von Detlef Bimboes
Unter diesem Titel haben John Neelsen, Werner Ruf, Wilfried Schreiber und Achim Wahl bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung und in „Welttrends“ ein ausführliches Diskussionspapier veröffentlicht, das Felder der internationalen Zusammenarbeit beschreibt, um der durch die Corona-Pandemie verschärften globalen Krisensituation und friedensgefährdenden Krisenbearbeitung entgegenzuwirken.
Ihr Ausgangspunkt: „Mit der Corona-Pandemie hat die globalisierte Welt eine völlig neue Erfahrung gemacht: Erstmals hat eine virusbedingte Pandemie alle Teile der Erde und auch alle gesellschaftlichen Bereiche erfasst. Obwohl Pandemien bereits seit längerer Zeit als zivilisatorisches Risiko bekannt waren, reagierten die verantwortlichen Politiker auf die Infektionswelle weitgehend unvorbereitet“.
In den ersten zwei Thesen analysieren die Autoren die „Vertiefung der Konfrontation zwischen den geopolitischen Hauptrivalen“ und die Folgen für die „«Peripheren» Länder als Hauptleidtragende der Pandemie: Statt enger internationaler Kooperation für eine wirksame Bekämpfung der Pandemie vertieften sich – so die Autoren – die internationalen Spannungen zwischen den vier geopolitischen Hauptrivalen USA, China, Russland und der Europäischen Union. Hauptleidtragende der weltweiten Coronakrise dürften insbesondere die „peripheren Länder dieser Welt sowie die Länder großen Konfliktregionen sein. Das sind vor allem Länder Afrikas, Lateinamerikas sowie des Nahen und Mittleren Ostens (NMO), incl. Afghanistans und der Maghreb-Zone.
Angesichts der Vielfalt und Wechselwirkung der mit der Corona-Pandemie verschärften existenziellen Menschheitsprobleme, so schreiben sie in These 3, hätten die „Friedenskräfte“ eine qualitativ neue, höhere Verantwortung, die „weit über den Pazifismus und Antimilitarismus der traditionellen Friedensbewegung hinaus“ gehe. „Sie verlangt ein umfangreicheres Sicherheitsverständnis, Kompromissfähigkeit und Kooperationsbereitschaft in einem weiten sozialen Sinne. Es geht um die Bereitschaft zu breitesten Bündnissen – sowohl in sozialer, parteipolitischer und weltanschaulicher Hinsicht -, um vor allem die wichtigsten friedenspolitischen Ziele zu erreichen.“
In der abschließenden These 4 – „Neue Bündnisse als Ausgangspunkt für politische Veränderungen“ – wird in diesem Zusammenhang deutlich gemacht, dass sich „unter dem Eindruck der gewachsenen Komplexität aller inneren und äußeren Widersprüche quasi in allen politischen Parteien und Gruppierungen der Bundesrepublik ein Differenzierungsprozess vollzogen hat, der sich in einer großen Meinungsvielfalt zwischen und innerhalb all dieser Kräfte widerspiegelt. Damit ergeben sich auch neue Möglichkeiten für ein überparteiliches Zusammenwirken und zusätzliche Optionen für neue Bündnisse. Dazu öffnet sich mit der bevorstehenden Bundestagswahl 2021 die Chance eines grundlegenden Regierungswechsels. Die Nutzung dieser Chance würde aber von allen Teilen des linken politischen Spektrums ein neues Denken erforderlich machen“. Die dafür erforderliche Debatte „sollte insbesondere von der Suche nach Gemeinsamkeiten und Schnittmengen für eine (punktuell) parteiübergreifende Verständigung bestimmt werden“.
Vorrangige strategische Ansatzpunkte für Diskussion und friedensorientierte Kooperation bilden für die Autoren insbes. folgende Themen:
- Verhinderung einer zunehmenden Konfrontation zwischen den geopolitischen Hauptrivalen in der Welt (USA, China, Russland, EU) und Perspektiven für den Multilateralismus;
- die Schaffung einer neuen gesamteuropäischen Sicherheitsarchitektur
- unter der Einbeziehung Russlands;
- die zukünftige Rolle der Europäischen Union in der Welt des 21. Jahrhunderts;
- die Rückbesinnung auf die Prinzipien der friedlichen Koexistenz in der
- Schlussakte von Helsinki aus dem Jahre 1975 sowie in der Charta von
- Paris von 1990;
- Trennung des Sicherheitsdenken vom autistischen Konzept der Bedrohung und Verständnis von Sicherheit als kollektiver Aufgabe der Staatenwelt;
- die Stellung der Bundesrepublik zum Kernwaffenverbotsvertrag der UN, zur nuklearen Teilhabe und zur Stationierung US-amerikanischer Kernwaffen in Deutschland
- Verhinderung eines neuen Rüstungswettlaufs und Erhaltung bzw. Schaffung eines effektiven Abrüstungs- und Rüstungskontrollsystems; die deutliche Reduzierung von Rüstungsexporten und ein Verbot von Exporten in Krisengebiete bzw. an in Krisen beteiligte Staaten wie die Türkei oder Saudi-Arabien;
- die Infragestellung der NATO-Doktrin von der „Glaubwürdigen Abschreckung“ und vom Beharren auf dem Ersteinsatz von Atomwaffen;
- Schlussfolgerungen aus dem Zusammenhang zwischen menschen-gemachter Klimaveränderung, Ressourcenverknappung und Friedensfrage;
- Konsequenzen aus der ungleichmäßigen demografischen Entwicklung in der Welt, insbesondere für die Konzipierung und Umsetzung eines grundlegend neuen Entwicklungsprogramms für Afrika;
- die zunehmende Einkommensdifferenzierung zwischen arm und reich innerhalb und zwischen den Staaten als Wurzel für Bürger- und Regionalkriege.
Darüber hinaus vermittelt gerade die Coronakrise eine Reihe von Erfahrungen, die auch für die Friedensfrage relevant sind, darunter auch dass der Neoliberalismus offenbar für die Lösung grundlegender Lebensfragen der Welt von heute ungeeignet und kontraproduktiv ist, insbesondere für eine progressive Geld- und Finanzpolitik bei der Umsetzung der vom Staat aufgelegten „Hilfsprogramme“.
Die Autoren fordern abschließend mehr Mut für eine freimütige und konstruktive Debatte über alle Parteigrenzen hinweg. Denn die „Friedensfrage ist nicht nur eine Menschheitsfrage, sie ist auch die Kernfrage einer auf Humanismus zielenden Politik. Für eine erfolgreiche Lösung der Friedensfrage sind neue Bündnisse eine Lebensfrage“. Und hier sollten gezielt Kräfte wie „Fridays for Future“, die Badische Landeskirche (Konzept „Sicherheit neu denken“) der Willy-Brandt-Kreis und „Aufstehen“ in die Diskussionen einbezogen werden.