Am 08. Januar 2009 – anlässlich des ersten Amtsantritts von Präsident Barack Obama – veröffentlichten Helmut Schmidt, Richard von Weizsäcker, Egon Bahr und Hans-Dietrich Genscher (“D 4”) in der New York Times und in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung einen gemeinsamen Appell an Präsident Obama für eine atomwaffenfreie Welt und “aus deutscher Sicht die Erwartungen, die sich an die Präsidentschaft Barack Obamas knüpfen”.
Henry Kissinger, George Schultz, William Perry und Sam Nunn haben 2007 zu einer atomwaffenfreien Welt aufgerufen. Sie haben in Administrationen von Republikanern und Demokraten als Außen-, Verteidigungsminister und im Vorsitz des Streitkräfteausschusses des Senats Respekt in den Vereinigten Staaten und darüber hinaus erworben. Gerade ihr Wissen und ihre Erfahrungen verleihen ihrer Sorge vor wachsenden atomaren Gefahren Gewicht. Als Realisten … schlagen wir dringend praktische Schritte vor, damit aus der notwendigen Vision Wirklichkeit wird.
In den Vereinigten Staaten hatte dieser Aufruf der “US 4” ein breites Echo ausgelöst und prominente Unterstützung erhalten. So erneuerten sie ihre Forderungen Anfang 2008 auf einer Konferenz der Hoover-Stiftung und erhielten dafür die Unterstützung von zahlreichen sicherheitspolitischen Experten der USA aus allen politischen Lagern.
Helmut Schmidt, Richard von Weizsäcker, Egon Bahr und Hans-Dietrich Genscher bedauerten in ihrer Erklärung vom Januar 2009 die mangelnde Unterstützung aus Europa:
Beschlüsse europäischer Regierungen zur Unterstützung sind nicht bekannt geworden. Unsere Antwort berücksichtigt aus deutscher Sicht die Erwartungen, die sich an die Präsidentschaft Barack Obamas knüpfen. Das Schlüsselwort unseres Jahrhunderts heißt Zusammenarbeit. Kein globales Problem ist durch Konfrontation oder durch den Einsatz militärischer Macht zu lösen: weder die Bewahrung der Umwelt und der Klimaschutz oder auch der Energiebedarf für eine wachsende Weltbevölkerung, noch die Bewältigung der globalen Finanzkrise. Die Vereinigten Staaten tragen eine herausragende, unentbehrliche Verantwortung. …
Der Nichtverbreitungsvertrag (NVV) muss entscheidend gestärkt werden. Amerika muss den Vertrag über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen (CTBT) ratifizieren. Alle atomaren Kurzstreckenwaffen müssen vernichtet werden….
Der Vertrag zur Raketenabwehr (ABM) muss wiederhergestellt werden. Der Weltraum darf nur für friedliche Zwecke genutzt werden. Die Zusammenarbeit im Interesse gemeinsamer Sicherheit hat die Präsidenten Bush und Gorbatschow befähigt, zum Ende des Kalten Krieges die gegenseitige Bedrohung durch atomare Mittelstreckenraketen zu beseitigen und 1990 die größte konventionelle Abrüstung in der Geschichte zu schaffen. In den mehr als 18 Jahren seither wurde dieser KSE genannte Vertrag das Fundament der Stabilität in Europa.
Diese Stabilität … wäre zum ersten Mal gefährdet durch den amerikanischen Wunsch, am Ostrand der Nato in Polen und der Tschechischen Republik Raketen mit einem dazu passenden Radarsystem auf exterritorialen Stützpunkten zu stationieren. Ein solcher Rückfall in die Zeiten der Konfrontation mit den Folgen von Aufrüstung und Spannung kann durch eine einvernehmliche Regelung zum Thema der Raketenabwehr vermieden werden… – am besten durch die Wiederherstellung des ABM-Vertrages. Damit würde zugleich die Anpassung des KSE-Vertrages erleichtert…
Barack Obama hat in Berlin gefordert, das Denken in den Kategorien des Kalten Krieges zu überwinden. Das knüpft an die Überlegungen an, die nach dem Ende des Ost-West-Konflikts unter dem Begriff der Sicherheit von Vancouver bis Wladiwostok diskutiert wurden. Gorbatschow konnte seine Ideen für ein gemeinsames europäisches Haus nicht mehr verfolgen. Nun plädiert der russische Präsident Medwedjew für eine neue gesamteuropäische Sicherheitsstruktur.
Wir empfehlen, die Chance ernsthaft zu sondieren….
Relikte aus der Zeit der Konfrontation passen nicht mehr in unser neues Jahrhundert. Partnerschaft verträgt sich schlecht mit der immer noch gültigen Doktrin der Nato und Russlands zum Erstgebrauch von Atomwaffen…. Ein allgemeiner Non-first-use-Vertrag unter den atomar bewaffneten Staaten wäre ein drängend wünschenswerter Schritt.
….Wir vertreten auch die Auffassung, dass die restlichen amerikanischen Atomsprengköpfe aus der Bundesrepublik Deutschland abgezogen werden sollten.
Kurze Zeit danach, am 05. April 2009, bekannte sich Präsident Obama in seiner Prager Rede in durchaus ähnlicher Weise zur schrittweisen Abschaffung aller Atomwaffen, zur Zusammenarbeit, und — im Falle eines Vertrages mit dem Iran über einen Stopp seines Atomwaffenprogramms — zur Beseitigung der US-Raketenabwehrsysteme in Europa:
Die Weltwirtschaft in der Krise, Klimawandel, die Gefahren alter Konflikte, neue Bedrohungen und die Verbreitung katastrophaler Waffen. Keine dieser Herausforderungen lassen sich rasch oder einfach lösen. Aber alle verlangen, dass wir einander zuhören und zusammenarbeiten. Dass wir uns auf die gemeinsamen Interessen konzentrieren und nicht auf unsere gelegentlichen Differenzen….
Die Existenz Tausender von Atomwaffen ist das gefährlichste Erbe des kalten Krieges…Der Kalte Krieg ist zu Ende gegangen. Und Tausende von diesen Waffen existieren weiter. Es ist eine seltsame Wendung der Geschichte: Die Gefahr eines weltweiten Atomkriegs hat sich verringert, das Risiko eines atomaren Angriffs ist gestiegen. …Als Nuklearmacht, als einzige Atommacht, die diese Nuklearwaffe eingesetzt hat, haben die Vereinigten Staaten eine moralische Verpflichtung, hier zu handeln. …Ich möchte heute also ganz deutlich und mit Überzeugung Amerikas Bereitschaft erklären, den Frieden und die Sicherheit in einer Welt ohne Atomwaffen anzustreben….
Um ein globales Testverbot ebenfalls zu erreichen, wird meine Regierung sofort und ganz offiziell die Ratifizierung des Abkommens zum Teststopp einleiten. Nach über fünf Jahrzehnten der Gespräche ist es jetzt Zeit, dass die Tests von Nuklearwaffen endgültig verboten werden….
Präsident Obama versprach in Prag, im Falle einer Vereinbarung mit dem Iran über den Stopp seiner Atomwaffenpläne die Stationierung von US-Raketenabwehrsystemen in Europa rückgängig zu machen:
Wir brauchen eine Verteidigung vor solchen Waffen. … Wenn die Bedrohung im Iran eliminiert werden kann, dann haben wir eine stärkere Grundlage für die Sicherheit. Und: ein Hauptgrund für eine Raketenabwehr in Europa wird nicht mehr bestehen.
Im Juli 2015 wurde zwar der Vertrag mit dem Iran zwar vereinbart, aber anstatt wie versprochen, nach Wegfall des “Hauptgrunds für eine Raketenabwehr in Europa” die Raketenabwehrsysteme abzuziehen, wurden sie weiter ausgebaut. Im Mai 2016 ging ein weiteres Raketenabwehrsystem in Rumänien in Betrieb. Kommentar der Tagesschau am 17. Mai 2016:
Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit baut die NATO an ihrem Raketenabwehrschild. Eine Radarstation mit Abwehrraketen soll heute in Rumänien für einsatzfähig erklärt werden – eine Provokation für Moskau. Als Folge könnte ein erneutes nukleares Wettrüsten drohen.
… Warschau, Bukarest, Berlin, Rom – dem Erdboden gleich gemacht in einem nuklearen Feuersturm, ausgelöst von iranischen Atomraketen. Es waren dererlei Horrorszenarien, die die NATO 2010 bewogen, sich die US-Pläne für eine Raketenabwehr in Mitteleuropa zu eigen zu machen.
Heute nun soll die Raketenstellung samt Überwachungsradar im rumänischen Deveselu feierlich für voll einsatzfähig erklärt werden….