Vom 06. bis 09. November 2022 diskutierte in Magdeburg die 13. Synode – das Kirchenparlament der EKD – u.a. über die Forderung nach einem Waffenstillstand und Verhandlungen zur Beendigung des Krieges in der Ukraine. Als Ergebnis der Diskussion fasste die Synode einen Beschluss zu Frieden – Gerechtigkeit – Bewahrung der Schöpfung. Darin erklärt die EKD u.a.:
Seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine im Februar 2022 und der vielfach ausgerufenen „Zeitenwende“ muss neben vielen Akteuren in Politik und Gesellschaft auch die Synode der EKD sich fragen – und das auch selbstkritisch –, ob Überzeugungen und Gewissheiten, die im Herbst 2019 galten, drei Jahre später noch gelten können. Dazu will dieser Text beitragen, wobei der Frieden angesichts des Krieges in der Ukraine an die erste Stelle rückt.
Seit dem erneuten Angriff Russlands in diesem Februar auf die Ukraine, nach der Annexion der Krim und dem Krieg im Donbas seit 2014 sind zehntausende Menschen getötet, Hunderttausende verletzt und Millionen aus ihren Heimatorten vertrieben worden. Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind ein bewusstes Instrument der russischen Kriegsführung. Dazu gehören auch die Drohung mit einem Atomkrieg und die gezielte Gefährdung von Atomkraftwerken. In den von russischen Truppen besetzten Gebieten hat sich eine Herrschaft des Terrors mit schwersten Menschenrechtsverletzungen etabliert, die auch auf die Ausrottung der ukrainischen Kultur zielt.
Die Evangelische Kirche in Deutschland hat diesen Angriffskrieg von Beginn an verurteilt, ihre Solidarität mit den Menschen in der Ukraine betont und das Recht auf Selbstverteidigung bejaht. In der Aufnahme und Begleitung von Geflüchteten, im Kontakt mit unseren Partnerkirchen vor Ort und unseren ökumenischen Gesprächen und auch durch unsere konkrete Unterstützung der Menschen in der Ukraine durch die Kirche und ihre Werke wird unsere Solidarität in vielen Gemeinden und in zivilgesellschaftlichen Netzwerken jeden Tag konkret. In den Begegnungen mit den geflüchteten Familien nehmen wir Anteil an den Verheerungen des Krieges, aber auch an den Hoffnungen auf einen Neuanfang in den befreiten Gebieten – schon früh im Großraum Kiew, inzwischen auch im Osten des Landes.
Die Synode dankt der Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen im September 2022 in Karlsruhe für die klare Verurteilung der russischen Aggression und jeglicher religiösen Rechtfertigung. Dass dieses Votum auch unter Mitwirkung von Vertretern der Russisch-Orthodoxen Kirche zustande kam, ist ein ermutigendes Signal ökumenischer Gemeinschaft. Umso deutlicher verurteilt die Synode die fortgesetzte Instrumentalisierung / den fortgesetzten Missbrauch der Religion durch das Moskauer Patriarchat. Denn das ökumenische Bekenntnis von 1948, dass Krieg nach Gottes Willen nicht sein soll, richtet sich zuerst und vor allem an jene, die für eine Aggression Verantwortung tragen.
So unstrittig die Solidarität mit den Opfern in diesem Krieg ist, so kontrovers wird in unserer Kirche darüber gestritten, welche konkreten Mittel zur Unterstützung der Ukraine geeignet und ethisch zu rechtfertigen sind. Es ist gut, wenn die Kirchen einen Raum bieten, um über solche Fragen offen und in gegenseitigem Respekt zu sprechen. Uns eint dabei das Bewusstsein, dass dieser Krieg so schnell wie möglich beendet werden muss.
Am Ende müssen Verhandlungen stehen, die einen Rückzug der russischen Truppen und die Wiederherstellung der Souveränität der Ukraine zum Ziel haben. Nur so kann deutlich gemacht werden, dass militärische Aggression und imperiale Ansprüche nicht belohnt werden. Krieg kennt nur Verlierer. Gewonnen werden kann nur ein gerechter Friede. Die Synode sieht mit großer Sorge, dass der russische Angriffskrieg auch die Fundamente der europäischen Friedensordnung nach dem Ende des Kalten Krieges erschüttert hat und sich damit auch die Bedrohungsanalysen verändern. Wir warnen davor, die Antwort darauf allein in militärischen Kategorien zu suchen.
Die Notwendigkeit, Europa als einen Raum gesicherter Grenzen zu organisieren, innerhalb dessen sich die Herrschaft des Rechts, Verständigung und Kooperation entfalten können, bleibt mehr denn je die Herausforderung der kommenden Jahrzehnte. Dieses Europa muss auch einem veränderten Russland, sofern es sich in Zukunft wieder auf diese Prinzipien besinnen sollte, eine Perspektive bieten. Als Kirche wollen wir dazu die ökumenischen Kontakte zu unseren Partnerkirchen überall in Europa und in der Welt stärken und intensivieren, um dem Horizont des gerechten Friedens eine hoffnungsvolle und realitätsfähige Stimme zu geben. Zugleich wollen wir die Beziehung der EKD zu Russland und der Russisch-Orthodoxen Kirche kritisch aufarbeiten.
(Auszug aus: Beschluss zu Frieden – Gerechtigkeit – Bewahrung der Schöpfung / Tagung der 13. Synode der EKD vom 6. bis 9. November 2022 in Magdeburg)
Dieser Horizont umspannt zugleich die gesamte Welt. Gerechter Friede kann sich nur im Rahmen einer weltweiten Friedensordnung entfalten. Daher kann unsere Sorge nicht nur der Sicherheit Europas gelten. Menschliche Sicherheit als Freiheit von Furcht und Freiheit von Mangel muss für alle Menschen gewährleistet werden. Doch derzeit nehmen, auch im Schatten des Krieges in Europa, gewaltsam ausgetragene Konflikte weltweit wieder zu. Überdies blockieren neue geopolitische Verwerfungen die Fähigkeit der Staatengemeinschaft, kooperative Lösungen für die so dringend nötige Bewältigung der zahlreichen globalen Herausforderungen zu finden. Wir setzen uns daher für die Stärkung einer weltweiten Friedensordnung ein, die sich auf Völkerrecht und Menschenrechte stützt. Einem drohenden neuen Rüstungswettlauf, der die Fragilität des internationalen Systems weiter erhöhen würde, treten wir entschieden entgegen.
Eine Woche vor der Synode, in ihrer Predigt am Reformationstag, hatte die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Präses Annette Kurschus zu Waffenstillstandsgesprächen für die Ukraine aufgerufen. “Die Alternative zum gerechten Frieden darf doch nicht endloser Krieg sein. Niemals darf Krieg die Politik ersetzen”, sagte sie in der Schlosskirche Wittenberg.
Damit wurde die EKD-Ratsvorsitzende heftig vom ehemaligen ukrainischen Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, kritisiert: Forderungen nach Bemühungen um Gespräche über einen Waffenstillstand, seien «herzlos».
Kurschus antwortete auf der Synode in Magdeburg, der Ruf nach diplomatischen Bemühungen sei weder herzlos noch ignorant gegenüber den Menschen in der Ukraine. “Im Gegenteil. Er ist nüchtern realistisch und höchst aufmerksam für die Gefahr einer weiteren Eskalation des Krieges“, sagte sie. Wenn ein russischer Soldat getötet werde, dann sei er genauso zu beklagen wie ein ukrainischer Soldat. „Da ist Mensch Mensch“, betonte Kurschus. “Frieden kann erst werden, wenn die Waffen schweigen und Gespräche möglich sind.”
Auf der Synode in Magdeburg bekräftigte der evangelische Friedensbeauftragte, EKD-Friedensbeauftragte und Landesbischof der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, Friedrich Kramer auch seine Ablehnung von Waffenlieferungen: “Müssen wir nicht um der Gerechtigkeit und Nächstenliebe willen helfen? Das ist klar. Aber auch mit Waffen? Ich sage Nein.” Zugleich rief er zur Teilnahme an den Veranstaltungen der Ökumenischen Friedensdekade auf.
Quellen und weitere Informationen:
- 2022-11-09. — (EKD) — Beschluss zu Frieden – Gerechtigkeit – Bewahrung der Schöpfung
- 2022-11-06.—(evangelisch.de) – Ukraine-Krieg: EKD-Ratsvorsitzende dringt auf Diplomatie
- 2022-11-06.— (merkur.de) – Evangelische Kirche ringt um Positionen zu Krieg und Klima –
- 2022-11-06.– (de.connection-ev.org) – EKD-Friedensbeauftragter lädt zu Aktionen der Friedensdekade ein
- 2022-10-31.—(Sonntagsblatt.de) – EKD-Ratsvorsitzende Kurschus fordert Gespräche für Waffenstillstand
- Website der Friedensdekade 2022
- 2022-03-31.— (connection-ev.org) – EKD-Friedensbeauftragter und Friedensverbände / Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren aus der Ukraine, Russland und Belarus Schutz und Asyl gewähren
- 2021-05-19.– (INEP) — Uli Frey: warum eine neue Entspannungspolitik dringend erforderlich ist