In seinem Grusswort an die Teilnehmer/innen der Tagung „Neue Entspannungspolitik jetzt! Zivilgesellschaft – Politik – Streitkräfte“ am 13.-15. Oktober 2017 in Königswinter gab Uli Frey mit dem folgenden Grusswort einen Überblick über Vorgeschichte, Ziele und Arbeit der Initiative „Neue Entspannungspolitik jetzt!“ *) :
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde, mein Name ist Ulrich Frey. Ich arbeite in der Initiative für eine Neue Entspannungspolitik JETZT!“ mit und bin auch der stellvertretende Vorsitzende des Förderkreises des Darmstädter Signals. Namens der Initiative begrüße ich Sie und Euch sehr herzlich.
Der ganze Ernst des Zusammenhanges von Entspannungspolitik und Kriegsverhütung, ja weltweiter Zerstörung wird in einer Zeitungsnotiz deutlich. Der Bonner „Generalanzeiger“ berichtete am 20.9.2017, der frühere Sowjet-Offizier Stanislaw Petrow sei im Alter von 77 Jahren am 19. Mai 2017 gestorben. Wer war Stanislaw Petrow? Dieser für die Menschheit verantwortlich denkende Mann hat in der Nacht vom 25./26. September 1983 möglicherweise den 3. atomar geführten Weltkrieg verhindert. Als er in dem Luftüberwachungszentrum nahe Moskau auf dem Bildschirm den Anflug von fünf US-Raketen in Richtung Sowjetunion bemerkte, meldete er seinen Vorgesetzten keinen Angriffsalarm, sondern einen Fehlalarm. Wie sich erwies, war es tatsächlich ein Fehlalarm. „Ich wollte nicht schuld sein am Dritten Weltkrieg“ sagte Petrow später dazu. Menschen wie Stanislaw Petrow, die ihr Gewissen sprechen lassen, wünschen wir uns in der Politik und im Militär.
Weshalb ist die Initiative für eine neue Entspannungspolitik entstanden?
Der Grund für die Entstehung der Initiative ist die zunehmende Bedrohung des Friedens zwischen den Völkern durch militärisch unterlegte Drohungen mit der Gewalt zur Durchsetzung von politischen Zielen. Zunehmende Konfrontationen gefährden, was als Ergebnis der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit (KSZE) nach dem Kalten Krieg erreicht worden war: der Auftrag, „gemeinsame Sicherheit“ auf dem europäischen Kontinent zu gestalten, zwischen den nordamerikanischen Staaten, Europa, den Nachfolgestaaten der Sowjetunion und Russland. Große Hoffnungen hatte die Charta von Paris vom 21. November 1990 für ein neues Europa geweckt. Geschaffen werden sollte mit diesem Schlussdokument der KSZE-Sondergipfel-konferenz von 32 europäischen Staaten, den USA und Kanada eine neue friedliche Ordnung in Europa. Als gemeinsame Ziele standen nach der Überwindung der Spaltung Europas im Kalten Krieg, die Stärkung der Demokratie als einziger Regierungsform, die Gewährleistung der Menschenrechte und der Grundfreiheiten. Diese Hoffnungen erfüllten sich nicht. Sie wurden von der Politik nur halbherzig angegangen.
Seit Jahren sind wir Anzeichen des Unfriedens ausgesetzt. Aktuelle Anzeichen für die Bedrohung des Friedens statt des Aufbaues eines friedlichen Europa sind, um nur einige zu nennen:
- die politischen und militärischen Folgen der Annexion der Krim durch Russland
- die Auseinandersetzungen zwischen Russland und der Ukraine um die Ostukraine
- die angestrebte Realisierung des Beschlusses des NATO-Gipfels vom September 2014 in Wales, die Verteidigungsausgaben bis 2024 um 2 % des Bruttoinlandsproduktes der Mitgliedstaaten zu erhöhen.1
- die Dislozierung von NATO-Einheiten nach dem Warschauer Nato-Gipfel 2016 an der Grenze zu Russland in Polen und in baltischen Staaten, der Aufbau einer Raketenabwehr der NATO in Polen und Rumänien, Großmanöver Russlands und Weißrusslands an den westlichen Grenzen
- Die Annahme, dass Maßnahmen zur Selbstverteidigung nach Art. 5 des NATO-Vertrages „unwahrscheinlich“ seien, gilt nicht mehr. Derzeit betreiben die NATO und Russland eine militärische und rhetorische Aufrüstung, die an die Zeit der Ost-West-Konfrontation erinnert.2
- Verwendung von dringend benötigten Mitteln zur zivilen Krisenprävention aus dem Instrument für Stabilität und Frieden (IcSP) der EU für die Ertüchtigung von Streitkräften in Drittstaaten unter dem Vorwand der Förderung von Entwicklungspolitik
- Wichtige Abrüstungsverträge, wie z.B. der New Start-Vertrag zwischen Russland und den USA über in etwa gleich starke strategische Atomwaffenpotentiale und der INF-Vertrag von 1987 über das Verbot von landgestützten Flugkörpern mit Reichweiten zwischen 500 und 5500 Km werden in Frage gestellt.3
- Der unwirksame Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE-Vertrag) ist nicht angepasst worden, weil das„Anpassungsabkommen zum KSE-Vertrag (AKSE) zwar vorliegt, aber nicht in Kraft getreten ist. Ein politischer Prozess zur Erneuerung der konventionellen Rüstungskontrolle in Europa ist nicht im Gange.4
- Es droht eine neue nukleare Aufrüstungsrunde: Entwicklung von Atomwaffen mit geringerer Sprengkraft und gesteigerter Zielgenauigkeit (Typ B 61-12), die die Hemmschwelle zu ihrem Einsatz senken, verlocken zur Führung eines Atomkrieges. Taktische Atomwaffen könnten nicht mehr von strategischen unterschieden werden und alle atomaren Abrüstungsverträge werden unterlaufen. Die bisherige Abschreckungswirkung von Atomwaffen würde vermindert und die Kriegsführungsfähigkeit mit Atomwaffen würde steigen.
- Die Entscheidung der UN-Generalversammlung für eine Ächtung von Atomwaffen vom 7. Juli 2017, getragen von der großen Mehrheit mit 122 Staaten, und die Vergabe des Friedensnobelpreises an ICAN ist zwar ein großer moralischer Sieg, bewirkt aber bisher keine Bereitschaft zur Einschränkung der atomaren Aufrüstung auf Seiten der Atomwaffenstaaten und ihrer Alliierten. So will auch die Bundesrepublik Deutschland an der Politik der „nuklearen Teilhabe“ im Rahmen der NATO festhalten. Der Atomwaffensperrvertrag von 1968, der die vollständige atomare Abrüstung zum Ziel hat, zeitigt wegen der gegenläufigen Haltung der Atomwaffenstaaten keine positive Wirkung. Dazu trägt auch die atomare Rüstung Nordkoreas bei.
- Es gelingt weder einzelnen Staaten oder Staatengruppen noch der UNO, die Kriege im Nahen Osten, insbesondere in und um Syrien, unter Kontrolle zu bringen. Sie befördern einen neuen Ost-West-Gegensatz.
Welches sind die Grundgedanken der Initiative?
Die Grundidee des Aufrufes der Initiative für eine neue Entspannungspolitik setzt auf eine „gemeinsame Sicherheit durch vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen, Rüstungskontrolle und Abrüstung“, wie es im Aufruf „Die Spirale der Gewalt beenden – für eine neue Friedens- und Entspannungspolitik jetzt!“ heißt. Das ist nach „den Lehren aus den Erfahrungen mit der Entspannungspolitik seit den 1960er Jahren“ nicht„ohne oder gegen, sondern nur gemeinsam mit Russland“ möglich. Anzustreben ist die Zusammenarbeit und Verständigung mit „vermeintlichen Feindländern“. Ziel ist „eine Zone gesamteuropäischer ‚gemeinsamer Sicherheit‘ durch Zusammenarbeit aller Staaten von Vancouver bis Wladiwostok“. Freilich wird es bei der Argumentation für eine wirksame neue Entspannungspolitik gemäß den Parametern der Jahre 2017 ff. darauf ankommen, die veränderte Ausgangssituation im Vergleich zu den 1960er Jahren zu analysieren.
Noch einige Worte zur Initiative für eine Neue Entspannungspolitik JETZT!
Zu Beginn stand der „Berliner Appell“. Anfang 2015 eskalierte die Gewalt in der Ukraine, und eine Gruppe, u.a bestehend aus Wolfgang Biermann, Andreas Buro, Christian Wipperfürth, Gabriele Witt, Burkhard Zimmermann und mir, formulierte nach Rücksprache mit Egon Bahr einen„Berliner Appell“ – mit dem Titel „Die Spirale der Gewalt beenden – Für eine neue Entspannungspolitik!“ Dieser wurde bis zum Sommer 2015 von rund 1.500 Menschen aus vielen Spektren der Gesellschaft, von Kirchen, Gewerkschaften, dem Ostausschuss der deutschen Wirtschaft, dem Darmstädter Signal und der Friedensbewegung, unterschrieben. Egon Bahr und der von ihm geleitete Willy-Brandt-Kreis bekräftigten im Sommer 2015 die Forderung nach einer neuen Entspannungspolitik. Das mahnte Egon Bahr auch in seiner letzten Rede an, die er im Juli 2015 auf einer Veranstaltung mit Michail Gorbatschow in Moskau hielt. Nach seiner Rückkehr nach Berlin bat er einige von uns, die Öffentlichkeitsarbeit für eine neue Entspannungspolitik zu verstärken.
Nach seinem Tode Mitte August 2015 trafen sich im Herbst 2015 Unterstützer des Willy-Brandt-Kreises und des Berliner Appells. Sie formulierten zur Verbesserung der Werbung für eine „neue Entspannungspolitik“ eine überparteiliche „gemeinsame Erklärung“, die PaxChristi veröffentlichte.
Im letzten Sommer begann eine kleine Gruppe mit Wolfgang Biermann, Peter Brandt, Wiltrud Rösch-Metzler, Christian Wipperfürth und mir die Einrichtung einer Info-Website (www.neue-Entspannungspolitik.berlin). Ein Editorial wurde verfasst, das Ihnen und Euch als Aufruf für eine „Neue Entspannungspolitik JETZT!“ bekannt ist. Nachdem im August 2016 u.a. Horst Teltschik (CDU), Reiner Hoffmann (DGB), Frank Bsirske (ver.di), Konrad Raiser (früherer Generalsekretär des ÖRK), Andreas Metz (Ostausschuss), Xanthe Hall (IPPNW) und Daniel Ellsberg (USA) den Aufruf unterzeichneten, wurde daraus in wenigen Monaten ein transatlantischer Appell der Zivilgesellschaft auf beiden Seiten des Atlantiks. In den USA berichtete die Zeitung„The Nation“ über die Initiative „Détente NOW!“ Mehr als 1.500 Persönlichkeiten aus Gewerkschaften, Parteien, Bundestag, Kirchen, Kultur, dem Militär, der Wissenschaft und der Medizin (rund 400 aus den USA) erklärten ihre persönliche Unterstützung. Wir begrüßen heute unter uns als Unterzeichner aus den USA Herrn Ray McGovern, Gründungsmitglied der „Veteran Intelligence Professionals for Sanity (VIPS), einer Gruppe ehemaliger hochrangiger US-Nachrichtendienstoffiziere, die sich öffentlich kritisch mit dem Angriff der der US-geführten Koalition auf den Irak 2003 auseinandergesetzt haben.
Am Anti-Kriegstag 2017, dem 1. September, fand, von Gewerkschaften, den Naturfreunden und der Evangelischen Kirche in Berlin unterstützt, am Brandenburger Tor in Berlin eine erste öffentliche Veranstaltung statt. Michail Gorbatschow überraschte mit einem Grußwort.
Abschließend möchte ich persönlich Wolfgang Biermann dafür danken, dass er unermüdlich seine in Jahren der internationalen Arbeit entstandenen Netzwerke nutzte, um unsere Initiative „Neue Entspannungspolitik JETZT!“ aufzubauen. Ich danke auch dem Darmstädter Signal für eine gute Kooperation.
Anmerkungen:
- *) Auszug aus Uli Freys Begrüßung der gemeinsamen Tagung „Neue Entspannungspolitik JETZT!“ am 13.10.2017, aus: Tagungsband »Neue Entspannungspolitik – Jetzt« · 13. – 14. Oktober 2017 im AKZ Königswinter
- Stellungnahme der Kommission„Europäische Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr“ am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik, Juni 2017: Das Zweiprozentziel gehört auf den Prüfstand“, in: Rundbrief II/2017 des Förderkreises des Darmstädter Signals
- Stellungnahme der Kommission„Europäische Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr“ (Anmerkung 1), S. 4
- Tageszeitung „Neues Deutschland“: „Gefährlicher Raketen-Poker. Der Streit zwischen Russland und USA um den INF-Abrüstungsvertrag droht zu eskalieren!“, http://epaper.neues-deutschland.de/eweb/ printcontent/nd/2017/08/31/a/8…; Generalanzeiger Bonn, 4.9.2017, „Schreckgespenst der NATO“
- Wolfgang Richter, Neubelegung der konventionellen Rüstungskontrolle in Europa. Ein Beitrag zur militärischen Stabilität in Zeiten der Krise, SWP-aktuell 76, November 2016