Sicherheit neu denken: Von der militärischen zur zivilen Sicherheitspolitik – Ein Szenario bis zum Jahr 2040
So lautet der Titel einer umfassende Studie, die die Evangelische Kirche in Baden ausgearbeitet hat und am 28. April 2018 in Karlsruhe vorgestellte. Wie “Evangelische Friedensarbeit” berichtete, begründete Oberkirchenrat Christoph Schneider-Harpprecht das damit begründet, dass “die Situation in Afghanistan und Syrien zeige, dass die militärische Friedenssicherung nicht zum Frieden beitrage, sondern kriegerische Auseinandersetzungen und Gewalt fortsetze. Gewaltfreie Kooperation sei das wirksamere Mittel der Politik und sollte das Mittel künftiger deutscher Sicherheitspolitik werden.”
Auch wenn es utopisch klinge, massiven politischen Widerstand und erhebliche Anfeindungen bedeute, lohne es sich eine zivile Sicherheitspolitik umzusetzen. Der Preis von Kriegen und militärischen Interventionen sei einfach zu hoch, sagte Schneider-Harpprecht. Niemand könne die vielen getöteten Zivilisten und Soldaten, die Traumatisierungen, die massenhafte Flucht und Vertreibung sowie die Zerstörung von Wirtschaft und Infrastruktur vor seinem Gewissen verantworten.
Wir dokumentieren im folgenden die Einleitung der von der Badischen Kirche vorgestellten Alternative zur “militärischen Sicherheitspolitik”:
Europa vor der Wahl: Militarisierung oder Zivilisierung der Sicherheitspolitik
- „Die NATO-Staaten haben sich bei ihrem Gipfeltreffen im walisischen Newport darauf geeinigt, wieder mehr Geld in die Verteidigungshaushalte zu investieren. Aus einer formellen Erklärung geht hervor, dass binnen einem Jahrzehnt die Zielmarke von mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) erreicht werden soll.“[1]
- „Die EU-Kommission schlägt vor, den Haushalt des IcSP [des an sich zivil ausgerichteten „Instruments für Stabilität und Frieden“] um 100 Millionen bis 2020 zu erhöhen, um militärische ‘Ertüchtigung‘“ zu integrieren.“[2]
- EU-Parlamentspräsident Tajani forderte am 13.11.2017 eine Verdopplung des Gemeinschaftshaushaltes von 140 auf 280 Mrd. Euro und begründete dies u.a. mit dem Antiterrorkampf und der Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich.[3]
Diese drei Aussagen zeigen eine wesentlich verstärkte Militarisierung der EU-Politik an. Doch warum? Hat die derzeitige militärgestützte Sicherheitspolitik dauerhafte Sicherheit gebracht oder nicht eher ständige neue Unsicherheiten? Waren Auslandseinsätze der Bundeswehr seit dem Jahr 2000 erfolgreich? Was ist mit den negativen Folgen militärischer Sicherheitspolitik (Opferzahlen, Traumatisierungen der Zivilbevölkerung und der Soldaten, Verhinderung des Entstehens demokratischer Gesellschaften, Zerstörungen, auch Umweltkatastrophen)?
Es scheint weiterhin die Überzeugung vorhanden zu sein, dass Gewalt „das Böse“ und damit die Bedrohung beseitigen kann. Dieses Denken ist Grundbestandteil der sogenannten Sicherheitslogik. Sie führt aber weder zu Sicherheit noch zum Frieden.
Eine andere Herangehensweise stellt der friedenslogische Ansatz von Hanne-Margret Birckenbach dar, der ein Problem vom Rahmen der Aufgabe her betrachtet, „Frieden zu schaffen und das heißt Beziehungen zu ermöglichen, in der Gewalt unwahrscheinlich wird, weil Kooperation gelingt.“[4] Wie diese Idee, die Probleme und die Bedrohungen anders, nämlich nicht militärisch, konkret angegangen werden können, das soll – ähnlich wie bei der Transformation von der Atomkraft zu anderen Energiegewinnungsformen – im Folgenden entwickelt werden.
Wenn hier von einem Veränderungsprozess, von der militärischen zur zivilen Sicherheitspolitik durch deutsche Nachhaltigkeitspolitik, bis zum Jahr 2040 die Rede ist, dann geht es auch um die Konversion der bewaffneten Institution Bundeswehr, die auf gewaltsame Formen der Konfliktaustragung ausgelegt ist. Die Autor*innen dieses Textes wollen mit Hilfe eines Szenarios zeigen, wie sich die deutsche Sicherheitspolitik von einer militärischen zu einer zivilen Sicherheitspolitik entwickeln kann.
[1] Nachricht auf faz.net vom 6.9.2014 – Zugriff am 12.01.2018
[2] Brot für die Welt (2017), S. 1
[3] Vgl. ebenda, S. 2f.. Gemeint ist die sog.Permanent Structured Cooperation (PESCO).
[4] Vgl. Birckenbach (2016), S. 4
Den Wortlaut der der Studie können Sie hier als PDF herunterladen.
Mit den o.g. kirchlichen Dokumenten zeichnet sich in Fragen der Friedens- und Entspannungspolitik ein wachsender Graben zwischen den friedenspolitischen Forderungen von Kirchen und Zivilgesellschaft, oder dem fast einstimmigen Beschluss des Bundestages vom März 2010, gegenüber der Sicherheitspolitik der Bundesregierung und der regierenden Parteien ab.
Bereits am 11. Januar 2018 hatte die Synode der Evangelischen Kirche im Rheinland eine scharfe Kritik der herrschenden Sicherheitspolitik formuliert und das “Friedenswort 2018” beschlossen, über das wir berichteten.