Über das Mitte Oktober 2020 durchgeführte NATO-Manöver „Steadfast Noon“ berichtete die FAZ am 17.10. :
„Diese Übung ist ein wichtiger Test für die nukleare Abschreckung der Allianz“, sagte Stoltenberg. Die Übung sei defensiv und nicht gegen ein Land gerichtet. Die Nato suche nicht den Konflikt, sondern wolle den Frieden bewahren. Freilich fügte er hinzu: „In einer immer ungewisseren Welt, spielen unsere Nuklearkräfte weiterhin eine wichtige Rolle in unserer gemeinsamen Verteidigung….“
Und dann beschreibt die FAZ etwas genauer:
„Insgesamt nehmen mehr als fünfzig militärische Flugzeuge an der Übung teil, die insgesamt zwei Wochen dauert. Die Amerikaner haben zwei B-52-Langstreckenbomber aus Louisiana entsandt, die Bundeswehr nimmt mit ihren in die Jahre gekommenen Tornado-Kampfflugzeugen teil, die in den nächsten Jahren ersetzt werden müssen. Die fünf Staaten mit Atomwaffenlagern … bilden den Kern der sogenannten „nuklearen Teilhabe“.
Bereits am 17. Juni 2020 hatte die FAZ über Änderungen der “Abschreckung” in Richtung auf frühen Einsatz von Atomwaffen berichtet:
Neues Abschreckungskonzept — Die Nato kann früher mit Atomschlägen drohen
Die Allianz zieht Konsequenzen aus der russischen Einsatzdoktrin für Nuklearwaffen. Ihre Mitglieder einigen sich auf ein Konzept, wie es seit den heißesten Zeiten des Kalten Krieges nicht existiert hat. … Von „substantiellen und bedeutsamen Schritten“ sprach ein Eingeweihter. Die Allianz habe sich auf einen „Rahmen für die Abschreckung“ geeinigt, wie es ihn seit den sechziger Jahren nicht mehr gegeben habe. Also seit der heißesten Zeit des Kalten Krieges und der nuklearen Konfrontation zwischen den Supermächten. Leider könne man aber nicht mehr verraten, denn die Pläne seien streng geheim.
Quelle: FAZ vom 17. Juni 2020: Die Nato kann früher mit Atomschlägen drohen, von Thomas Gutachter, Brüssel
Aus den politischen Parteien gab es weder im Juni noch im Oktober 2020 auffällige Reaktionen zu diesem Strategiewandel in Richtung auf frühen Atomwaffeneinsatz noch darauf, dass erstmals seit dem Ende des Kalten Krieges im Rahmen der jährlichen Manöver in Europa “Abschreckung” wieder mit strategischen B-52-Bombern geübt wurde.
Aus der SPD meldete sich per Facebook die Gruppe „Unsere neue SPD – Deine Community“ mit dem Hinweis: „Der Kalte Krieg ist zurück. Sagt nur keiner. Die deutsche Luftwaffe trainiert mit Nato-Partnern für das Schreckensszenario eines Atomkriegs.“ Und von den Grünen wies Katja Keul (MdB) in einer Pressemitteilung darauf hin, dass Rüstungskontrolle eine bessere Alternative zu Atombombenübungen sei und dass die Bundesregierung dem Atomwaffenverbot beitreten solle.
Wie die “Flugrevue” berichtete, sind Boeing B-52H der “Bomber Task Force” auf dem britischen Luftwaffenstützpunkt Fairford stationiert, um im Rahmen von “Allied Sky” mit Bündnispartnern zu üben:
„Sechs B-52H Stratofortress-Bomber der US Air Force überflogen am Freitag alle 30 NATO-Staaten und trainierten gemeinsam mit den alliierten Luftstreitkräften.“
Darüber hinaus brachen die B-52-Bomber “zu einem
Übungsflug im ukrainischen Luftraum” auf:
Dabei flogen sie bis auf eine Distanz von etwa 25 Kilometer an die Grenze zur Krim heran und trafen unterwegs mit Su-27 und MiG-29 der ukrainischen Luftwaffe zusammen. Das United States European Command (EUCOM), das den Einsatz koordinierte, sprach hinterher von einem “wichtigen Integrationstraining mit ukrainischen Kampfjets”. Dabei habe man auch das Ziel verfolgt, “Russland abzuschrecken und Verbündete wie Partner abzusichern”.
Das United States European Command (EUCOM), das den Einsatz koordinierte, sprach hinterher von einem “wichtigen Integrationstraining mit ukrainischen Kampfjets”. Dabei habe man auch das Ziel verfolgt, “Russland abzuschrecken und Verbündete wie Partner abzusichern”.
Manch außenstehender Beobachter wertete die Mission derweil als Provokation. Der dänische Friedensforscher Hans Kristensen etwa schrieb auf Twitter, er könne sich seit Ende des Kalten Krieges nicht an ein vergleichbares Manöver erinnern. Die eingesetzten B-52H seien in der Lage, Atomwaffen zu tragen. Er frage sich, ob der Übungsflug habe vom Präsidenten abgesegnet werden müssen, schließlich sei die Ukraine nicht Mitglied der NATO. “Aufgrund ihrer Langstreckenraketen und ihrer Anfälligkeit für Luftverteidigung würden sie in einem Krieg wahrscheinlich nie so nah fliegen“, so Kristensen weiter. Daher sei dies ein echtes “In-your-face statement” gegenüber Russland.
Quelle: 2020-09-08. — (Flugrevue) — BOMBER TASK FORCE: B-52 der USAF nähern sich der Halbinsel Krim
Ende Dezember 2020 berichtete die New York Times über weiter Abschreckungsübungen mit B-52, diesmal im Nahen Osten: “Pentagon sendet weitere B-52 in den Nahen Osten, um vor iranischen Angriffen auf US-Truppen abzuschrecken“. In den USA machen sich Experten aber zunehmend Sorgen wegen der Gefahren, die sich in Spannungszeiten aus “Abschreckungsmanövern insbesondere in Europa ergeben können. So beschrieben bekannte Strategieexperten wie der ehemalige US-Senator Sam Nunn und Ernest Moniz im August 2019 in Foreign Affairs das Szenario eines möglichen Streits Anfang 2021 um/mit den baltischen Staaten, der zu einer atomaren Eskalation führen würde.
Im August 2020 warnten sowohl Javier Solana in einem Interview als auch Richard Haas in Beiträgen für „Project Syndicate“ vor Kriegsrisiken als Folge einer weiteren Eskalation des Kalten Krieges mit China – wenn der Westen nicht endlich auf den Weg zur Zusammenarbeit und Rüstungskontrolle zurückkehre. Und am 19. Oktober 2020 veröffentlichte Foreign Affairs die Warnung von Carrie Lee, Professorin am U.S. Air War College vor dem „Schlafwandeln in den dritten Weltkrieg durch Trumps gefährliche Militarisierung der Außenpolitik“.
Mit ähnlichen Argumenten haben 56 ehemalige Premierminister, Präsidenten, Außenminister und Verteidigungsminister aus 20 NATO-Ländern sowie aus Japan und Südkorea am 21. September 2020 einen offenen Brief an die Staats- und Regierungschefs ihrer Länder veröffentlicht, in dem sie ihre Regierungen auffordern, dem 2017 von 122 Staaten ausgearbeiteten UNO-Vertrag über das Verbot von Atomwaffen beizutreten, das am 22.01.2021 in Kraft tritt:
Denn am 24. Oktober 2020 erhielt die UNO die 50. Ratifizierungsurkunde zum Vertrag, so dass 90 Tage danach, am 22. Januar 2021, das Atomwaffenverbot völkerrechtlich in Kraft tritt. Inzwischen gibt es 51 Ratifizierungen. Zwar bindet der Atomwaffenverbotsvertrag nur die Vertragsstaaten, aber er setzt eine neue völkerrechtliche Norm, die “bedeutende Verpflichtung hin zu einer kompletten Abschaffung von Nuklearwaffen“, wie UN-Generalskretär António Guterres formulierte. Und Jo Biden setzte zumindest ein Hoffnungszeichen in Richtung auf Rüstungskontrolle: Als neuer Präsident der USA werde er “die Verlängerung des neuen START-Vertrags verfolgen, ein Anker für strategische Stabilität zwischen den Vereinigten Staaten und Russland, und diesen als Grundlage für neue Rüstungskontrollregelungen verwenden. Und ich werde weitere Schritte unternehmen, um unser Engagement für die Reduzierung der Rolle von Atomwaffen zu demonstrieren”.