA) von 2015 und die darin vereinbarten Institutionen, die Resolution 2259 (2015) und die weiteren einschlägigen Resolutionen des UN-Sicherheitsrats sowie die in Paris, Palermo und Abu Dhabi vereinbarten Grundsätze. Wir erkennen ebenfalls die Rolle der Afrikanischen Union, der Liga der Arabischen Staaten, der Europäischen Union sowie der Nachbarländer bei der Stabilisierung Libyens an, insbesondere im Hinblick auf die innerlibysche, nationale Aussöhnung, Frieden und Sicherheit sowie den politischen Dialog. Alle diese Internationalen Organisationen werden eng zusammenarbeiten. In diesem Zusammenhang begrüßen wir die geplante Durchführung eines Forums für Aussöhnung durch die Afrikanische Union im Frühjahr 2020.
8. Wir unterstützen uneingeschränkt die guten Dienste und die Vermittlungsbemühungen der Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Libyen (UNSMIL) und des Sonderbeauftragten Salamé. Wir betonen, dass eine dauerhafte Lösung in Libyen einen umfassenden Ansatz erfordert, der die verschiedensten Aspekte gleichzeitig angeht.
WAFFENSTILLSTAND
9. (…) Wir verweisen erneut auf die zentrale Aufgabe des Sondergesandten des Generalsekretärs der Vereinten Nationen hierbei. Wir fordern glaubwürdige, überprüfbare, zeitlich abgestimmte und wechselseitige Maßnahmen. Dazu gehören glaubwürdige Schritte hin zu einer Auflösung bewaffneter Gruppierungen und Milizen durch alle Parteien nach Artikel 34 des LPA, die – wie in den Resolutionen 2420 und 2486 des UN-Sicherheitsrats vorgesehen -, zu einer umfassenden und dauerhaften Einstellung aller Feindseligkeiten einschließlich Einsätzen aus der Luft über libyschem Hoheitsgebiet führen. Wir fordern die Rückverlegung schwerer Waffen, von Artillerie und Luftfahrzeugen sowie ihre Kantonierung. (…)
15. Wir rufen die Vereinten Nationen auf, die Waffenstillstandsverhandlungen zwischen den Parteien zu unterstützen, auch durch die sofortige Einsetzung von technischen Ausschüssen, die die Umsetzung des Waffenstillstands überwachen und überprüfen.
16. Wir rufen den UN-Sicherheitsrat auf, diejenigen mit angemessenen Sanktionen zu belegen, die gegen die Waffenstillstandsvereinbarungen verstoßen, und rufen dessen Mitgliedstaaten auf, diese Sanktionen durchzusetzen.
17. Wir rufen die UN-Mitgliedstaaten auf, sich dazu zu verpflichten, die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Libyen (UNSMIL) im Einklang mit Resolution 2486 (2019) mit dem erforderlichen Personal und Gerät auszustatten, um den Waffenstillstand wirksam zu unterstützen.
WAFFENEMBARGO
18. Wir verpflichten uns, das durch Resolution 1970 (2011) sowie die nachfolgenden Resolutionen des UN-Sicherheitsrats verhängte Waffenembargo unzweideutig und in vollem Umfang einzuhalten und umzusetzen, auch in Bezug auf die von Libyen ausgehende Verbreitung von Waffen. Wir rufen alle internationalen Akteure auf, dasselbe zu tun. (…)
30. Wir rufen den UN-Sicherheitsrat, die Afrikanische Union, die Liga der Arabischen Staaten und die Europäische Union auf, im Einklang mit den einschlägigen Beschlüssen des UN-Sicherheitsrats gegen diejenigen in Libyen vorzugehen, die den politischen Prozess beschädigen. (…)
ACHTUNG DES HUMANITÄREN VÖLKERRECHTS UND DER MENSCHENRECHTE
44. Wir rufen alle Parteien in Libyen mit Nachdruck auf, das humanitäre Völkerrecht und die Menschenrechtsnormen uneingeschränkt zu achten, Zivilisten und die zivile Infrastruktur einschließlich der Flughäfen zu schützen, medizinischem Personal, Menschenrechtsbeobachtern, humanitärem Hilfspersonal und humanitärer Hilfe den Zugang zu gewähren und Maßnahmen zu treffen, um die Zivilbevölkerung einschließlich der Binnenvertriebenen, Migranten, Flüchtlinge, Asylbewerber und Gefängnisinsassen auch durch die Zusammenarbeit mit UN- Stellen zu schützen.
45. Mangelnde Rechtsstaatlichkeit in der Funktionsweise des nationalen Rechtswesens einschließlich des Justizvollzugssystems ist einer der Faktoren, die zur unbeständigen und ernsten Lage im humanitären und Menschenrechtsbereich beitragen. Wir fordern, die Verordnungen libyscher Behörden zur Erfassung aller Internierten und Gefängnisinsassen unter der Kontrolle des Ministeriums der Justiz bzw. des Justizvollzugsdienstes weiterzuverfolgen, um die Funktionsfähigkeit der Justizorgane zu stärken und die unrechtmäßig oder willkürlich Inhaftierten freizulassen.
46. Wir fordern alle Parteien nachdrücklich auf, die Praxis der willkürlichen Inhaftierung zu beenden. Wir rufen die libyschen Behörden auf, Alternativen zur Inhaftnahme einzuführen – insbesondere für jene, die in sehr risikoreichen Konfliktgebieten leben – sowie die Haftzentren für Migranten und Asylbewerber schrittweise zu schließen und gleichzeitig die rechtlichen Rahmenbedingungen in Libyen in Bezug auf Migration und Asyl so anzupassen, dass sie dem Völkerrecht sowie international anerkannten Standards und Grundsätzen entsprechen.
47. Wir betonen die Notwendigkeit, all jene zur Verantwortung zu ziehen, die das Völkerrecht verletzt haben, etwa indem sie willkürlich Gewalt gegen Zivilisten angewendet, dicht besiedelte Wohngebiete angegriffen, außergerichtliche Tötungen verübt, Menschen entführt oder verschwinden lassen, sexuelle oder geschlechtsspezische Gewalt verübt, Folter und Misshandlungen angewendet, Menschenhandel durchgeführt oder sich der Gewalt gegen beziehungsweise des Missbrauchs von Migranten und Flüchtlingen schuldig gemacht haben. (…)
FOLGEMASSNAHMEN
53. Wir stimmen darin überein, dass die Berliner Libyen-Konferenz ein wichtiger Schritt im Rahmen eines breiter angelegten Prozesses unter libyscher Führung und in libyscher Eigenverantwortung zur endgültigen Beendigung der Krise in Libyen durch umfassende Einbeziehung der dem Konflikt zugrunde liegenden Faktoren ist. (…)
54. Hiermit setzen wir einen Internationalen Ausschuss für Folgemaßnahmen (IFC) ein, der aus allen Ländern und Internationalen Organisation, die heute an der Berliner Libyen-Konferenz teilnehmen, zusammengesetzt ist und der im Nachgang zur Berliner Libyen-Konferenz unter Federführung der Vereinten Nationen die Koordinierung aufrechterhält. (…)
Quelle: 19.01.2020 — BPA: Pressemitteilung 31 — Schlussfolgerungen der Berliner Konferenz
Weitere Informationen:
- 19.01.2020, Der SPIEGEL: Durchbruch – “Nie zuvor in dem seit acht Jahren andauernden Konflikt gelang es, alle ausländischen Akteure auf so weitreichende Vereinbarungen zu verpflichten.”
- 19.01.2020, Anne Will: Berliner Libyen-Konferenz – Hoffnung für ein Land im Chaos? Diskussion mit Heiko Maas, Sevim Dağdelen, Christoph von Marschall, Wolfram Lacher und Hanan Salah.
- 20.01.2020 (DLF): Interview mit MEP Dietmar Köster zur Flüchtlingssituation in Libyen – „Die EU hat eine große menschenrechtliche Verantwortung“